
Zubereitung: Tafelspitz mit Apfelkren und Bouillongemüse
Tafelspitz-Rezept Sei bitte zart zu mir
Essensgeschichtlich gesehen ist das Kochen zwar nicht die älteste Garmethode, dieses Prädikat gebührt dem direkten Brutzeln über offenem Feuer. Aber seitdem der Mensch gelernt hat, temperaturbeständige Gefäße herzustellen, entwickelte sich das Sieden zur weltweit beliebtesten Zubereitungsart. Auch wenn es längst bessere Strategien gibt, Vitalstoffe in heißen Speisen zu erhalten (Dämpfen, Dünsten), kräftigen Geschmack zu erzielen (Röstaromen beim Grillen und Braten) oder saftiges Fleisch auf die Teller zu bringen (Sous Vide; Pochieren in Öl), ist und bleibt der Kochtopf voll Wasser das Ikon menschlicher Nahrungsverfeinerung.
Und das nicht nur zum Garkochen der üblichen mitteleuropäischen Kohlenhydrat-Beilagen wie Nudeln, Reis oder Kartoffeln. Sondern auch für die Speisegruppe, die vielen von uns noch am verlässlichsten orale Kindheitserinnerungen wachruft - Suppen und Eintöpfe.
Problematischer wird es im Topf beim Fleisch. In heißem Wasser gekochte Fleischstücke stoßen wegen des Fehlens jeglicher Röstaromen oft auf das Vorurteil, nicht mehr als blasse, geschmacksverweigernde Krankenhauskost zu sein. Die Gourmets in unserem südlichen Nachbarland Österreich (wie auch in vielen Gegenden Süddeutschlands) sehen das völlig anders, inzwischen lebt auch in den Gastronomieküchen zwischen Wien und Salzburg die Siedfleischgeschichte Austrias wieder auf.
Eine wahrhaft große Historie, denn das Rind ist seit dem Mittelalter der wichtigste Proteinlieferant der Wiener Bevölkerung. Auch in der kaiserlichen Hofküche zählte gekochtes Rindfleisch Anfang des 19. Jahrhunderts zu den mehrmals wöchentlich servierten Gerichten - zubereitet aus den Ochsen, die von der damals marktbeherrschenden Rindergroßhandelsfirma Sborsky & Co. zu Tausenden von der ungarischen Puszta nach Wien getrieben wurden. Und weil diese Rinder auch an Privatleute meist nur als komplette Hälften verkauft wurden, entwickelte sich eine wahre Hochkultur des Rinderzerteilens. Was den Feuilletonisten Joseph Wechsberg zu der Bemerkung hinriss: "Wer nicht über mindestens ein Dutzend Stücke von gekochtem Rindfleisch sachkundig sprechen konnte, gehört in Wien nicht dazu, gleichgültig, wieviel Geld er verdiene oder ob der Kaiser ihm den Titel Hofrat oder Kommerzialrat verliehen hatte."
Obwohl erstmals als Rezept 1911 in Adolf Friedrich Karl Hess' "Servierkunde" beschrieben, gilt für das bis heute bekannteste Siedfleischstück der Wiener Küche der Sissi-Kaiser Franz Joseph I. (1830-1916) als wesentlicher Werbeträger - für den Tafelspitz. Dieses nach seiner dreieckigen Form benannte Stück am Ende des Hüftdeckels (also in etwa dort, wo der Schwanz aus dem Rind kommt) gilt als eines der Zartesten - immerhin werden aus seinem Nachbarn, der Blume, mit den Hüftsteaks auch die einzigen kurzbrat-tauglichen Teile des Rindes jenseits des Rückens gewonnen.
Zwei Dutzend Gustostückerl
Auch wenn es die Kreativ-Köche des Wiener Hotel Meissl & Schadn vor dem Ersten Weltkrieg auf 24 verschiedene Sorten Siedefleisch gebracht haben, bietet der Tafelspitz-Wiederentdecker und Österreichs Oberkochlehrer Ewald Plachutta in seinen Restaurants aktuell noch ein gutes Dutzend "Gustostückerl" an - darunter Teile wie das Schulterscherzel, aber auch der Kavalierspitz (aus dem Nacken) oder das Hüftscherzel, die dicke Verlängerung des Tafelspitz. So österreichisch die Geschichte des Tafelspitz auch sein mag, garen natürlich auch anderer Völker ihr langfasriges Rindfleisch im wässrigen Sud und nennen es dann "bouilli de bœuf" (Frankreich und französische Schweiz), "prime boiled beef" (England) oder "bollito di manzo" (Italien).
Obwohl die Zubereitung von Siedfleisch eigentlich recht simpel ist (rein in den Topf, ein paar Stunden leise köcheln lassen, fertig), schadet es nicht, sich aus Feinschmeckersicht mit den Details auseinanderzusetzen. So findet sich zwar auch in Plachuttas Rezepten immer wieder die Anweisung, das Fleisch mit ein paar Knochen im nur wenig gesalzenen Wasser zu kochen, damit gleichzeitig auch eine Fleischbrühe entsteht. Wem es aber vor allem darum geht, ein möglichst aromatisches Tafelspitz zu erzeugen, sollte das Fleisch nicht in zu schwacher Salzumgebung auslaugen.
Spitzenköche wie der Dreisterne-Koch Sven Elverfeld vom "Aqua" in Wolfsburg zum Beispiel trennen die Herstellung von Brühe/Fond und Siedfleisch, indem sie zum Kochen des Tafelspitzes eine vorher mit getrennten Zutaten gekochte Fleischbrühe benutzen, was die Aromen im Fleisch selbst konserviert und ein den feinen Siedegeschmack störendes vorheriges Anbraten ebenso obsolet macht wie die in vielen Rezepten geforderten auf der Herdplatte gerösteten Zwiebelhälften. Das aber klappt am besten mit Tafelspitz vom Kalb und nicht vom alten Ochsen.
Was keine Sünde sein muss, schließlich bevorzugte auch Kaiser Franzi bis ins hohe Alter das zarte Fleisch von ganz jungen Zeitgenossen.
Rezept für Tafelspitz vom Kalb mit Apfelkren und Bouillongemüse (Hauptgericht für 4 Personen)
Vorbereitungszeit: 30 Minuten
Zubereitungszeit: 90 Minuten
Schwierigkeitsgrad: einfach
Zutaten
Tafelspitz
1 kg Tafelspitz vom Kalb
750 ml Kalbsbrühe (selbst gezogen aus Knochen & Suppenfleisch oder Convenience-Kalbsfond mit Wasser 1:1 gemischt)
1 l Wasser
1 El Meersalz
500 g Suppengemüse, klein geschnitten (Karotten, Sellerie, Petersilienwurzeln, Frühlingszwiebeln
1 El weiße Pfefferkörner
1 El Kardamomkapseln
3 Stück Lorbeerblätter
1 Stück französisches bouquet garni (siehe Zubereitung)
Gemüse & Kartoffeln
0,5 Stück Knollensellerie
6 Stück mittelgroße Bundmöhren
4 Stück Petersilienwurzeln
6 Stück dicke Frühlingszwiebeln
600 g kleine neue Kartoffeln (halbfest kochend)
Apfelkren, Garnitur & Sauce
60 g frischer Meerrettich
1 Stück Apfel (feste, fruchtige Sorte)
1 El Sahnemeerrettich aus dem Glas
150 g Crème fraîche (wenn verfügbar französische Ware bevorzugen)
1 Prise Salz
1 Spritzer Zitrone
1 El frischer Meerrettich, geschält und fein geraspelt
3 El scharfe Kresse (z.B. Rettichkresse)
100 ml trockener Weißwein
50 g Butter
Zubereitung
Tafelspitz
Vom Tafelspitz die seitliche Sehne entfernen (kann auch der Fleischer vorbereiten), den Fettdeckel aber nicht abschneiden. Fleisch rechtzeitig aus dem Kühlschrank nehmen, es sollte zu Kochbeginn auch im Inneren Zimmertemperatur haben.
