SPD auf Kuschelkurs Warmes Deutschland
Endlich, endlich wird es wieder wärmer bei uns. Es wurde auch höchste Zeit. Die gefühlte Temperatur steigt, ganz entgegen der jahreszeitlichen Tendenz. Man spürt es überall. Wie eine warme Dusche geht die frohe Botschaft durch Deutschland: Schubidubiduu, alles wird gut!
Länger gezahltes Arbeitslosengeld I, Wiedereinführung der Pendlerpauschale, Tempo 130 auf Autobahnen, Aufweichung der Rente mit 67 durch noch mehr Ausnahmen und Übergangsregelungen, Kindergeld bis 27 und und und.
Wunderbar.

SPD-Chef Beck: Weiches Wasser und wohlige Kuschelwärme
Foto: DPADie durchsichtige Propaganda finanzstarker Heuschreckenkreise gegen "Warmduscher" und "Heulsusen" ist von gestern. Genauso wie die "neue Mitte", 12-Stunden-Arbeitstage und die peinliche Porsche-Protzerei voll durchgegelter Start-up-Yuppies.
Selbst GDL-Chef Manfred Schell, ausgewiesener Sportwagenfan, der sich auch vom total sanften Lokführerstreik nicht von seiner mehrwöchigen Kur abhalten lässt, hat seinen turbokapitalistischen Ferrari inzwischen eingemottet, nachdem er ihn an die Leitplanke gesetzt hatte.
Der Name Beck steht nicht mehr länger für ein herbes Kühles aus dem klaren Norden, für den harten Geschmack junger drahtiger Erfolgsmenschen, sondern für wohlige Kuschelwärme aus der Pfalz, irgendwo zwischen grünem Rebstock, süßer Meckifrisur und schnuckeliger Weinkönigin.
"Weiches Wasser bricht den Stein" die geniale Liedzeile jener SPD-Hymne aus den achtziger Jahren, die vom heutigen Spitzenmann der Partei "Die Linke", Diether Dehm alias "Lerryn" alias "IM Willy" alias "IM Dieter", noch zu Willy Brandts Zeiten gedichtet wurde, ist endlich Wirklichkeit geworden. "Tausendmal berührt, tausendmal ist nichts passiert" auch diese Liedzeile stammt von Dehm. "Tausend und eine Nacht, und es hat Zoom gemacht!"
So soll es sein, so wird es sein.
Plötzlich, wie durch ein Wunder, weicht die soziale Kälte wie Schnee in der Märzsonne - zugunsten des "demokratischen Sozialismus" der SPD. Im ARD-"Bericht aus Berlin" wurde im Überschwang schon fälschlich gemeldet, zum Abschluss des Hamburger Parteitags sei die "Internationale" gesungen worden. Es handelte sich leider nur um einen redaktionellen Falschhörer.
Unter Gerhard Schröder, dem zähnebleckenden Agenten 2010, war der "demokratische Sozialismus" ein bisschen in Vergessenheit geraten. Nun strahlt er wieder ohn' Unterlass.
Was er genau bedeutet, weiß niemand, aber darum geht es auch nicht. Denn der gefühlte Sozialismus der Herzen ist keine Sache abgehobener Theoretiker, geschulter Marxisten und lebensferner Kritikaster. Er ist eine Sache von Einfühlung und Empathie. Wer's nicht fühlt, der wird es nie erjagen.
Wärmedämmung auf zwei Beinen
"Mehr Wärme!" heißt es jetzt landauf landab, und das versteht jeder. Ganz offensichtlich ist diese Botschaft eine sozialpolitische Weiterentwicklung der letzten Worte Johann Wolfgang von Goethes, der laut Überlieferung auf dem Sterbett röchelnd ausrief: "Mehr Licht!"
Wir Heutigen hätten dem freilich hinzugefügt: Gewiss, verehrtester Geheimer Rat, aber bitte nur mit der Energiesparlampe! Und mit Wärmedämmung im morschen Gebälk. Doch wir Glücklichen des 21. Jahrhunderts haben ja Kurt Beck, die Wärmedämmung auf zwei Beinen, den Teddybär aus Mainz am Rhein.
