
Hamburger Hafencity: Stadtteil der Reichen
Streit über Hafencity-Studie Reichenviertel oder Öko-Superstadt?
Das Fazit ist nicht eben schmeichelhaft: Hamburgs Hafencity sei "nicht das strahlende Modellprojekt für vollkommene Nachhaltigkeit" als das seine Erfinder sie gerne in der Öffentlichkeit darstellen. So steht es in einer Studie mit dem Titel "Wie nachhaltig ist die Hafencity", erarbeitet vom Zukunftsrat Hamburg. Die Organisation - ein politisch übergreifender Zusammenschluss, der vom DGB über die Architektenkammer bis zur altehrwürdigen "Patriotischen Gesellschaft" reicht - wurde 1997 mit dem Ziel gegründet, die "Agenda 21", ein Uno-Leitpapier zur nachhaltigen Entwicklung, auf lokaler Ebene voranzutreiben.
Vor dem Hintergrund, dass Hamburg im kommenden Jahr den Titel der "European Green Capital" trägt, ist die Kritik pikant. Hamburg hatte sich nicht zuletzt mit dem Projekt Hafencity beworben - als ein Beispiel für nachhaltige Stadtentwicklung. Die städtische HafenCity GmbH hat den Terminus "Nachhaltigkeit" gar zu einem zentralen Begriff bei der Vermarktung des neuen Stadtteils gemacht.
Zu Unrecht, wie die Studie befindet. Die Planer und Entwickler zeigten wenig Bereitschaft, in einen "ergebnisoffenen fachlichen Diskurs über Inhalt und Messbarkeit von Nachhaltigkeit" in dem neuen Stadtteil zu treten. Zwar ist die HafenCity GmbH seit 2008 selbst Mitglied des Zukunftsrates. Doch einem gemeinsamen Monitoring habe die Geschäftsführung eine Absage erteilt, beklagt Jochen Menzel, der Sprecher des Zukunftsrates. Entsprechend ungnädig ist der Ton der Studie.
Fuhrparks wie in Dubai
Nachhaltigkeit erfordere eine "langfristige Balance zwischen ökonomischer Stabilität, ökologischer Tragfähigkeit und sozialer Gerechtigkeit", definiert der Rat seine Kriterien. Vor allem in Sachen sozialer Gerechtigkeit hapere es im Falle Hafencity. Daran änderten auch die Genossenschaftswohnungen in mittlerer Preisklasse nichts. In dem Retortenstadtteil werden die höchsten Quadratmeterpreise der Stadt gezahlt, die Wohnfläche pro Einwohner beträgt mit 76,8 Quadratmeter mehr als doppelt so viel wie im Hamburger Durchschnitt. Und was den Fuhrpark angeht, können es die Hafencity-Bewohner offensichtlich mit der Oberschicht von Dubai aufnehmen: Pro Bewohner stehen im Durchschnitt drei PKW in der Garage. Der neue Stadtteil sei "insgesamt ein Reichenviertel", das sich vom Gemeinwesen abkoppelt. Wegen des Luxus-Images ergebe sich für die Hamburger "eher eine Art Zoo-Effekt".
Etwas freundlicher fällt die Bewertung in Sachen nachhaltiges Bauen aus: Zwar sei die Einführung eines Umwelt-Zertifikats für die Neubauten nicht verpflichtend und außerdem erst nach Fertigstellung des ersten Bauabschnittes erfolgt. Doch immerhin fördere die Zertifizierung "Nachhaltigkeit in einem wichtigen Bereich". Auch das "Nachhaltigkeitsgebot einer effizienten Flächennutzung" erfülle die Hafencity "in besonderem Maße".
In anderen Bereichen dagegen sieht der Zukunftsrat deutliche Defizite: Naturschutz? Zu wenig Grünflächen als Ausgleich für die dichtbebauten Wohn- und Büroareale und kein natürlicher Zugang zum Wasser. Lärm? Im verkehrsumtosten östlichen Teil der Hafencity, der als nächstes bebaut werden soll, könnten die Lärmschutzmaßnahmen "kaum ausreichen, um eine gesunde Nachtruhe zu gewährleisten". Verkehr? Konservativ, am Auto orientiert. Da helfe auch der Bau der neuen U-Bahn-Linie nicht: Ihn hält der Zukunftsrat für "das Gegenteil von Ressourcen- und Klimaschutz". Wegen der aufwendigen Bohrungen und der "gigantischen Energie- und Materialverbräuche" wäre eine Erschließung mit Bussen nachhaltiger gewesen, argumentiert die Studie.
