So ein Theater "Ich spiele keine Schatzis"

Die Schauspielerin Nina Kunzendorf, 37, über ihr Comeback bei den Salzburger Festspielen, ihr Leben als Vollmama und ihr Faible für sperrige Rollen

KulturSPIEGEL: Frau Kunzendorf, Sie haben den Grimme-Preis und den Bayerischen Fernsehpreis gewonnen, für Filme wie "Entführt", "Hurenkinder" und "Marias letzte Reise", mit Top-Regisseuren gearbeitet und zuletzt zweimal im "Tatort" vor der Kamera gestanden. Und doch: Ihr Name sagt dem breiten Publikum nichts. Wie kann das sein?

Kunzendorf: Das hat sicher auch mit den Figuren zu tun, die ich spiele. Anders als auf dem Theater bin ich im Film eher abonniert aufs Dramatische. Ich werde gern besetzt als die Spröde, Sperrige. Das sind keine Schatzis, die dem Zuschauer auf den Schoß springen.

KulturSPIEGEL: So wie der geheimnisvolle "Scharlachrote Engel", die Titelfigur in einem preisgekrönten "Polizeiruf" von Dominik Graf. Diese Frau vergisst man nicht so schnell. Legen Sie es darauf an, hinter Ihren Rollen zu verschwinden?

Kunzendorf: Nein, aber ich finde es toll, wenn den Zuschauern eine Figur im Kopf bleibt. Darum geht es doch und nicht um mich als Privatperson. Natürlich freue ich mich, wenn mich jemand beim Bäcker erkennt. Aber ehrlich gesagt komme ich mir immer noch komisch vor, wenn ich nach einem Autogramm gefragt werde.

KulturSPIEGEL: Lehnen Sie Angebote für leichtere, amüsantere Filme denn grundsätzlich ab?

Kunzendorf: Ich würde wahnsinnig gern mal eine Komödie spielen. Aber ich war schon während meiner Ausbildung an der Schauspielschule in Hamburg auf die Taffe festgelegt. Statt der zarten Ophelia war ich schon damals Gertrud, die alkoholisierte Mutter von Hamlet. Das hat auch Vorteile. Viele Schauspielerinnen haben ja große Schwierigkeiten, den Sprung aus der Mädchenecke zu schaffen.

KulturSPIEGEL: Sie dagegen haben mit Anfang dreißig lauter tolle erwachsene Frauen gespielt und sind dann auf dem Karrierehöhepunkt in die Babypause gegangen. Hatten Sie Angst vor dem Erfolg?

Kunzendorf: Nein, ich wollte ganz einfach ein Kind! Der Grimme-Preis kam ja erst, als das Baby schon da war. Es gibt viele Schauspielerinnen, die mit Anfang vierzig merken: Oh, ich habe den Moment fürs Kinderkriegen verpasst. Das wollte ich nie. Wenn du anfängst, über den richtigen Zeitpunkt nachzudenken, passt es eigentlich nie.

KulturSPIEGEL: Kann man ein guter Künstler sein, ohne ausschließlich für die Kunst zu leben?

Kunzendorf: Man kriegt auf der Schauspielschule schon unterschwellig eingeimpft, dass ein wirklicher Künstler besessen sein muss von seinem Beruf und auch gern ein bisschen verrückt sein darf. Es gibt daher viele Schauspieler, für die das Leben auf der Bühne stattfindet, die leben in den Figuren. Und dann gibt es Schauspieler, die ihren Beruf sehr gerne machen, aber das wirkliche Leben findet davor und danach statt. So jemand bin ich. Ich liebe meinen Beruf, aber ich bin weder besessen noch irgendwie crazy.

KulturSPIEGEL: In dem Stück, für das Sie jetzt bei den Salzburger Festspielen auf die Bühne zurückkehren, geht es auch um so einen Ausschließlichkeits-Künstler, dem das wahre Leben entglitten ist: Krapp, der Held aus Samuel Becketts berühmtem Monolog "Das letzte Band".

Kunzendorf: Ja, Krapp zieht am Ende seines Lebens Bilanz und muss sich eingestehen, dass nicht viel geblieben ist. Die eine, möglicherweise große Liebe hat er seiner Schriftstellerei geopfert; er hat sie nicht gelebt. Mein Kollege André Jung spielt diesen Krapp im ersten Teil des Abends, dem Beckett-Klassiker. Dann gibt es einen zweiten Teil, darin spiele ich die namenlose Frau.

