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Französisches Schlumpf-Buch: Die Blauen und die Braunen

Foto: ddp images/ Peyo

Streit über die Schlümpfe Stalinismus in Schlumpfhausen?

Papa Schlumpf ist ein Diktator, Schlumpfine ein faschistisches Pin-Up. Das jedenfalls behauptet der französische Autor Antoine Buéno in einer soziologischen Betrachtung über das Reich der blauen Zwerge. Die Franzosen schäumen über die ideologische Demontage ihrer Comic-Helden.

Für ihre Fans sind die kleinen knubbeligen Kerle der Inbegriff von Idylle, friedliebende Wichtel mit allenfalls etwas gewöhnungsbedürftigem Sprachschatz. Für den französischen Autor Antoine Buéno hingegen verkörpern die Zwerge übelste Stereotypen und Vorurteile: Beide Lager meinen die Schlümpfe - jene blauhäutigen Däumlinge, die der belgische Illustrator Peyo 1958 erfand.

Die mittelalterlichen Minis leben harmonisch in einem kleinen Dorf mitten im Wald. Die einzige Bedrohung dieser Märchenwelt stellen der hinterhältige Riese Gargamel und dessen verfressene Katze Azrael dar; doch mit Witz, Raffinesse und unter der Führung des Großen Schlumpf - in Deutschland Papa Schlumpf genannt - meistern sie die kuriosesten Herausforderungen.

Mehr als 50 Comic-Alben erzählen von den Abenteuern der Schlumpfgemeinschaft, dazu kommen Kurzgeschichten, Witzsammlungen und Werbetexte - die Schlümpfe haben bereits für Schokolade, Kekse, Butter und Brause geworben. Außerdem boten sie schon Stoff für Bücher, Fernseh- und Kinofilme. Und nicht zuletzt die Vermarktung von Plastikfiguren, Plüschzwergen, Platten und Videospielen machte die blauen Zwerge zu den Profit-Giganten des Comic-Geschäfts, das seit dem Tod Peyos 1992 unter Federführung seines Sohnes Thierry Culliford weiter boomt.

Schlumpfine ein BDM-Traum?

In diesem Kommerz-Idyll ist jetzt ein Buch niedergegangen - mit dem Effekt einer Bombe. "Das kleine blaue Buch" von Antoine Buéno entlarvt die heile Welt der Wichtel als verkorkstes, krankes Konstrukt: Die Gesellschaft der Schlümpfe, so argumentiert der Forscher am Pariser Institut für Politische Wissenschaften, in seiner "politisch-kritischen Analyse", sei nicht weniger als ein "Archetyp totalitärer Utopie, geprägt von Stalinismus und Nationalsozialismus".

Die im besten Soziologen-Jargon verfasste These hat schon vor dem Erscheinen des Buches für einen wahren Zwergenaufstand unter den Schlumpfverehrern gesorgt: Im Internet wird der Autor mit Beleidigungen überhäuft, seine Argumentation bis ins kleinste Detail zerlegt, sogar von handfesten Drohungen berichtete Buéno im französischen Radio. Dem Zeichner Peyo warf er dabei gar nicht vor, vorsätzlich gehandelt zu haben; vielleicht hätte er die Stereotypen ganz unbewusst reproduziert.

Belege liefert der Autor massenhaft. Die Schlümpfe leben autark, gemeinsam baut man Brücken und Häuser, Privateigentum ist unbekannt, genauso wie Zahlungsmittel und - die Wichte unterstehen dem Großen Schlumpf. Da ist die Diagnose schnell gefällt: Hier handelt es sich um ein verkapptes Loblied auf Kollektivismus beziehungsweise Führerkult wie einst bei Hitler. Und dann ist da noch die einzige Zwergenfrau Schlumpfine, die erst mit blondem Haar zum Ziel schlumpfiger Begierden wird - ein Abbild des arischen Ideals, keine Frage.

Gargamel - eine antisemitische Karikatur?

Noch ein Beweis? Schon das allererste Album ("Die schwarzen Schlümpfe") konfrontiert die braven Wichtel mit einer "rassistischen Bedrohung". Sie werden Opfer ihrer Tuschfarbenen Gegner, die sich mit schwachsinnigem Gestotter verständigen und durch Zubeißen die blauen Herrenzwerge zu ihresgleichen mutieren lassen. Für Buéno liegt es auf der Hand: Hinter der Schilderung versteckt sich postkoloniale Ideologie, platter Rassismus im Gewand eines schwarz-blauen Klassenkampfes. Und der Erzfeind Gargamel samt seiner Katze trage Züge einer antisemitischen Karikatur.

Alles Wissenschaft, pure Spinnerei oder nur ein Witz? Oder vor allem eine PR-trächtige Streitschrift?

Antoine Buéno, Mehrfachtalent als TV-Moderator, Universitätslehrer und Zuarbeiter sowohl für die konservative UMP als auch für den Präsidentschaftskandidaten des Zentrums, versuchte bereits vor sechs Jahren mit seinen Thesen für Wirbel zu sorgen - damals allerdings in Romanform. Doch die schwerwiegenden Anwürfe verhallten. "Das kleine blaue Buch" dürfte hingegen zum Verkaufshit werden, schließlich kommt demnächst auch ein neuer Schlümpfefilm in die Kinos.

Die umsatzträchtige Kontroverse ist damit garantiert, auch wenn Buéno seine Analyse mittlerweile nur noch als spielerisch-intellektuelle Auseinandersetzung verstanden wissen will. Dabei gebührt der Ruhm der theoretischen Pionierarbeit einem ganz anderen Franzosen. Der Politikwissenschaftler Damien Boone von der nordfranzösischen Universität Lille hatte bereits vor vier Jahren eine Analyse der Schlümpfe mit umfangreichem Fußnotenapparat verfasst. Der Titel: "Beitrag zu einer Soziologie fiktionaler Werke am Beispiel der Schlümpfe." Darin arbeitet er fein säuberlich alle unterschiedlichen Deutungsweisen des Zwergenreiches auf.

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