S.P.O.N. - Helden der Gegenwart Oh, Du deutscher Dichter!
Welch wackeres Geschöpf in dieser Welt des Misses!
Des Missverständnisses. Des Missverstehens und des Missbrauchs. Der Misslichkeiten und der Missachtung. Von Missstimmung wollen wir gar nicht sprechen. Wie einst die deutsche Eiche stehst Du wacker im Walde, ein Wald der Blinden und Betäubten, und stürmst und raschelst und prustest und haschelst. Dort, wo keiner mehr das Maul aufmacht, bist Du und sprichst. Was keiner spricht. Weil auch keiner mehr die deutsche Eiche achtet. Oder die deutsche Holzschnitzerei oder das deutsche Reinheitsgebot. Außer den Nazis, die sind da weit vorn.
Dein Schicksal ist ein hartes, heute, wo im Radio nicht einmal mehr Reinhard Mey gespielt wird und Deine Worte sich nur noch dann in Druckerschwärze wandeln, wenn sie lustig sind. Wenn Du Dich reimst und schüttelst und jedem Vers ein Witzlein inne wohnt. Du, holder Geist, wirst mit dem Wilhelm-Busch-Preis gestraft, statt mit der Glocke gekrönt. Dein Schicksal ist ein hartes, heute, wo jeder Deine Kunst verkennt. Das Feuilleton sich unter Dir biegt und ächzt und Deine Worte bleischwer im Weg rumliegen. Heute, wo keiner sie haben will, wenn Du sie nicht rappst, pfeilschnell aufpeppst. Auf die Musik drauflegst, damit die Jugend abgeht.
Du machst Dich frei, wie sonst keiner. Reimschemata damit soll Dich mal einer. A A und B B, A B A B oder C D C D. Ein Reim im Stab, in der Kette, im Haufen - die können Dich alle mal am Arsch - kratzen. Ein Künstler bist Du, ein Dichter, ein Denker. Frei wie ein Vogel. Ein Schlaukopfkiebitz, ein Besserwissermilan, ein Seismographenfink Und: ein Frauenflachleger. Du sabbelst die Weiber einfach in die Besinnungslosigkeit. Mit Deinem Wortgeschwall kriegst Du jede rum, du brauchst nicht einmal ansehnlich auszusehen.
Nun scheint Deine Zeit um. Du bist ein Auslaufmodell. Ein Anachronismus wie eine Eieruhr. Wer will schon durch ein Haiku die Welt erklärt bekommen, wenn es auch mit 140 Zeichen auf Twitter geht? Dein junger Nachwuchs taugt kaum zum Wildwuchs. Der will ständig "die Segel setzen" und fragt "siehst du den Weg aus dieser Dunkelheit?" um zu antworten: "Willst du raus, ich bin bereit." Damit, mein Lieber, kommen wir nicht weit.
Doch wer, wenn nicht Du, deutscher Dichter, soll uns mahnen und warnen? Wer, wenn nicht Du spricht aus, was wir nicht hören wollen? Wer, wenn nicht Du, nimmt sein Hirn in beide Hände, um herauszuquetschen, was an Erkenntnis sonst für immer verborgen bliebe? Drückt die letzte Tinte aufs Papier, schreibt mit Tränen auf Bütten, wenn Andere zum Flatrate-Saufen in die Disco laufen?
Wer, wenn nicht Du, Du deutscher Dichter, darf sich erhaben fühlen über Konsens und Regeln, über Anstand und Gefühle? Wer sollte dieses Tier sein, das wir uns so gerne hielten, wäre es doch nur ein bisschen berechenbarer? Wer sollte es sein, dieser prächtige Bursche?
Nein, mein Lieber, da gibt es außer Dir keinen. Nicht einen.