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Skandal um Politkunst: Aliens mit Kalaschnikow

Foto: Courtesy Vasily Slonov

Karikaturenstreit in Russland Vampir Wladimir beißt zu

Handgranaten als Matrjoschka-Puppen, Stacheldraht, der sich zu den olympischen Ringen formt, der russische Bär mit Vampirzähnen: Der Karikaturist Wassilij Slonow verspottet Putins Prestigeprojekt, die Winterspiele in Sotschi. Nun haben die Bilder ein prominentes Opfer gefordert.
Von Claudia Thaler

Dass sie ihn stürzen würden, damit hatte Marat Alexandrowitsch Gelman, Galerist und ein Meister politischer Ränkespiele, nicht gerechnet. Doch vor kurzem verkündete Gelman ungläubig seinen eigenen Rauswurf: "Ich bin nicht mehr Direktor des Museums für moderne Kunst in Perm." Unter Moskaus Intellektuellen sorgt die Demission für größte Aufregung und erregte Debatten. Denn Perm, eine Millionenstadt in der gleichnamigen Region im Ural, ist die heimliche Kulturhauptstadt des Landes. Und Gelman die wohl einflussreichste Figur der russischen Kunstszene.

Gelman wurde eine Ausstellung mit Karikaturen zum Verhängnis. Sie zeigte Bilder des russischen Künstlers Wassilij Slonow. Slonow stammt aus Sibirien, er ist ein exzentrisch wirkender Mann mit struppigem Rauschebart. Seine Zeichnungen sollen provozieren, aber Slonow hat ein Thema gewählt, bei dem Russlands Behörden wenig Spaß verstehen: die Olympischen Winterspiele in der Schwarzmeerstadt Sotschi 2014, das Prestigeprojekt von Präsident Wladimir Putin.

"Willkommen - Sotschi 2014!" steht auf den Slonow-Bildern. Die allerdings zeigen wenig einladende Motive: Eine Zeichnung porträtiert Josef Stalin, der Sowjetdiktator steckt in einem Bärenkostüm. Stalins Gesicht blickt hinter einer Bärenmaske hervor, er hat Eckzähne wie ein Vampir. Andere Slonow-Bilder zeigen eine Handgranate, die aussieht wie die Matrjoschka genannten traditionellen russischen Steckpuppen - oder auch Stacheldraht, der sich zu den olympischen Ringen formt.

Mit Goebbels verglichen

Das rief Russlands selbsternannte Sittenwächter auf den Plan. "Russenfeindlich" seien die Motive, sagte der Gouverneur der Region Perm. Ein Abgeordneter der Staatsduma verglich Slonows Zeichnungen gar mit Joseph Goebbels' Hetzpropaganda. Für Gelman, den Organisator der Schau, hatte das handfeste Folgen: Perms Kultusminister rief ihn an und teilte ihm mit, er sei fristlos gefeuert.

Gelman hat schon Mitte der achtziger Jahre begonnen, Kunst zu sammeln und Ausstellungen zu organisieren. Seine Galerie im Herzen Moskaus gründete er 1990 noch vor dem Zerfall der Sowjetunion. Sie wurde zum ersten zensurfreien Ausstellungsort des untergehenden kommunistischen Imperiums. Beuys und Warhol präsentierte er in seiner Gulman Gallery dem Moskauer Publikum.

Gelman, heute 52, hegte aber auch politische Ambitionen. 1995 gründete er einen Think-Tank, den "Fond für effektive Politik" und wurde Berater der Präsidenten Boris Jelzin und Putin. Zugleich organisierte er Wahlkämpfe für Parteien ganz unterschiedlicher Ausrichtung. Er wurde "Polittechnologe", so nennt man in Moskau PR-Profis und andere undurchsichtige Strippenzieher in der Politik.

2003 gelang ihm sein größter politischer Coup: Gelman stand Pate bei der Entstehung der Nationalisten-Partei Rodina - Heimat. Dann wieder arbeitete er in der Ukraine für Wiktor Janukowitsch, den politischen Ziehsohn von Präsident Leonid Kutschma, den zunächst aber die "Revolution in Orange" ausbremste. Schließlich heuerte Gelman bei Russlands Staatsfernsehen an, distanzierte sich ab 2006 jedoch mehr und mehr vom Kurs des Kreml.

Gelman sieht sich selbst als Liberalen. In Interviews klagt er, "in der russischen Politik ist sowieso alles schon entschieden". Was er meint: Das letzte Wort hat überall Russlands Führung um Putin. Seit seinem Abschied aus der Politik veranstaltete Gelman immer öfter Ausstellungen, die den Kreml-Herrn offen kritisierten.

Ins Gesicht gespuckt

Der Präsident aber verfolgt seit seiner Rückkehr in den Kreml 2012 einen auch symbol- und kulturpolitisch stramm patriotischen Kurs. Russlands Kunstszene bekommt das besonders zu spüren, auch Gelman. Im vergangenen Jahr handelte er sich mit einer Ausstellung im südrussischen Krasnodar Ärger ein. Die Schau hieß "Icons - Ikonen", daran stieß sich die orthodoxe Kirche. "Verderblich für den Geist" sei diese Kunst, kritisierte der Klerus, und "Nestbeschmutzung". Ein Geistlicher spuckte Gelman bei der Eröffnung ins Gesicht. In St. Petersburg sagte Gelman die Ausstellung kurzerhand ab - aus Angst vor weiteren Attacken.

In der Kunstwelt war er allerdings weiterhin geachtet. 2008 hatte ihn Perms fortschrittlicher Gouverneur Oleg Tschirkunow als Museumsleiter in die Provinzstadt geholt. Tschirkunow hatte große Pläne: Perm, früher berüchtigt für Gulag-Straflager, wollte der Gouverneur zu einem Zentrum der Kunst formen. Dafür investierte er jedes Jahr umgerechnet 53 Millionen Dollar in Museen und Theater. Mit Gelmans Hilfe sollte Perm sogar Kulturhauptstadt Europas werden. 2012 allerdings setzte der Kreml einen neuen Gouverneur ein, einen orthodoxen Hardliner namens Wiktor Bassargin.

Nun erschienen Slonows Sotschi-Karikaturen dem neuen Provinzchef "unpatriotisch", die Ausstellung dürfe nicht in Perm gezeigt werden. Die Schuld schob er allein dem Querkopf Gelman zu, der Kurator nutze Perm aus zu "Selbstprofilierung". Dabei hatte Bassargins Kultusminister die Ausstellung ursprünglich abgesegnet.

Slonow, der Künstler aus Sibirien, kann die Aufregung um seine Werke nicht so recht verstehen: "Wo bleibt da der Humor?", fragt er. Mit dem Stalin-Vampir, der Handgranate und den olympischen Stacheldrahtringen habe er gar nicht Putins Winterspiele kritisieren wollen - sondern "Vorurteile, die über Russland existieren".

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