KulturSPIEGEL: Dieser zweite Teil besteht aus dem neuen Monolog "Bis dass der Tag euch scheidet" - es ist eine Replik auf "Das letzte Band", die der Dichter Peter Handke jetzt, rund 50 Jahre später, geschrieben hat.

Kunzendorf: Ja, Handke lässt die Frau zu Wort kommen, an die sich Krapp in seinem Monolog erinnert: mit ihrer Sicht der Dinge, mit ihrer Quittung für eine schwierige Beziehung. Sie klagt: "Mein Platz war ausschließlich in deinen Sätzen - und für keine einzige Realsekunde bei dir, in dir." Es ist ein Echo auf Beckett, aber gleichzeitig auch ein sehr persönlicher Text von Handke über eine eigene Beziehungsgeschichte. Er hat diesen Monolog seiner Ex-Frau Sophie Semin gewidmet.

KulturSPIEGEL: Die Salzburger Premiere ist Ihr erster Bühnenauftritt nach vier Jahren Pause. Wieso haben Sie sich so rargemacht?

Kunzendorf: Meine Kinder sind noch sehr klein, dreieinhalb und zwei, und ich bin so eine Vollmama: Ich will die Kinder nicht um mich oder um mein Leben herum organisieren. Filme fürs Fernsehen zu drehen ist da einfach verträglicher, es lässt sich besser organisieren als wochenlange Theaterproben. Ich mache nicht mehr als zwei, drei Projekte im Jahr, und da verdient man beim Film natürlich viel mehr.

KulturSPIEGEL: Wieso haben Sie sich ausgerechnet dieses Projekt für Ihr Bühnen-Comeback ausgesucht?

Kunzendorf: Na ja, Comeback. Ich spiele einfach nach sehr langer Zeit endlich mal wieder Theater. Die Hauptmotivation war meine große Zuneigung zu Jossi Wieler, dem Regisseur des Abends. Als ich noch fest im Ensemble der Münchner Kammerspiele war, habe ich mit ihm "Alkestis" und "Mittagswende" gemacht, für mich zwei meiner wichtigsten Theaterarbeiten. Darüber hinaus war ich an einem Punkt, an dem ich gesagt habe: Wenn ich jetzt nicht mal wieder Theater spiele, dann ist es vielleicht zu spät. Es haut einen ganz schnell raus aus diesem Karussell; viele Regisseure kennen mich gar nicht mehr als Theaterschauspielerin.

"Sex-Skandal auf der Porno-Insel"


KulturSPIEGEL:
Mochten Sie Handkes Text beim ersten Lesen?

Kunzendorf: Ich bin keine Schauspielerin, die "Hier" schreit, wenn Monologe verteilt werden. In einer Fußballmannschaft wäre ich nie der Torwart. Ich spiele wahnsinnig gern mit Kollegen zusammen. Und der Text war mir beim ersten Lesen schon sehr fremd. Beim Proben rückt er sehr viel näher. Es ist ein toller Text, aber es ist ein ganz schön weiter Weg, ihn ins Spiel zu kriegen.

KulturSPIEGEL: Inwiefern?

Kunzendorf: Der Text ist komplett situationsfrei. Eine namenlose Frau tritt auf, woher auch immer, wohin auch immer, und redet los, zieht ihrerseits Bilanz. Obwohl sie die ganze Zeit spricht, erfährt man viel weniger über sie als über den Mann, den sie beschreibt. Der ist eine seltsame Mischung aus Krapp, Beckett und Handke selbst.

KulturSPIEGEL: An einigen Stellen liest sich der Text auch als ziemlich arrogante Abrechnung Handkes mit Beckett, etwa wenn er ihm seine effektheischenden Kunstpausen vorwirft.

Kunzendorf: Handke kratzt mit großer Lust an den Ikonen Krapp und Beckett. Und er benutzt "Das letzte Band" als Folie, um seine eigene Geschichte zu erzählen. Das tut er mit großem Respekt vor Beckett. In seinem Nachwort verbeugt er sich tief vor ihm.

KulturSPIEGEL: Haben Sie Angst davor, nach so langer Zeit wieder auf der Bühne zu stehen?

Kunzendorf: Ich habe vier Jahre nicht Theater gespielt - ich kann nur sagen, meine Nervosität hat sich gewaschen. Und dann ausgerechnet ein Monolog!

