Starfotograf Juergen Teller "Das Leben ist extrem"
Der Blick ist verschwommen. Durch eine Windschutzscheibe sieht man eine gewöhnliche Autobahn, eine Landschaft, völlig unspektakulär. Das ist der erste Blick. Das Besondere zeigt sich auf den zweiten, und zwar im Rückspiegel. In ihm blitzt weiß unter dunkler Kleidung eine nackte weibliche Brust.
"Driving Down to Cornwall" heißt das Foto. Juergen Teller hat es 1996 aufgenommen, es ist recht unbekannt und wirkt untypisch - enthält aber vieles, was für den Look von Tellers Fotos charakteristisch ist.
Das Verwischte.
Das Beiläufige.
Der Blick auf weibliche Schönheit jenseits konventioneller Posen.
Aufgewachsen ist der heute 45-jährige Fotograf in dem Dorf Bubenreuth in der Nähe von Erlangen. Keine 25 Kilometer entfernt, in der Nürnberger Kunsthalle, hat der heute in London lebende Teller jetzt eine Ausstellung. Und mit einer der drei dort gezeigten neuen Serien blickt er zurück in seinen Heimatort.
Schon einmal, 2002 für "Märchenstüberl", hat Teller in seinem Elternhaus fotografiert. Damals knipste er sich selbst nackt - etwa auf der Bank in der Sitzecke stehend. Es wirkte, als wolle er testen, ob diese Enge ihn so noch aushält - so bloß, direkt und auch ein wenig unverschämt wie er heute ist, da er längst ausgebrochen ist aus der Provinz.
Nach einem kurzen Fotografiestudium in München war Teller in den achtziger Jahren nach London gegangen. Dort wurde er in den Neunzigern relativ schnell zu einem der meist gefragten Portätfotografen - mit Bildern etwa von Kurt Cobain auf einer frühen Nirvana-Tournee oder dem legendären Backstage-Shooting "Versace Heart" mit dem Model Kristen McMenamy. Damals wirkte er wesentlich daran mit, dass ein anderes, unperfekteres Bild von Schönheit selbst in Glamour-Magazine einsickerte.
Gerade deshalb bekam der Mann aus dem Fränkischen von da an die schönsten, interessantesten oder berühmtesten Frauen vor die Kamera: Kate Moss, Charlotte Rampling, Eva Herzigova, Sofia Coppola, Victoria Beckham. Letztere steckte er sogar in die Tasche - denn er fotografierte sie für eine Marc-Jacobs-Werbekampagne so, dass nur noch ihre Beine aus einer Oversize Bag herausschauten.
Eine Nacht im Louvre
Im vergangenen Jahr hat sich Teller dann das brasilianische Model Raquel Zimmermann nach Bubenreuth bestellt. Und ein bisschen ist es, als habe er sich diesmal seine Bubenträume vor die Linse geholt. Da steht Raquel, nur mit einem Slip bekleidet, auf dem Couchtisch - wie eine Erscheinung zwischen den bronzenen Hängeleuchten.
Gerade die blonde, lässige Raquel habe er gewählt, weil "meine Freundinnen in meinen Jugendträumen immer blond, langhaarig und hippiemäßig waren", verriet Teller am Tag vor der Ausstellungseröffnung. "In Wirklichkeit aber sahen sie alle anders aus."
Hat er dem blonden Model deshalb für einige Fotos eine braune Lockenperücke aufgesetzt? Der sonst so offene Teller wird ein wenig geheimnisvoll: "Da kommt ein Geist ins Spiel, ein guter oder ein böser." Mehr sagt er nicht.
Tatsächlich liegt die Atmosphäre eines dunklen Familiengeheimnisses über diesen Bildern. In einem Interview mit dem Magazin "Qvest" hat Teller seinen - bei aller Zartheit - oft radikalen Blick zu erklären versucht und dabei den Suizid seines Vaters erwähnt. Der brachte sich um, als sein Sohn schon nach London gegangen war. "Wenn dein Vater sich umbringt, ist das extrem. Das Leben ist extrem. Schön und extrem. Ich versuche das einfach zu verarbeiten."
Für seine zweite in Nürnberg gezeigte Serie modelte Elisabeth, die Tochter der Fürstin Gloria von Thurn und Taxis. Für "Der Schlüssel im Schloss" trägt sie die extravaganten Kleider, mit denen sich Gloria in den Achtzigern, unterstützt von aberwitziger Haartracht, zur schrillsten der von der Regenbogenpresse liebkosten Adeligen aufbrezelte. Übernachten und fotografieren durfte Teller für die Serie im Stammsitz der Familie in Regensburg. Und da kommt er dann wieder durch, der Junge aus dem benachbarten Franken: "Den Schlüssel zu allen 500 Zimmern von Schloss St. Emmeram in der Hand zu haben - da fühlt man sich schon wie der King."
Königlich muss er sich auch gefühlt haben, als er 2004 mit Charlotte Rampling die spektakuläre Fotoserie "Louis XV" inszenierte. Er, zusammengerollt wie ein Kind an ihrer Brust, oder sie, im Abendkleid in seinen Armen - und er dabei splitterfasernackt. Für "Paradis" hat er es in diesem Jahr endlich geschafft, die Schauspielerin selbst nackt vor die Kamera zu bekommen. Das Setting war einfach zu verführerisch: Eine Nacht im Louvre, keine Besuchermengen, nur sie allein in der Antikenabteilung oder zusammen mit Model Raquel vor der Mona Lisa. Da konnte nicht einmal die Rampling nein sagen.
Sicher hat da auch Tellers eigene Offenheit geholfen: "Ich kann mich anderen Menschen gegenüber bis zur Schmerzgrenze öffnen", hat er einmal gesagt. Dieses exhibitionistische Moment, durch das er immer wieder auch sich selbst ins Bild bringt, ist vielleicht auch ein wenig peinlich. Aber interessant, ja, emanzipatorisch ist es bei einem, dessen Job und Talent es ist, diesen Exhibitionismus anderen abzuverlangen.
Wie damals, als er "Driving Down to Cornwall" aufnahm. Wie es zu der Brust im Rückspiegel kam, erklärt Teller, während er draußen vor der Tür der Kunsthalle eine Zigarette raucht. "Meine Freundin hatte damals ein Haus auf dem Land. Wir fuhren mit dem Auto und die gut vierstündige Fahrt zog sich. Da habe ich ihre Jacke zur Seite geschoben und den Rückspiegel so lange verstellt, bis dieses Bild da war."
Juergen Teller - Logisch!, 10. Dezember bis 14. Februar 2010 in der Kunsthalle Nürnberg