Was wir derzeit in Deutschland erleben, ist aber auch eine Rückkehr zu den Wurzeln der Arbeiterbewegung: Schon zu Beginn des 20. Jahrhunderts entstanden die ersten "Licht- und Luftbäder", um Sonne und Wärme auch denen zukommen zu lassen, die in dunklen Hinterhöfen hausen mussten. Fast so wie heute, wo es in politischen Talkshows wieder heißt: "Arme Kinder, armes Deutschland?" ("Maybrit Illner", heute Abend).
Das Schönste an der neuen Wärme: Sie ist CO2-neutral, denn sie kommt von innen. Eine Klimaerwärmung der anderen Art. Sanft, schonend, ökologisch, sozial und gewaltfrei.
Vorbei die furchtbaren Zeiten unter der rotgrünen Regierung, als neoliberale Scharfmacher, Einpeitscher eines vermeintlichen "Reformstaus", reaktionäre "Konzernfeuilletonisten" und andere "Kettenhunde des Kapitals" (Dehm) einen "Ruck" forderten, der angeblich durch Deutschland gehen müsse.
Wer fühlt schon einen ausgeglichenen Bundeshaushalt?
Und was haben wir nun davon? 650.000 Arbeitslose weniger als vor einem Jahr, den höchsten Beschäftigungsstand seit Gründung der Bundesrepublik, eine Million freie Jobs, einen ausgeglichenen Haushalt, allmählich steigende Löhne und Renten. Dazu jede Menge neue Windkrafträder und die Frauenfußballweltmeisterschaft 2011.
Doch das sind alles bloß nackte, kalte Zahlen, an die keiner glaubt. Und die nichts wirklich besser machen. Oskar Lafontaine bräuchte nicht einmal zwei Minuten, um diese Erfolgsbilanz in eine einzige Katastrophenlandschaft zu verwandeln "Hartz IV"-Elend, Hunger- und Dumpinglöhne, Leiharbeit, Kinderarmut, Altersarmut und eine Gerechtigkeitslücke so tief wie der Grand Canyon.
Das einzige Problem mit Oskar: Er erregt sich immer noch zu leicht und kriegt rote Backen, wenn er Münte nur von Ferne sieht. Er hat den neuen, sanften Zeitgeist noch nicht begriffen: Weiches Wasser bricht den Stein, nicht eine Zahlenkanonade, die wie die Wurfspeere der blind anrennenden Griechen vor Troja kreuz und quer durch die Landschaft zischt.
Der neue, liebe Tonfall in Deutschland geht so: Der Aufschwung kommt einfach nicht bei den Menschen an. Hören Sie sich mal bei den "kleinen Leuten" um, beim kleinen Mann und der kleinen Frau. Die spüren nichts.
Wer hier nun fragen sollte, warum 650.000 Leute, die einen neuen Job haben, nichts davon merken, ist schon wieder auf der falschen, zynisch-kalten Spur technokratischer Gefühllosigkeit.
Es geht nicht um den reinen Job sonst gäbe es auch nicht so viele unbesetzte Stellen , es geht um das ganze Drumherum, um das Gefühl, dass der Aufschwung da ist und bei mir zu Hause ankommt, mitten in der neuen Küchenzeile, direkt vor dem Flachbildfernseher, auf dem Tisch, wo die beiden neuen Handys liegen.
Und da ist eben nichts. Wer fühlt auch schon einen ausgeglichenen Bundeshaushalt außer Peer Steinbrück? Und der hat, siehe sein Gerede von den sozialdemokratischen "Heulsusen", sowieso kein Gefühl.
Dafür aber wird der Strom teurer, Butter, Milch und Benzin, Öl sowieso. Die gefühlte Inflation ist monströs, da kann das Statistische Bundesamt sagen, was es will. Von wegen repräsentativer "Warenkorb" diese eiskalten Mathematiker haben doch keine Ahnung, wie es auf dem Butterbrot zu Hause aussieht. Das sieht nur, wer "näher am Menschen" wahlweise "näher bei den Menschen" ist. So wie Kurt Beck. Der weiß genau, wie es am Sonntagmorgen auf den Marmeladenbrötchen der Nation aussieht.
Der ist einfach näher dran.
Nur absolute Zyniker erinnern sich bei alldem an Kurt Tucholsky. Der war auch ganz nah bei den Menschen. 1930 schrieb er über die ewigen Bemühungen der deutschen Sozialdemokratie um eine bessere Welt:
"Es is' so ein beruhjendes Jefiehl. Man tut wat for de Revolutzjon, aber man weeß janz jenau: mit diese Pachtei kommt se nich."