Entscheidungen hinter verschlossenen Türen
Die Planungen für den Stadtteil reichen zurück in das Jahr 1991 und begannen als konspiratives Projekt. Der damalige SPD-Bürgermeister Henning Voscherau ließ von einer Task Force aus Behördenmitarbeitern und Managern der Hafengesellschaft nach und nach die Grundstücke des innenstadtnahen Freihafens aufkaufen, um 1997 einer überraschten Öffentlichkeit Europas größtes Stadtentwicklungsprojekt vorzustellen. Die Zukunftsrat-Studie kritisiert: Zwar habe die Geheimhaltung damals einen nachvollziehbaren Grund gehabt - man wollte der Grundstückspekulation vorbeugen. Doch die weitere Planung des Stadtteils sei dann "in kürzester Frist top down" geschehen - ohne Einbeziehung der Zivilgesellschaft.
Ob und wie die Hafencity einen "Beitrag der eigenen Stadt zu einer global nachhaltigen Entwicklung" stärken könne - solche Überlegungen hätten bei der Entwicklung des Areals keine Rolle gespielt, so die Studie. Stattdessen verdanke sich der neue Stadtteil "ungebrochenem Standortdenken und quantitativem Wachstumsbedürfnis."
"Kritik verfehlt", sagt die Hafencity GmbH
Die Hafencity GmbH hat am Mittwoch die Kritik erwartungsgemäß als "verfehlt" bezeichnet. Auf den Vorwurf des Zukunftsrates, man wolle sich nicht einem Nachhaltigkeits-Monitoring stellen, erklärte die Gesellschaft SPIEGEL ONLINE, es gäbe "gegenwärtig kein geeignetes Gerüst an Indikatoren für die Erfassung von ökologischer, ökonomischer und sozialer Nachhaltigkeit", das ein solches Monitoring erlaube. Nichtsdesdotrotz besteht die Hafencity GmbH darauf, der neue Stadtteil sei ein "Modellprojekt für eine ökologisch nachhaltige Stadtentwicklung." Auch könne man keineswegs von einem "Reichenviertel" sprechen. So seien im ersten Bauabschnitt 29 Prozent der Wohnungen Genossenschaftswohnungen, die zwischen 9,50 bis 13,50 Euro pro Quadratmeter kosten - "eine vergleichsweise preisgünstige Variante, um in der Innenstadt Hamburgs zu wohnen."
Auch die Empfehlung des Zukunftsrats, einen Gang zurückzuschalten und ein Moratorium für den Weiterbau der Hafencity zu erwägen, lehnt die Hafencity GmbH rundheraus ab: "Diese Forderung beruht auf einer falschen Einschätzung und ist absolut kontraproduktiv", erklärte Jürgen Bruns-Berentelg, Vorsitzender der Geschäftsführung der HafenCity Hamburg GmbH.
Ein doppelt schlechter Deal
Die Zukunftsrat-Studie begründet die Forderung nach einem Entwicklungsstop mit dem fehlenden Bedarf an Büroflächen und den Kosten, die den Hamburger Haushalt belasteten.
1997 hatte Bürgermeister Voscherau noch von der "marktgerecht selbst tragenden Entwicklung und Verwertung" des Großprojekts gesprochen und in Aussicht gestellt, dass die Vermarktung der Grundstücke den Bau eines hochmodernen Containerterminals finanzieren könne. Diese Erwartung habe sich jedoch nicht erfüllt, so der Zukunftsrat. Der Verkauf der Grundstücke werde voraussichtlich nicht mal die Infrastrukturkosten decken. Die Errichtung der Hafencity führe aus heutiger Sicht "zu einer deutlichen Erhöhung der Staatsschulden". Ein doppelt schlechter Deal, so das Resümee: Mit dem unprofitablen Verkauf der zuvor teuer aufbereiteten Liegenschaften "verliert Hamburg zugleich Zukunftsoptionen, diese Grundstücke später einmal anders - vielleicht gewinnbringender im qualitativen und quantitativen Sinne - zu nutzen."
Zur Finanzierung des neuen Stadtteils äußert sich die Hafencity GmbH in ihrer Antwort auf die Studie nicht. Insgesamt, so Bruns-Berentelg, falle der Zukunftsrat jedoch "hinter der internationalen Diskussion zurück."
Als Beweis zitiert der Geschäftsführer der Hafencity GmbH den Soziologen Richard Sennett, der sich in der "New York Times" positiv über die Hafencity geäußert habe: "Der westliche Teil der HafenCity ist state of the art und wirklich intelligent", zitiert das Blatt den berühmten Sozialphilosophen. Nachhaltigkeit sei hier "nicht bloß Schaufensterdekoration".
Auf Nachfrage von SPIEGEL ONLINE erklärte Richard Sennet, die New York Times habe das Zitat "verfälschend aus dem Kontext gerissen". Tatsächlich habe er das Hafencity-Konzept nur im Vergleich mit entsprechenden New Yorker Vorhaben positiv bewerten wollen: "Mir ging es um die grauenhafte Qualität der Pläne für den Brooklyn Navy Yard" - ein ehemaliges Werftgebiet für Kriegsschiffe. "Wenn man die studiert, muss man zu dem Schluss kommen, dass die Hafencity um einiges besser gemacht ist", so Sennet.