KulturSPIEGEL: Gibt es denn keinen Trick, mit dem Sie Ihre Nervosität bekämpfen können?

Kunzendorf: Wenn mir jemand einen verraten kann - ich wäre dankbar! Bislang war ich nie eine gute Premierenschauspielerin, weil mir die nötige Leichtigkeit und Souveränität fehlt. Vor einer Premiere klemmt es mir die Kiefer zusammen.

KulturSPIEGEL: Ist es wahr, dass Sie vor einem Auftritt hinter der Bühne schon mal eingeschlafen sind - angeblich aus Nervosität?

Kunzendorf: Ja, schon zweimal. Lustigerweise in Salzburg. Nervosität macht mich sehr müde. Das ist bei Tieren ähnlich: In einer Notsituation rennen sie weg - oder sie verfallen in Schockstarre. Das ist eine andere Art der Flucht.

KulturSPIEGEL: War diese Angst vor der Bühne auch der Grund dafür, dass Sie 2000, nach Ihrer Zeit am Hamburger Schauspielhaus, ein Jahr lang ganz aus dem Beruf ausgestiegen sind?

Kunzendorf: Das war nicht der Hauptgrund. Aber in meiner Hamburger Zeit habe ich dauernd gedacht, ich muss beweisen, dass ich das Recht habe, an diesem tollen Haus zu spielen. Das war so ein Stress, dass ich irgendwann gezweifelt habe, ob ich den Beruf überhaupt weitermachen kann.

KulturSPIEGEL: Ist solche Unsicherheit typisch weiblich?

Kunzendorf: Männer können besser faken. Es gibt auf jeden Fall viel mehr männliche Schauspieler, die so eine Haltung haben wie: Was soll ich dir spielen? Kein Problem, spiel ich dir! Ich finde das bewundernswert. Frauen neigen viel eher dazu, zu zweifeln und zu fragen: Kann ich das? Wie soll ich das denn machen?

KulturSPIEGEL: Bei der Premiere des Shakespeare-Mammutprojekts "Schlachten" auf der Perner-Insel in Hallein, einem zwölfstündigen Spektakel im Rahmen der Salzburger Festspiele, sorgten Sie für einen Skandal, weil Sie nackt auftraten und auch noch mit Blut übergossen wurden.

Kunzendorf: O ja, der "Sex-Skandal auf der Porno-Insel". So lautete damals die Schlagzeile eines Boulevardblatts.

KulturSPIEGEL: Hat Sie das mitgenommen?

Kunzendorf: Die Schlagzeile fand ich eher komisch. Schaurig fand ich, dass in dem kleinen piefigen Fotoladen in Hallein am Tag nach der Fotoprobe schlimme Nacktfotos von mir ausgestellt waren, ganz schauderhaft, wirklich wie aus einem schlechten Pornofilm. Das hat mich sehr getroffen. Ich war damals völlig unerfahren mit so was. Eigentlich hätte man bei der Fotoprobe sagen müssen, wie das ja oft gemacht wird: Ab diesem einen Moment wird nicht fotografiert, danach könnt ihr wieder. Tatsächlich verlief diese Probe so, dass man über Stunden immer mal wieder ein vereinzeltes "Klick" hörte. Kaum hatte ich mein Kleid aufgemacht, ging ein Dauerfeuer los: Drrrrrrrrrr.

KulturSPIEGEL: Ihre Arbeit jetzt ist eher ein Anti-Spektakel: zwei Schauspieler in zwei langen Monologen, sonst nichts. Ist das eine andere Art von Nacktheit, so ungeschützt auf der Bühne?

Kunzendorf: Ich bin froh, dass mein Kollege André Jung an meiner Seite ist, aber ich würde mich weniger nackt fühlen, wenn er hin und wieder was sagen dürfte. Für meine nächste Theaterinszenierung wünsche ich mir jedenfalls eine andere Rolle: Ich würde gern mal in einem zwanzigköpfigen griechischen Chor stehen.


Das letzte Band/Bis dass der Tag euch scheidet. Premiere am 9.8. bei den Salzburger Festspielen . Auch vom 10. bis 13.8., Tel. 0043/662/804 55 00. Ab 30.10. an den Münchner Kammerspielen .

Das Interview führten Tobias Becker und Anke Dürr.
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