Margarete Stokowski

Politisches Engagement Perfekt kann man immer noch werden

Einzelne wie Greta Thunberg verkörpern Bewegungen - doch die Konzentration auf ihre Eigenschaften lenkt von Inhalten ab und hemmt andere in ihrem Engagement. Dabei muss man nicht perfekt sein, um politisch zu handeln.
Klima-Aktivistin Greta Thunberg: Wer ist schon perfekt?

Klima-Aktivistin Greta Thunberg: Wer ist schon perfekt?

Foto: Jim Urquhart/ REUTERS

Ich wage nicht zu googeln, ob irgendein Feuilletonist schon ein Thinkpiece darüber geliefert hat, dass Greta Thunberg beim Ausatmen CO2 ausstößt, aber sagen wir mal so: Es würde mich nicht sehr wundern. In Zeiten, in denen politisch viel los ist, stehen immer wieder neue Einzelpersonen als Führungsgestalten im Fokus des öffentlichen Interesses, auch wenn die Konzentration auf einzelne Leute politischen Bewegungen selten gut tut. Wirklich sehr sehr selten.

Es geht dann schnell darum, wie überzeugend die jeweilige Person ihre nach außen vertretenen Werte selbst lebt, und das ist bis zu einem gewissen Grad zwar richtig und nachvollziehbar, aber oft zum einen maßlos übertrieben und zum anderen anfällig für Kategorienfehler:

Ist diese oder jene Klimaaktivistin schon mal Langstrecke geflogen?
Macht diese oder jene Feministin manchmal sexistische Witze?
Wie kann dieser linke Politiker sich so ein teures Haus kaufen?
Sitzt dieser Antifa-Aktivist manchmal mit seinem AfD wählenden Onkel an einem Tisch?

Oder eben auch: Wenn diese oder jene politische Person so oder so aussieht oder sich so und so kleidet, was sagt uns das? Wenn sie diese oder jene psychische Auffälligkeit hat, wie überzeugend kann ihre politische Arbeit sein? Nach unten hin sind der Fantasie keine Grenzen gesetzt, was das Niveau betrifft.

Auf der anderen Seite sind Leute, die zu perfekt sind, verdächtig: Warum ist diese junge Aktivistin rhetorisch so brillant? Wie sexy darf ein Theoretiker aussehen? Wie schafft es diese Politikerin, ihren Humor nicht zu verlieren bei all dem Hass? Letztlich ist es also immer wieder die Frage: Wie perfekt muss ein Mensch sein, der sich politisch engagiert, und wie perfekt darf er sein?

Durch den Hype wächst die Hürde

Das Problem ist nicht nur, dass all diese Fragen von den politischen Themen, um die es gehen sollte, ablenken. Es ist einigermaßen menschlich, sich ablenken zu lassen. Das Problem ist auch, dass durch eine Konzentration auf Einzelpersonen zu viele Leute - in der jeweiligen Bewegung und außerhalb - sich gezwungen sehen (unnötigerweise), sich zu bestimmten besonders präsenten politischen Figuren ganz grundlegend verhalten zu müssen, sich also wahlweise zu distanzieren oder als Fan zu outen, und wenn sie einmal diese Entscheidung getroffen haben, ungern davon zurücktreten.

Und: Je mehr Einzelpersonen in politischen Bewegungen hervorgehoben werden, je mehr sie gehypt und verrissen, inspiziert und kritisiert werden, desto größer wird häufig die Hürde für andere, nicht berühmte Menschen, sich dieser oder jener Bewegung anzuschließen. Ich schreibe das so allgemein mit "diese oder jene", weil es sich sehr allgemein beobachten lässt: bei der Klimaschutzbewegung, im Antifaschismus, in der Linken generell, am meisten natürlich bei herrschaftskritischen Bewegungen, und wenig überraschend kann ich da aus feministischen Kontexten einiges erzählen.

