S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Geht doch lieber boxen!
Wie oft, wenn in der Welt eine Entwicklung stattfindet, mit dem Ziel, eben diese Welt zu einem etwas gerechteren Ort werden zu lassen, kurz: wann immer eine Utopie zu etwas Realem zu werden droht, entsteht Widerstand. Empörung, die meist auf einem imaginären Machtverlust Nicht-Mächtiger basiert. Jenen, denen es nicht vergönnt ist, ihre Existenz bis zum letzten Atemzug zu durchdenken.
Das Hirn ist ein Schelm. Beziehungsweise eine SchelmIn. In den letzten Tagen hört man wieder vermehrt von Bastian Sick. Wer ist das? Der bärtige Fast-Fünfziger hat lustige Kolumnen geschrieben, unter anderem auch lange für SPIEGEL ONLINE, grammatikalisch sicher ausgeklügelter als diese hier, er war erfolgreich. Aus irgendwelchen Gründen haben seine Aktivitäten nicht zu einer Weltherrschaft ("-herr-", Sie wissen schon) geführt, was Herrn Sick sauer macht. Mit anderen Menschen, von denen er der bekannteste ist, hat er einen offenen Brief gegen die Verstümmelung der deutschen Sprache durch Genderwahnsinnige unterzeichnet. Und abgeschickt.
Ja, das ist der eigentliche Fehler. Wenn Sie wüssten, wem ich täglich Briefe schreibe. Aber versende ich sie? Nein, tue ich nicht, ich gehe stattdessen lieber boxen. Der Brief ist ein einziger Schrei nach Liebe. Rückkehr zur Normalität wird gefordert. Wenn man bedenkt, welcher Unsinn in der Menschheitsgeschichte irgendwann einmal normal war, ist das ganz süß.
Geht doch lieber boxen
Statt still den Blick auf den Bauch zu senken und in Ruhe zu überlegen, ob die Sprache, so wie wir sie gerade benutzen, wirklich eine gerechte ist, ob sie nicht Vorurteile befeuert und Gleichberechtigung verhindert, mal lieber einen Brief versenden. Natürlich vergessend, dass Sprache sich immer wandelt, anpasst erneuert, sonst sprächen wir heute so:
"Nû lebe ich mir alrêrst werde,
sît mîn sündic ouge sihetdaz
hêre lant und ouch die erde,
der man vil der êren gihet."
Sie ist furchtbar, die nächste Stufe der Entwicklung, ihr Erklimmen immer mit Wachstumsschmerzen verbunden, und doch hilft es nichts, möchte ich raunend dräuen, sie verändert sich doch, die Zeit, soviel auch Unzufriedene lamentieren mögen. Denn das sei festgehalten: Mit-sich-Zufriedene jammern nicht. Sie stellen fest. Verärgert vielleicht, denn wer bricht schon gerne mit Gewohnheiten? Wer passt sich immer wieder neu an, überdenkt seine Meinungen und hinterfragt Rituale? Es ist extrem unfair, den Aufschrei gegen eine gendergerechtere Sprache nur einem Protagonisten anzuhängen, aber leider ist dieser Text so unterhaltsam.
Jaja, die Veränderung. Je größer der Widerwille dagegen, umso fortgeschrittener die geistige Inflexibilität. Sicher ist nicht alles besser geworden auf der Welt durch deren unseligen Hang, sich zu entwickeln. Wann immer ich mich beim schwelgerischen Verklären der Zeit, in der Zweitakter noch einsam über Landstraßen tuckerten, ertappe, denke ich weiter: War die Welt damals wirklich so ein Paradies, wenn Krebs einst zwangsläufig das Todesurteil bedeutete? Seid ruhig, bleibt ruhig, es ist nur die Sprache, sie drückt aus, was wir langsam lernen: dass alle Menschen gleich sind. Und wenn uns aufgrund dieser verwegenen Idee ein Wort seltsam vorkommt, einfach ein wenig boxen gehen und tief durchatmen.
Die Welt verändert sich. Und wir bestimmen ein bisschen mit, in welche Richtung.