Fotostrecke

Musikfan Segerman: "Rodriguez hat uns befreit"

Foto: Rapid Eye Movies

Oscar-prämierte Doku "Rodriguez' Musik hat uns befreit"

Ein mexikanischer Musiker, weiße Fans in Südafrika, das Ende der Apartheid: Die Doku "Searching for Sugar Man" erzählt die skurrile Geschichte des Sängers Rodriguez - und wurde nun mit dem Oscar geehrt. Im Interview erzählt Stephen Segerman, einer der Helden des Films, warum Rodriguez eine Symbolfigur der Hoffnung ist.

Anfang der siebziger Jahre veröffentlicht der Singer-Songwriter Sixto Rodriguez in den USA zwei Alben, beide floppen. Rodriguez gibt die Musik auf, studiert und arbeitet schließlich auf dem Bau. Doch auf undurchschaubare Weise gelangt eine Kopie seines Debüts "Cold Fact" nach Südafrika, das aufgrund der Apartheid-Politik politisch isoliert ist. Das Album wird unter der weißen Bevölkerung weitergereicht - und zum Hit.

Rodriguez wird zum Star, doch zu einem Star, über den man nichts weiß. Gerüchte kommen auf, Rodriguez sei längst tot, er habe sich auf offener Bühne erschossen. Nach dem Ende der Apartheid machen sich der Musikliebhaber Stephen Segerman und der Journalist Craig Bartholomew auf die Suche nach Rodriguez.

"Searching for Sugar Man" erzählt die Geschichte dieser Suche, am Sonntagabend hat der schwedische Regisseur Malik Bendjelloul dafür den Oscar für den besten Dokumentarfilm gewonnen. SPIEGEL ONLINE sprach mit Stephen Segerman, der die Suche nach Rodriguez einst begonnen hat.

SPIEGEL ONLINE: Herr Segerman, durch Sie ist Rodriguez von den Toten auferstanden, Sie haben ihn gefunden. Können Sie sich an den Moment erinnern, der alles veränderte?

Segerman: Ja, natürlich, um ein Uhr nachts klingelte das Telefon und meine Frau ging ran. Rodriguez sagte „Is that Sugar?“ Sugar ist mein Spitzname, eine Mischung aus meinem Nachnamen Segerman und Rodriguez' Song „Sugar Man“. Wissen Sie was? Seitdem habe ich zwei Leben. Mein normales Leben und das Rodriguez-Leben. Manchmal wache ich morgens auf und denke ich träume, aber dann merke ich, nein, es ist alles wahr.

SPIEGEL ONLINE: Und jetzt auch noch der Oscar...

Segerman: Puh, das ist irre. Zuerst kam Malik, der Regisseur, und wollte einen kurzen Film fürs Fernsehen machen. Dann wurde es ein langer Film. Ich wusste natürlich immer, dass die Geschichte toll ist, aber dass sie nun so riesig geworden ist, ist seltsam. Immerhin ist es meine Geschichte. Und eigentlich habe ich einfach nur immer an Rodriguez' Musik geglaubt, und das tue ich immer noch.

SPIEGEL ONLINE: Der Film erzählt, dass die Texte von Rodriguez, über Freiheit und gegen das Establishment, im Apartheid-Südafrika einen Nerv trafen.

Segerman: Das stimmt - und doch ist es am Ende einfach nur gute Musik. Vielleicht hörst du die Texte, und sie beeinflussen dich ein wenig, und du kannst jede Zeile auswendig. Doch am Ende bleibt "Cold Fact" einfach ein sehr gutes Album.

SPIEGEL ONLINE: Sie meinen nicht, dass seine Musik etwas bewegen konnte?

Segerman: Doch natürlich, im Kleinen. Ich habe Rodriguez gehört, als ich in der Armee war, außerdem Leonard Cohen. Das zeigt Ihnen, wie wir uns in der Armee gefühlt haben. Man wollte dort nicht sein, es war wie im Gefängnis.

SPIEGEL ONLINE: Im Film heißt es, die Musik sei der Soundtrack zur Veränderung gewesen.

Segerman: Naja, ich sage, dass die Musik der Soundtrack unseres Lebens war, denn wir hörten sie einfach immer. Und Craig, mein Partner bei der Suche nach Rodriguez, sagt: „Jede Revolution braucht eine Hymne“. Für uns war "Cold Fact" das Album, mit dem wir anfingen, anders zu denken, es befreite uns. Rodriguez begleitete uns nicht nur emotional, sondern auch auf politischer Ebene.