Mir schreiben nicht selten Mädchen oder Frauen, dass sie sich bisher zum Beispiel nicht trauen, sich "Feministin" zu nennen, weil sie das Gefühl haben, selbst noch so vielen alten Mustern zu folgen, und leider sind Klischees so hartnäckig, dass einige schreiben: "Ich finde das politisch alles richtig, aber ich schminke mich auch gerne und rasiere mich", und ich weiß nicht, wie viele Nachrichten ich schon geschrieben habe, in denen stand, dass so etwas kein Widerspruch ist, aber: sehr viele.

Ein 17-jähriges Mädchen hat mir mal geschrieben, dass sie grad viel mit sich kämpft, mit ihrem politischen Selbstverständnis, mit ihrer Einstellung zu Sex und Schönheit, und schrieb außerdem den Satz: "Wenn ich nicht mal mich selbst akzeptieren kann, wie soll ich für die Dinge, die mir wichtig sind, einstehen?" Ich verstehe diese Zweifel, bin aber auch überzeugt, dass man sie so gut wie möglich loswerden sollte.

Man muss nicht erst alles bei sich geklärt haben, man muss nicht alle eigenen, persönlichen Kämpfe gewonnen und Widersprüche gelöst haben, bevor man politische Forderungen stellt. Egal, ob man jung oder alt ist. (Ein Jahr später schrieb sie noch mal, und erzählte, sie habe einen coolen Jungen kennengelernt, der aber manchmal auch von ihrem inzwischen besseren Selbstbewusstsein irritiert gewesen sei, und sie kommentiere dazu: "Ich glaube, das liegt daran, dass er einfach noch nicht so viel mit 'emanzipierten' Mädchen zu tun hatte, was mir wiederum zeigt, wie viel da noch passieren muss." Ich kenne dieses Mädchen nicht persönlich, aber ich hab sie ziemlich geliebt, als ich das gelesen hab.)

Politik nur von aalglatten Buddhas?

Es gibt - apropos Liebe - im Fachbereich Küchenpsychologie die Ansicht, dass man sich selbst lieben muss, um andere zu lieben oder von ihnen geliebt zu werden. Diese Idee hält sich so hartnäckig, wie sie falsch ist, und im Grunde müsste das jeder Mensch erkennen, der schon mal jemand geliebt hat, der Selbstzweifel oder auch einen stabilen Selbsthass in sich trägt - wie sehr viele Leute.

Mit sich selbst zu kämpfen ist nichts, was einen von irgendetwas abhalten muss, auch wenn es natürlich gesünder ist, sich selbst nicht allzu viel fertigzumachen mit den eigenen Idealen. Oder, wie es die Komikerin Chelsea Peretti ("Brooklyn Nine-Nine") mal auf Twitter schrieb: "re self hate: theres better people to hate".

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Man muss nicht perfekt sein, um sich politisch zu engagieren. Politik wäre ehrlich gesagt auch nicht so toll, wenn sie ausschließlich von aalglatten, mit sich selbst im Reinen stehenden, selbstverliebten Buddhas praktiziert würde. Ich würde sogar umgekehrt sagen: Gerade Leute, die merken, dass sie noch nicht alle eigenen Widersprüche und Fehler geklärt haben, sind politisch oft besonders überzeugend, weil sie sich bewusst sind, dass gesellschaftliche Normen und Erwartungen (und eigene Gewohnheiten) extrem starke, wirksame Kräfte sind.

Wie wäre es, wenn man an einer politischen Person irgendwelche Makel findet, nicht zu sagen: Oh Gott, sie will für diese Werte stehen, aber macht selbst Fehler in dem Bereich - sondern: Okay, sie hat selbst ihre Widersprüche, aber sie ist mutig genug, sich trotzdem zu engagieren? Wäre, meines Erachtens, ganz gesund. Gerade in einer Zeit, in der es politisch um sehr viel geht, und in der wir es uns nicht leisten können zu warten, bis wir perfekt genug sind.

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