S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Sonntags, wenn wir uns selbst auflösen

Schon wieder dieser Tag, an dem wir allein sind und plötzlich fürchten, dass uns keiner braucht, dass sich keiner für uns interessiert, ja, dass es uns eigentlich gar nicht gibt. Wäre da nicht wenigstens ein Hund, der uns die Pfote reicht.

Wo bist du am Sonntag, wenn die Welt um dich mit sich beschäftigt ist, die Geräte schlafen, keiner dich treibt, dich braucht und du allein bist. Mit dir. Etwas Unbekanntem.

So läufst du herum, sprichst mit dem Gestühl, alle schweigen, keiner mag dich. Und du denkst an damals, als du zum ersten Mal erkanntest, dass du keine Seele hast. Irgendwo, da Palmen wachsen, saßt du alleine, und um dich fremde Stimmen, keiner sah dich. Und du wusstest plötzlich, dass du nur existierst, wenn andere zu dir reden. Du merktest, dass du mit dir alleine nicht vorhanden bist.

Du fragtest dich, ob du vielleicht tot seist, oder nie geworden. Und auf einmal kam die Angst, du könntest immer da sitzen bleiben, in der Fremde, dir abhandenkommen. Und nicht einmal dir selbst wäre es aufgefallen. Hast die Einsicht wieder vergessen zu Hause, denn unter der Woche musst du dich nichts fragen. Menschen reden mit dir, also wird es dich geben.

Dein Leben besteht aus Gewohnheiten, und die könnten ohne dich nicht existieren. Die immer gleiche Tram, der Weg ins Büro, der Lunch im immer selben Restaurant. Und abends in die Wanne, die Kneipe, die Frauen. Du bist es, der die Gewohnheit am Leben hält, also lebst du. Hast du geglaubt.

Alle sind wie du

Doch am Sonntag ist es wieder da. Bist du wieder weg. Tigerst hin und her und kein Gedanke mag kommen. Dann kommt ein Impuls. Du folgst ihm in den Zoo. Dort warst du als Kind, da hattest du Eltern. Ein zwingendes Indiz deiner Existenz. Im Zoo bewegst du dich wie ein leerer Sack. Zwischen Paaren mit Kindern mit der Funktion, sie wachsen zu lassen, läufst du ohne Sinn. Die Menschen sehen durch dich. Ein paar Kinderwagen fahren über deine Füße. Na und. Es sind die Füße eines leeren Sacks. Du schaust die Bären an, sie wenden sich ab. Der Elefant gähnt. Kein Tier möchte mit dir reden. Keines.

Das ist Einsamkeit und dein Mitleid mit dir wäre groß, wenn es dich gäbe. In einer dunklen Halle, die nach Mensch riecht, siehst du ihn. Er hat eine lange Nase, wie ein großer Penis hängt sie ihm im Gesicht, hat ein langes Fell und seine Augen treffen deine. Du erschauerst. Es ist ein Stöpsel-Hund. Vielleicht heißt das Tier auch anders, doch ehe du überlegen kannst sagt es: Nenn mich ruhig Stöpsel-Hund. Du schaust das Tier an und es schämt sich, weil es so albern aussieht. Bist du einsam fragst du. Der Stöpsel-Hund denkt lange nach. Dann sagt er: Ich weiß doch, dass es ein paar Millionen Stöpsel-Hunde gibt auf der Welt, die alle so albern aussehen wie ich. Wie kann ich dann einsam sein.

Du verabschiedest dich von dem Tier, es reicht dir verlegen lächelnd die Tatze. Und du gehst weg von ihm und du siehst die trüben Fenster in den trüben Häusern deiner Straße. Und auf einmal weißt du, dass hinter jedem einer sitzt wie du. Dass sie sitzen auf der ganzen Welt, 60 Milliarden, und von der Liebe träumen. Von etwas Großem in einem kleinen Leben. Und du merkst, dass es egal ist, ob es dich gibt oder nicht, weil alle sind wie du.

Und so beginnst du, ein kleines Lied zu singen, gehst nach Hause, in dein Bett. Und als der Schlaf kommt, glaubst du zu spüren, wie die alberne Nase des Stöpsel-Hunden dich streichelt. Du lächelst. Und das tun nur Menschen, die es gibt, glaube mir.

Kennen Sie unsere Newsletter?
Foto: SPIEGEL ONLINE
Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren