Tag der Pressefreiheit "Ich dachte, die machen mich kalt"

Ob China, Tschetschenien oder Irak: Kritische Journalisten werden verfolgt, terrorisiert, inhaftiert, wenn nicht gar ermordet. Am internationalen Tag der Pressefreiheit legte die Organisation Reporter ohne Grenzen erschütternde Zahlen vor.

Berlin - Mainat Abdullajewa schaut müde aus einem bleichen Gesicht. Die braunen Haare schimmern grau. Die Journalistin war bis ins Jahr 2004 hinein eine der letzten kritischen Stimmen in der vom Krieg zerstörten russischen Teilrepublik Tschetschenien. Sie arbeitete für die wenigen kritischen Medien in Russland, darüber hinaus berichtete sie für die "FAZ" und die "Süddeutsche Zeitung". Im vergangenen September drangen Tschetschenen in ihre Wohnung ein: "Verschwinde, oder wir machen dich kalt", drohten sie ihr. Abdullajewa und ihre Tochter konnten mit Hilfe des internationalen Schriftstellerverbandes PEN und der Organisation Reporter ohne Grenzen im November nach Deutschland flüchten.

Heute, am Internationalen Tag der Pressefreiheit, sitzt Mainat Abdullajewa bei einer Pressekonferenz von Reporter ohne Grenzen im ARD-Hauptstadtbüro am Berliner Reichstagsufer und berichtet von der schwierigen Situation in ihrer Heimat: Zwei Wege gebe es nach Tschetschenien, entweder würden sich ausländische Journalisten beim Innenministerium registrieren lassen, was aber eine unabhängige Berichterstattung ausschließe: "Auf Schritt und Tritt werden die Journalisten vom Militär begleitet." Die zweite Variante sei die Zusammenarbeit mit einheimischen Journalisten, so genannten Stringern.

"Einem einheimischen Journalisten zu helfen, ist fast unmöglich"

Abdullajewa hat zu ihnen gehört und während des zweiten Tschetschenienkrieges von 1999 bis 2004 illegal gearbeitet. Einerseits, so die Reporterin, sei die Arbeit für einheimische Journalisten leichter, "weil sie Stile und Bräuche des Landes kennen". Andererseits aber hätten sie es schwerer: "Sie haben Familien, die zu Geiseln ihres Berufs und ihrer beruflichen Grundsätze werden können." Im Gegensatz zu Ausländern könnten die Stringer ihr Land nicht so einfach verlassen: "Wenn ein ausländischer Journalist gefährdet ist, stehen Strukturen, Versicherungen, Zeitungen hinter ihm. Aber einem einheimischen Journalisten zu helfen, ist fast unmöglich. Es zählt jeder Tag und jede Stunde."

Abdullajewa erzählt von ihrer Mutter, die in den letzten fünf Jahren um 20 Jahre gealtert sei: "Ich musste mich jeden Tag wieder von ihr auf ein mögliches Nimmerwiedersehen verabschieden." Sie selbst sei aufgrund von Drohungen immer wieder gezwungen gewesen, den Wohnort zu wechseln. Dabei sei ihr immer klar gewesen: "Irgendwann würden sie zu mir in die Wohnung kommen." Dann kamen sie. "Es war allerdings überraschend, dass diese Leute mir vorschlugen, mit meiner Familie wegzugehen. Ich dachte, die machen mich kalt. Für diese Menschen ist ein Menschenleben nichts wert."

Die Namen ihrer Verfolger kenne sie nicht, sagt Abdullajewa, und das erste Mal huscht ein Lächeln über ihr müdes Gesicht: "In einer solchen Situation stellt man sich ja nicht vor." Sie seien zwischen zwei und fünf Uhr morgens gekommen, es waren Tschetschenen: "Ich habe versucht herauszufinden, ob es vielleicht der tschetschenische Zweig des russischen Geheimdienstes FSB war, aber ich weiß es nicht."

55 getötete Journalisten im Irak

Die internationale Journalistenorganisation Reporter ohne Grenzen warnt auf der Veranstaltung vor massiven Einschränkungen der Presse- und Meinungsfreiheit weltweit. Rund ein Drittel der Menschheit lebe ohne freien Zugang zu Informationen und damit ohne die Chance auf eine demokratische Entwicklung, sagt Michael Rediske, Vorstandssprecher der deutschen Sektion von Reporter ohne Grenzen.

Seit Jahresbeginn sind weltweit 22 Journalisten wegen oder während ihrer Arbeit ums Leben gekommen, im Jahr 2004 waren es 53. Im vergangenen Jahr sind 2053 Journalisten wegen ihrer Recherchen inhaftiert, bedroht oder attackiert worden. Zurzeit sind 103 in Haft. China, so Vorstandssprecher Rediske, sei "das größte Gefängnis für Journalisten weltweit": Dort sind 26 Reporter inhaftiert. Außerdem fristen 48 chinesische Online-Dissidenten ihr Leben hinter Gittern. Neben China nannte Rediske auch Nepal, Kuba und Iran als Länder mit besonders massiven Einschränkungen der Pressefreiheit.

Das gefährlichste Land für Journalisten bleibt der Irak. Seit Kriegsbeginn im März 2003 sind dort 55 Journalisten getötet worden, neun davon in diesem Jahr. Insgesamt seien 29 Journalisten entführt worden, 20 davon seien wieder frei. Rediske sagt, im Guerillakrieg würden "bewusst Journalisten ermordet". Die US-Amerikaner könnten die Journalisten vor Ort nicht wirksam schützen. Deshalb würden die meisten deutschen Medien ihre Korrespondenten abziehen, es sei denn, diese blieben freiwillig. Wiederum komme es zu einem verstärkten Einsatz von Stringern. Die leben auch zwischen Euphrat und Tigris gefährlich: "Drei Viertel aller im Irak getöteten Journalisten sind Einheimische."

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