
Serpentine-Pavillons: Architekten im Wolkenkuckucksheim
Serpentine-Pavillons Mach doch, was Du willst!
Hier ist er, der Beweis, dass Architekten und Entwerfer träumen, und zwar jenseits der Normalität funktionierender Gebäude. Nicht von höher, größer, teurer, luxuriöser träumen sie, sondern von Experimenten, von Poesie, einer Geste, von Freude an der Arbeit, einem Sputnik, einem gebauten Witz oder von Wolken. Und dass sie solche Träume auch bauen können, jedenfalls wenn man sie lässt.
Der Beweis ist seit zehn Jahren der Pavillon, den die Serpentine Gallery, eine Ausstellungsinstitution mit großem Ansehen mitten in Londons Kensington Garden, jedes Jahr von einem anderen Stararchitekten neben ihr Gebäude bauen lässt. Für nur 100 Tage. Aber für rund 750.000 Menschen, die in dieser Zeit ihren Spaziergang zum Pavillon machen und oftmals zu Vorträgen, Konzerten oder Diskussionen bleiben.
Die Bedingungen für Architekten dieses Baus sind anders als sonst in der Branche: kein festgelegter Raumplan, keine Auflagen, jedes Material ist erlaubt - es gibt absolute Freiheiten, wie die Künstler sie haben, die in der nebenan liegenden Serpentine Gallery ausstellen.
Eine Voraussetzung gibt es allerdings: Es sollte der erste Bau der beauftragten Architektin oder des Architekten auf britischem Boden sein, und er sollte in der Tradition der Gebäude in englischen Landschaftsgärten stehen. Das wär's dann aber auch schon und noch nicht mal mit den Bauämtern gibt es große Probleme.
Nicht für die Ewigkeit wird hier jedes Jahr gebaut und für wenig Honorar. Stattdessen gibt es viel Ehre und Glamour. Und bisher hat man sogar noch nie einen Kommentar der Traditionalisten gehört, die als prominenten Sprecher Prinz Charles an ihrer Spitze haben.
Zurzeit steht noch bis zum 18. Oktober der zehnte "Serpentine Pavilion", entworfen und gebaut von den beiden japanischen Architekten Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa vom Büro Sanaa.
Bekannt wurde das Duo durch ihr spektakuläres "New Museum" in New York, aber vorher hatten sie schon in Tokio und Kanozawa Museen gebaut und mit ihrem Naoshima Ferry Terminal Aufsehen erregt. Ihre "transparente und gleichzeitig labyrinthische" Derek-Lam-Boutique in New York gilt unter Kennern als großartiges Beispiel für minimalistische Architektur, die nicht kalt und kahl ist. Auch in Deutschland haben die beiden Japaner schon gebaut: in Essen die "Zollverein School", geplant ist ein Gebäude für Vitra in Weil am Rhein und der Erweiterungsbau des Bauhaus-Archivs in Berlin.
Als Anfang des Jahres die Wahl von Sanaa bekanntgegeben wurde, waren Kommentare zu lesen, dass man hoffe, sie werden ihrem Lehrmeister Toyo Ito "nacheifern", der 2002 den Pavillon gebaut hatte.
Leicht wie ein Schmetterlingsflügel
Sie haben ihn übertroffen. Wunderschön ist ihr schwebendes Dach auf filigranen Stützen im Londoner Kensington Garden, mit durchsichtigen Wänden aus Acrylglas, die Innen- und Außenraum nicht trennen, leicht wie ein Schmetterlingsflügel. "Eine Rauchwolke, die zwischen den Bäumen schwebt" haben Sejima und Nishizawa bauen wollen - und das ist ihnen gelungen.
Mit den vorhergehenden Pavillon ihrer berühmten Kollegen - Zaha Hadid, Daniel Libeskind, Toyo Ito, Oscar Niemeyer, MVRDV, Alvaro Siza/Edouardo Souto de Moura, Rem Koolhaas/Cecil Balmond, Olafur Eliasson/Kjetil Thorsen und Frank O. Gehry - können es Kazuyo Sejima und Ryue Nishizawa jedenfalls locker aufnehmen. Er scheint sogar der Schönste von allen zu sein.
Nach dem 18. Oktober wird der Pavillon versteigert - wenn sich doch ein Käufer aus Berlin fände! Dann hätte man schon mal ein kleines, feines Beispiel in der Stadt dafür, wie Architektur abseits von praktischen, billigen Ausstellungskisten, Schlosskopien und anderer regressiver Planungen aussehen kann.
Architecture - Serpentine Gallery Pavilion 2009. Kazuyo Sejima & Ryue Nishizawa of SANAA. Bis 18.10.