S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Erst ins Beet, dann in die Grube
Das Heft unserer Zeit heißt "Landlust", Sie werden die eine oder andere Erfolgsmeldung darüber gelesen haben, es ist ein Magazin wie ein hausgemachter Apfelkuchen. In seiner optischen Mischung aus Manufactum-Katalog, Kürbiskörbchen, Rotwild und Gärten in einem ansprechend weichgezeichneten Licht scheint es eine Alternative zum ermüdenden Leben in Berlin-Mitte oder München-Maxvorstadt aufzuzeigen. Man möchte nach der Lektüre sofort rotwangige Kinder auf Fahrräder setzen und mit ihnen in die Heide strampeln. Sich mit Heidschnucken vergnügen, Herbststräuße pflücken, mit vom frischen Wind eisigen Fingerkuppen.
Um dann heimzukehren mit wehenden Röcken, und der Labrador lebt noch. Mit lustig wehender Zunge springt das beherzte Tier über die Furche, auf den Hof, wo die Wollsäue gefüttert werden müssen, während drinnen das Kaminfeuer knistert. Am Abend wird gebacken, mit Mehl von seltenen, ausgestorbenen Getreidesorten. Dann sitzt die Familie am Tisch und küsst sich. Das Haus riecht nach Zimt, von draußen stupst ein Rentier seine Nase ans Fenster, während der Schnee fällt, der am nächsten Tag bereits einem strahlenden Spätsommertag gewichen sein wird.
Je enger die Welt wird, umso stärker der Wunsch nach einem heiligen Zuhause. Nach einem Garten, dem Geruch von Erde und einem Fasan. Ich verstehe das, und ich mache mich nicht darüber lustig.
Lesen Sie langsam: Ich mache mich nicht darüber lustig.
Ich wünschte mir, wie so viele, die jetzt im Erwachsenenalter sind und eindeutig nicht mehr auf der Suche nach neuen sexuellen oder intellektuellen Abenteuern, etwas, das mir gehört. Das ich gestalten kann.
Wenn ich schon die Welt nicht verändern kann, so doch mein Beet. Hinter einer Hecke wächst Unantastbares, einzig bedroht von der Nacktschnecke. Wie vielen träumt mir, dass, wenn ich eine Umgebung hätte, die ich mit englischen Rosen und Efeu zu einem Garten der Liebe gestalten könnte, die Liebe eine zwangsläufige Folge wäre. Dass zum Garten die Großmutter, die sich auf das Reparieren von Dieselmotoren verstünde, automatisch dazu gehörte. Wir alle wollen irgendwann unsere verdammte Ruhe haben.
Werkeln, Hecken schneiden, heile Welt
Wollen die Welt, in der wir uns doch nur mit anderen und ihren immer anderen Meinungen quälen, vergessen. Und auch die Kränkungen, in stiller Zwiesprache mit dem Schneekraut. Wir langsam Alternden sind nicht mehr die Generation, die Landhäuser in der Toskana kauft. Zu teuer sind die Dinger geworden. Zu viel haben wir erfahren von den Eltern und 20-jährigen Rechtsstreitigkeiten mit italienischen Behörden, um noch an die Reinheit des eigenen Olivenöls zu glauben. Wir wollen in die Heide, ins Townhouse, in den Schrebergarten, an die Ostsee. Wir wollen werkeln, Hecken schneiden, wir wollen verdammt noch mal die heile Welt, die uns nie versprochen wurde.
Nach den Kochshows, Kochbüchern, Gourmetrestaurants machen wir nun vor dem letzten Schritt in die Grube ein Zwischenhalt im Beet. Gärten sollten wir alle besitzen, Verantwortung übernehmen, ohne Gartenzwerge aufzustellen. Ohne Maschendrahtzäune zu errichten, weite offene Gärten, die wir verteidigen und nicht mit Betonblöcken zubauen. Uns langsam bewegen im Grünen, mit unseren Rollatoren über golfplatzähnliche Hügel rollen, die Sonne betrachten, die sich langsam über einer untergehenden Welt zu Boden neigt.