SPIEGEL ONLINE: Fühlten Sie persönlich sich damals unterdrückt?

Segerman: Wissen Sie, Craig spricht im Film von Unterdrückung, und manche finden das anstößig, weil es selbstverständlich die Schwarzen waren, die damals in Südafrika unterdrückt wurden. Es geht nicht darum, das abzustreiten. Und doch waren Weiße – in einem sehr viel geringeren Ausmaß – ebenfalls unterdrückt. Wir mussten in die Armee, da hatten wir keine Wahl. Ich war ein Jahr lang dort und hatte einen Bürojob. Ich habe nicht schießen müssen, aber einige Jungs mussten auf Schwarze schießen. Es war Mist, in der Armee zu sein. Also ja, in sehr viel geringerem Maße wurden wir auch unterdrückt.

SPIEGEL ONLINE: Haben Schwarze auch Rodriguez gehört?

Segerman: Ich dachte immer, dass er nur bei den Weißen populär gewesen wäre. Aber als wir für ein Screening in Durban waren, stellte mir in der anschließenden Fragerunde jemand diese Frage, und ich sagte, ich wüsste es nicht wirklich. Da meldete sich eine indische Frau und erzählte mir, dass sie an der Universität Anti-Apartheid-Aktivistin war und dass sie auch Rodriguez gehört habe. Und nicht nur sie, auch Schwarze und Coloureds hätten ihn gehört – sogar Steve Biko...

SPIEGEL ONLINE: ...der Begründer der Black-Consciousness-Bewegung in den siebziger Jahren.

Segerman: Ja, er steht sozusagen in einer Reihe mit Mandela. Können Sie sich das vorstellen?

SPIEGEL ONLINE: Die Musik hat damals auf Sie gewirkt, warum ist der Film ausgerechnet jetzt so eingeschlagen?

Segerman: Für Südafrikaner ist das ziemlich eindeutig. Viele, die Südafrika verlassen hatten, als die Weißen und die Apartheid das Land regierten, verloren irgendwie den Anschluss an ihre Heimat. Es gab in den letzten 20 Jahren nichts, was sie zurückgebracht hätte. Dann kam der Film. Er hat sie berührt. Sie sehen den Tafelberg in Kapstadt, sie sehen die Super-8-Aufnahmen, sie sehen Proteste auf dem Campus, sie hören Rodriguez – und nehmen ihre Kinder und sagen: Guckt mal, das waren wir! Wir waren nicht nur böse. Natürlich haben Weiße die Apartheid geprägt, aber es gab auch diese Seite.

SPIEGEL ONLINE: Der Film erlaubt es den Weißen, ihre Rolle neu zu bestimmen?

Segerman: Ja. Es ist genug Zeit vergangen, um eine neue Sicht auf die Geschichte zu wagen. Die Menschen sind offen dafür, offen für andere Meinungen. Es ist eine gute Zeit für den Film. Übrigens auch in anderer Weise. Nehmen Sie Amerika: Die Geschichte des einfachen Mannes, der durch den Schnee stapft, um auf dem Bau zu arbeiten und nicht nach mehr verlangt, sondern einfach nur anderen helfen möchte. Verflucht, Sie wissen doch wie es in Amerika aussieht, da regiert die Gier. Und dann sehen die Menschen diesen Film - und Rodriguez wird zur Ikone. Einfach dadurch, dass er so ist, wie er ist.

SPIEGEL ONLINE: Die Menschen suchen jemanden, zu dem sie aufschauen können?

Segerman: Genau, und sie suchen nach jemandem, der ihnen Hoffnung gibt. Wissen Sie, wie viele Künstler mir ihre CDs schicken, weil sie denken, ich könnte ihnen zum Durchbruch verhelfen? Das kann ich natürlich nicht. Aber es ist trotzdem toll: Diese Menschen schreiben, dass sie dachten, alles sei vorbei, und dann kam Rodriguez mit seiner Geschichte, und das treibt sie an, weiterzumachen. Rodriguez gibt den Menschen Hoffnung. Das ist sein Vermächtnis.

Das Interview führte Judith Scholter

Mehr lesen über

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren