Sexismus-Debatte Falsche Solidarität

Immer neue Vorwürfe: Mächtige Männer sollen bedrängt, missbraucht und vergewaltigt haben. Schlimm? Für manch konservativen Feuilleton-Mann gibt es offenbar Schlimmeres: Die angebliche Ungerechtigkeit der Debatte.
US-Schauspieler Kevin Spacey

US-Schauspieler Kevin Spacey

Foto: Kevin Winter/ Getty Images for Turner

Ja, hört das denn nie auf? Kaum ein Tag vergeht ohne neue Vorwürfe gegen wieder einen anderen mächtigen Mann. Kaum einer ohne den Vorwurf sexueller Belästigung, erschreckend oft mit minderjährigen Opfern. Kaum einer ohne den Vorwurf der Nötigung und der Vergewaltigung. Kaum ein Tag mehr ohne die Debatte über Alltagssexismus und unsere Kultur, die sexuelle Übergriffe viel zu lange ermöglicht hat und die Opfer zum Schweigen bringt.

Und: Kein Tag ohne die Klage darüber, wie ungerecht diese Debatte doch sei.

Ja, es ist schrecklich. Schlimm gebeutelt ist aktuell der arme Kevin Spacey, dessen Fall ein Kollege von der "FAZ"  auch einmal menschlich betrachten möchte. "Wenn er Pech hat und die schlimmsten Philister sich durchsetzen, könnten ihm sogar noch seine Oscars aberkannt werden," hat er geschrieben. Endlich sagt mal jemand, was das eigentliche Problem an den vielen schlimmen Geschichten ist, die in Bezug auf Spacey gerade ans Licht kommen.

Die Unschuldsvermutung gilt selbstverständlich auch für Kevin Spacey, doch ist es angesichts der vielfältigen Vorwürfe unterschiedlichster Menschen nötig und angemessen, ausgerechnet ihn jetzt zum Opfer zu stilisieren? Ganz sicher nicht. Am Ende kommt es noch soweit, dass ein Arschlochverhalten für ein Arschloch tatsächlich mal Konsequenzen hätte. Ups.

Ja, endlich

Überhaupt, die armen Männer! Sie sind doch die eigentlichen Leidtragenden der aktuellen #MeToo-Debatte. "Ärgernisse", wie dumme Anmachen, unverlangt zugesandte Blumensträuße oder im Suff geschriebene SMS, so die These eines weiteren konservativen Feuilleton-Mannes , müssten plötzlich als eklatante Beispiele für Sexismus herhalten. Ja, endlich, möchte man ihm zurufen, und das ist auch gut so.

Denn was sind diese, kaum verharmlosend als "Ärgernisse" titulierten Beispiele denn bitte sonst, als Kennzeichen für genau diesen subtilen, strukturellen Sexismus, der Frauen und Männern immer noch aus jeder Pore der Gesellschaft entgegenwabert.

Munter wird alles miteinander verquickt: Sexueller Missbrauch, Sexismus, Machtgefälle - und die Opfer sollen sich bitte nicht so haben. Denn der konservative Feuilleton-Mann macht genau das, was er seit Jahren macht und was in unserer Gesellschaft bis zum heutigen Tage den Silberrücken vorbehalten zu sein scheint: Er beansprucht die Deutungshoheit einfach mal für sich - völlig unabhängig davon, ob er den Sachverhalt überhaupt beurteilen kann. Denn, wie wir alle wissen und wie aufgebrachte Feministinnen doch bitte endlich einsehen sollten: Nur der konservative Feuilleton-Mann vermag zu beurteilen, was ein harmloses Kompliment ist, was ein "Ärgernis", was Sexismus und was schwere Straftaten.

Alles klar.

Ihr habt nicht das letzte Wort

Mal den Betroffenen zuhören? Einfach mal die Klappe halten und einsehen, dass man in einer Diskussion vielleicht mal nicht das letzte Wort hat? So etwas hat der konservative Feuilleton-Mann nicht nötig, er muss das auch gar nicht, denn er ist, zusammen mit vielen anderen älteren weißen Männern, schließlich "Stahlträger des Systems ". Da kann man sich solche Freiheiten schon mal herausnehmen, oder etwa nicht?

Immerhin gibt es auch gute Nachrichten (zumindest für den progressiveren Teil unserer Gesellschaft): Die Macht des Patriarchats bröckelt. Immer mehr Frauen und Männer trauen sich, von dem zu erzählen, was ihnen passiert ist. Von Ereignissen, bei denen sie sich vor 20 Jahren unwohl gefühlt haben, die sie damals aber nicht einzuordnen wussten. Viele verfolgen das ungläubig. In den Kommentarsträngen der sozialen Netzwerke schwadronieren sie von "Kampagnen" und davon, "dass es ja wohl kein Zufall sei, dass die Vorwürfe jetzt so geballt auftreten".

Zumindest beim letzten Punkt haben die Verschwörungstheoretiker recht: Es ist kein Zufall, sondern das Ergebnis von Veränderungen in unserer Gesellschaft, die sich langsam aber sicher ihre Bahn brechen. Immer mehr Frauen und Männer haben keine Lust mehr auf Altherrenwitze, tiefe Blicke, verrutschte Komplimente - und auf ein gesellschaftliches Klima, das eben solche Dinge mitträgt und damit den Nährboden für Missbrauch und Belästigungen bereitet.

Betroffene von sexuellem Missbrauch und sexueller Belästigung werden so endlich dazu ermutigt, von ihrem Leid zu berichten.

Hoffentlich hören sie damit so lange nicht mehr auf, bis es dieses Leid nicht mehr gibt.

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