Brühe mit Wasser und Salz in Topf mischen, aufkochen. Fleisch einlegen, Temperatur möglichst konstant bei 85-90 Grad halten, wenn Eiweiß aufsteigt, abschöpfen. Nach 20 Min. restliche Zutaten zugeben. Wenn verfügbar ein in Mousseline eingeschlagenes französisches bouquet garni einsetzen oder die Zutaten (Thymian, Korianderkörner, Fenchelsamen, Basilikum, Petersilie, Sellerieblätter) selbst in ein Tüllsäckchen einschlagen. Fleisch weitere 60 Min. bei geschlossenem Deckel leise sieden lassen. Fleisch aus dem Sud (Bouillon) nehmen, in Alufolie fest einwickeln und im Backofen bei 80 Grad aufbewahren.
Sud durch Sieb schütten, Siebinhalt gut ausdrücken, entsorgen. Bouillon auffangen und zur Zubereitung von Gemüse, Kartoffeln und Sauce verwenden.
Gemüse & Kartoffeln
Aus der Selleriehälfte mit großem Kugelausstecher gleichmäßige Kugeln ausstechen (alternativ Sellerie in gleich große Würfel von ca. 3-4 cm Größe zuschneiden). Möhren schälen, Stiele 4 cm vom Grün-Ansatz abschneiden, Möhren mit Sparschäler (oder Schälmesser) in gleich große Form bringen (tournieren). Petersilienwurzeln schälen und in gleiche Größe bringen (dicke Wurzeln evtl. längs halbieren). Lauchzwiebeln am Strunk abschneiden, auf ca. 8 cm Länge kürzen, äußere Blattschicht entfernen. Gemüse in der kochenden Bouillon 10 Min. garen (Lauchzwiebeln erst nach 8 Min. zugeben). In geschlossener Schüssel mit einem El Bouillon beim Fleisch im Backofen warm halten. Von der Bouillon 300 ml für die Sauce abmessen, Rest für die Kartoffeln benutzen.
Kartoffeln schälen und mit dem Schäler auf möglichst gleiche Größe bringen. In der sprudelnd kochenden Bouillon in Topf weich kochen.
Apfelkren & Sauce
Apfel schälen und entkernen, Meerrettich schälen, beides in grobe Stücke schneiden. Zusammen mit den restlichen Zutaten im Mixer zu einer glatten Creme pürieren, am Ende mit Salz und Zitronensaft abschmecken.
Für die Sauce 300 ml Bouillon und den Weißwein auf ca. 100 ml reduzieren, Butter mit Schneebesen einrühren, warm halten.
Anrichten
Gemüse und Kartoffeln kurz durch die Sauce ziehen (glasieren), restliche Sauce servieren. Fleisch aus der Folie nehmen und mit sehr scharfem Messer quer zur Faser in 1 cm dicke Scheiben schneiden. Entweder einzelne vorgeheizte Teller anrichten (mit Gemüse & Kartoffeln, Apfelkren, Fleisch mit der Kresse und dem frisch geriebenen Meerrettich bestreuen, Sauce seitlich angießen oder in eine Krenspur füllen - siehe Foto), oder alle Komponenten auf einer großen, vorgeheizten Platte zum Selbstbedienen servieren. Sauce in diesem Fall getrennt anbieten.
Küchen-Klang
Helles Fleisch, weißer Kren, das passt wunderbar zur aktuellen Diskussion, ob Jazz überhaupt noch als "schwarze Musik" gelten kann. Wasser auf die Mühlen jener (schwarzen) US-Musiker, die keinen Jazz mehr spielen wollen, weil das eine total "weiße" Musik geworden sei, schüttet eimerweise das skandinavische Quintett um die Saxofonistin und Flötistin Sarah Elgeti, das auf "Into The Open" (Soulfood) schneidend klugen, unglaublich coolen New Nordic Jazz spielt.
Getränketipp
Trotz des leicht französischen Einschlages passen zu diesem Gericht noch immer am besten Weine aus dem Mutterland des Tafelspitz - Österreich. Wir tranken zum Kalb den trotz Holzfass-Ausbau herrlich leichtfüßigen roten 2006 Sighardt Donabaum Zweigelt Reserve Granit, dessen straffe Mineralik sehr schön auch zur reduzierten Sauce passte, und dem der zunächst naheliegendere, vom Kamptaler Winzerpaar Dieter und Maria Laurenz exorbitant frech vinifizierte Veltliner 2011 Forbidden Grüner nur wegen seiner fruchtschmatzenden Saftigkeit Paroli bieten konnte.