Struwwelpeter-Ausstellungen Der Reiz der Verbotenen

Suppenkaspar, Zappelphilipp und das ungehorsame Paulinchen: Die Hauptfiguren aus dem "Struwwelpeter" sind drollig, ihre Geschichten grausam und radikal. Zum 200. Geburtstag ihres Zeichners huldigt die Stadt Frankfurt dem erfolgreichen Kinderbuch gleich mehrfach.

Ausgerechnet der Unzufriedenheit eines Vaters mit Kinderbüchern ist der "Struwwelpeter" zu verdanken: Als der Arzt und Psychiater Heinrich Hoffmann zu Weihnachten 1844 seinem dreijährigen Sohn ein Buch kaufen wollte, eines, "das dem Verstand des Sohnes gerecht sein soll", fand er nichts, stattdessen "nur endlos lange Märchen, dumme oder erzieherische Geschichten". Mit einem leeren Notizbuch und dem Versprechen, daraus selbst ein richtiges Buch zu machen, kam Hoffmann nach Hause.

Zu Weihnachten lag das fertige Buch unter dem Baum - "Der Struwwelpeter", damals allerdings noch mit dem Titel "Lustige Geschichten und drollige Bilder mit 15 schön kolorierten Tafeln für Kinder von 3 bis 6 Jahren".

Anschauung hatte Hoffmann genug. In seiner Praxis hatte er häufiger mit Kindern zu tun und mit Eltern, "die den Kindern immer mit dem Kaminfeger und dem Doktor drohen, wenn sie mit ihren Erziehungskünsten am Ende sind: Mein Kleiner, wenn du dich nicht benimmst, holt dich der Kaminfeger" oder "Kind, wenn du zuviel isst, verschreibt dir der Doktor eine scheußliche Medizin." Nach solchen Drohungen versuchte Hoffmann, die schreienden Kleinen mit gezeichneten Geschichten zu beruhigen.

Ob ihm das ausgerechnet mit Geschichten wie dem Struwwelpeter gelang, mag bezweifelt werden, andererseits lieben Kinder Märchen - unbeeindruckt von deren Grausamkeiten. Und die Probleme, um die es im Struwwelpeter geht, sind noch heute die gleichen zwischen Kindern und Eltern: das Essen, die Sauberkeit und das Ablegen kindlicher Gewohnheiten, etwa des Daumenlutschens. Es geht um den Reiz des Verbotenen, um Erziehung, Bildung und Respekt.

Aus dem Struwwelpeter jedenfalls, der als Buch 1845 erschien und schon einen Monat später ausverkauft war, ist eines der erfolgreichsten und weltweit bekannten Kinderbücher geworden.

Es gibt ihn in sämtlichen deutschen Dialekten, er wurde in etliche Sprachen übersetzt, ins Englische von Mark Twain. Es gibt ihn vertont und auf der Bühne, er wurde umgeschrieben, umgedeutet und einem Geschlechterwandel unterzogen.

Und natürlich steht er auf dem Index vieler Eltern: wegen seiner anscheinend repressiv-autoritären Erziehungsmethoden und wegen der Grausamkeit und Radikalität seiner Geschichten.

Trotzdem können manche Kinder noch heute die Verse vom ungehorsamen Paulinchen hersagen, das gegen das Verbot der Mutter und trotz der Warnungen von Mienz und Maunz, den Katzen, mit Streichhölzern spielt und zu einem Häuflein Asche verbrennt.

Oder die vom Zappelphilipp, dem hyperaktiven Kind, das am Tisch nicht still sitzen kann, mit dem Stuhl solange kippelt, bis es umfällt und unter der Tischdecke mit Geschirr und Mahlzeit vergraben wird - "und die Mutter blicket stumm auf dem ganzen Tisch herum".

Diese Geschichte hat sogar der Krankheit ADHS - Aufmerksamkeitsdefizit- und Hyperaktivitätsstörung - eine verständlichere Bezeichnung eingetragen, nämlich "Zappelphilipp-Syndrom".

Auch die Geschichte vom "Suppenkaspar", die wahrscheinlich bekannteste aus dem "Struwwelpeter", hat einen medizinisch-psychologischen Hintergrund, nämlich die Verweigerung der Nahrungsaufnahme, die Hoffmann offenbar aus seiner Praxis kannte.

Alles gute Gründe, sich mit dem Struwwelpeter zu befassen, besonders in Frankfurt, wo Heinrich Hoffmann vor 200 Jahren geboren wurde, später als Armenarzt und Geburtshelfer arbeitete und schließlich die Städtische "Anstalt für Irre und Epileptische" leitete.

1894 starb Hoffmann und hinterließ noch andere Kinderbücher; an den Erfolg des Struwwelpeter jedoch reichte keines heran.


Im Frankfurter "Heinrich Hoffmann Sommer 2009" laufen zurzeit vier Ausstellungen:

Peter Struwwel - Heinrich Hoffmann. Ein Frankfurter Leben 1809-1894. Historisches Museum. Bis 20.9.. Tel. 069/21 23 55 99. www.historisches-museum.frankfurt.de 

Das Weihnachtsgeschenk. Struwwelpeters Entstehung. Struwwelpeter-Museum. Bis 30.5.2010, Tel. 069/74 79 69. www.struwwelpeter-museum.de 

Struwwelpeters Nachfahren. Starke Kinder im Bilderbuch der Gegenwart. Deutsche Nationalbibliothek. Bis 26.9., Tel. 069/15 25 19 05. www.d-nb.de 

Parodien und Struwwelpetriaden. Universitätsbibliothek. Bis 30.7., Tel. 069/79 83 92 48. www.ub.uni-frankfurt.de 

Für Kinder gibt es bis zum 21.8. eine Struwwelpeter-Sommerakademie: www.hoffmann-sommer.de 

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