S.P.O.N. - Fragen Sie Frau Sibylle Wenn König Schlager regiert
Und im Radio läuft Helene Fischer. An den Fenstern hängen deutsche Fahnen. Da ist nichts mit Oma, sondern nur wieder ein nationales Fest. Fußballfest. Lebensfreude. Party. Und atemlos durch die Nacht. Draußen stehen Menschen auf Besen gestützt, als wären das Mistgabeln und als würde der Bauernkrieg wieder losgehen. Gleich. Jetzt. Ich bin der Feind. In einem Auto mit Großstadtnummer und drei Freunden, die anders aussehen, als man hier so aussieht. Unauffällig. Aber anders.
Es sind vielleicht 36 Grad in Berlin. Hier in einem kleinen Dorf, eine halbe Stunde entfernt im Wald, ist die Großstadt weit weg. Die Gärten sind in Schuss, ein Hersteller von Fertighäusern hat hier richtig Schotter gemacht. Spitzdach, 120 Quadratmeter, Gartenzaun. Man kennt sich und redet miteinander, die Männer tragen knielange Hosen, karierte Hemden oder Stones-Shirts, die Frauen auch.
Wir sind hier, weil wir einen See wollen, weil wir aufs Land wollen. Aber ist doch eigentlich egal, warum wir hier sind, es ist doch egal, woher man kommt, könnte man denken - ist es aber nicht, die Menschen sehen uns böse an. "Suchen Sie was Bestimmtes?", fragt ein Mann, als wir ungefähr fünf Sekunden orientierungslos an einer Kreuzung halten. "Hier darf man doch nicht langfahren!", schreit eine Frau, mit einer solchen Fassungslosigkeit, als hätten wir ihren Hund überrollt.
Flog da der erste Stein?
Haben wir nicht, wir sind nur nicht von hier. Wir haben keine karierten Hemden an. Wir sind nicht aus Stepford, warum hört Frau Fischer nicht auf zu singen, das Land scheint mit Chemikalien in einen Schlagerrausch versetzt worden zu sein. Wir hören unsere Musik. Wir wiegen uns zu unserer Sprache, unserer schönen Sprache. Da ist doch nichts dagegen zu sagen, wenn man es schön haben will, wenn man unter sich sein will.
Das passiert also, wenn die Bewohner eines Landes enttäuscht sind. Aber von was eigentlich? Von der Welt, die sich verändert? Vom eigenen Lebensentwurf? Von dem Deal, der nicht eingelöst wurde und der so ging: Ich verkaufe dir meine Arbeitskraft, ich halte mich an die Regeln, ich mache ein Kind, ich heirate eine Frau, und dann bekomme ich eine prächtige Rente. Und nun? Die Frau ist scheiße, das Kind ist in der Großstadt und schwul, und die Bank hat den Kredit gekündigt. Die Steuern zahlen nur die kleinen Leute und die Ausländer - boah, flog da der erste Stein?
Der Verstand eingelullt vom Schlager, dieser Unmusik, die es nirgendwo sonst gibt, die ein brüchiges Selbstbewusstsein kitten soll, die zusammenhalten soll, was zusammengehört. Musik für Leute, die keine Musik mögen. Ich habe Angst. Wann ist es nur akzeptiert worden, ein reaktionärer Widerling zu sein? Wann ist dieser Hass auf alles, was man nicht selber ist, so normal geworden, dass es keinen mehr erstaunt?
Man wird doch wohl noch mal sagen dürfen, dass man ein frustrierter Mensch ist, dass man enttäuscht ist von diesen albernen Leuten, und man wird doch wohl noch zeigen dürfen, dass man nicht weiter denken kann als bis zur Klotür. Wir hören Schlager, wir sehen Fußball, wir bleiben unter uns, pflegen den guten Hass auf gute Nachbarn und verachten alle, die nicht sind wie wir.
Die Rumänen, die Bulgaren, die Islamisten, die Regierung, alles Schweine. So denkt man hier in diesem kleinen Ort. In dem keiner auf der Straße liegt, die Einwohner zu hundertprozentig deutsch sind, die Läden voll, der See angenehm. Und man versteht nicht, dass der Hass die Welt zugrunde richtet.
