Tageskarte Küche Kein Römertopf in Rom
Wenn es stimmt, dass alle Wege nach Rom führen, scheint sich Eduard Bay 1966 auf seiner Italienreise ziemlich verfranst zu haben. Dem Westerwälder Keramikunternehmer war aufgefallen, dass südlich von Verona in vielen Küchen mit Töpfen und Tiegeln aus gebranntem Ton gekocht wurde, während man daheim in Deutschland fast nur Stahl, Alu, Porzellan oder Emaille benutzte.
Ein Jahr späte stellte er seine hiervon inspirierte Erfindung auf der Handelsmesse in Hannover vor, doch die Medien und Handelspartner schüttelten nur verständnislos den Kopf. "Römertopf" hieß diese außen rohe und innen lasierte Kasserolle mit dem schrecklich unpraktisch hoch gewölbten Deckel - eine Anspielung auf die schon von den Römern praktizierte Garmethode in luftabgeschlossenen Tongefäßen, und zugleich eine Anspielung auf das gerade ausbrechende Italienreisefieber der Deutschen.
Massenweise quälten damals Trümmer-Frauen und deren Männer ihren Brezel-Käfer über die Brennerbundesstraße. In Deutschland wurde der Römertopf mit Hilfe von Radiowerbung und Artikeln in Hausfrauenzeitschriften schnell zu einem Verkaufsschlager: 1975 verließ das zehnmillionste Stück den Brennofen. Doch genauso, wie die erste deutsche Urlauberwelle meist nur bis Rimini plätscherte, erreichte der Römertopf trotz ordentlicher Exporterfolge in anderen Ländern nie die Herzen der italienischen Hausfrauen - obwohl doch schon vor der christlichen Zeitrechnung in Rom Speisen in ausgehöhlten Tonziegeln zubereitet wurden, auf die man einen weiteren Ziegel als Deckel legte.
Garen von Gemüse und Schmoren von Fleisch ist seit jeher ein Kampf gegen das Austrocknen. Da hilft Lehm und Ton als Schutz ähnlich gut wie eine dicke Salzkruste um den Fisch oder der Bratschlauch, in dem der Rinderbraten langsam gart. Ton hat zudem den Vorteil, dass man ihn vor dem Kochen mit Wasser vollsaugen lassen kann, das er langsam (deshalb der hohe Römertopfdeckel) an das Gargut abgibt. In rudimentären Formen funktioniert das auch mit rohem, nassem Lehm oder Ton, in den man das gewürzte Fleisch einpackt und in einer, wie Edmund Stoiber sagen würde, "gludernden Lot" gart. So gelingen zarte Täubchen ebenso wie in Asien die schwarzen Erdschweinchen, die im Ganzen eingetöpfert und geschmort werden.
Vor allem Fleischtöpfe mit Hülsenfrüchten werden in vielen Kulturen seit Jahrhunderten in Ton zubereitet: der bulgarische Gjuvetsc im Gjuveche-Topf, der chinesische Shaguo, die spanischen Frijoles de la olla (Bohnen aus dem Tontopf), das türkische Lammgericht Kuzu Güvec oder in Italien die (offene) pirofila di terracotta für allerlei Aufläufe. In Nordafrika schmurgeln die leckersten Fleischgerichte in den spitzhaubigen Tajines, die fast formgleich in Japan als Donabe zum Einsatz kommen, dort aber ähnlich wie die Schweizer Caquelons ohne Deckel gern als Fonduetöpfe benutzt werden.
Auch ernährungsphysiologisch schlagen Römertopf & Co. einen guten Ton an: Durch den Luftabschluss und das stets feuchte Garmilieu können Speisen nahezu fettfrei und extrem vitaminschonend geschmort werden, ohne deshalb nach fader Krankenhauskost zu schmecken. Im Zuge der gesundheitsbewussten aktuellen Esstrends entdecken viele Hobbyköche deshalb nun neben ähnlich schonenden Methoden wie Dämpfen, Pochieren oder vakuumisiertes Niedrigtemperaturgaren auch den alten Römertopf wieder.
Mein Exemplar wird seit fast 20 Jahren immer wieder herausgeholt, wenn ich mehrere einzelne, nicht zu große Fleischstücke in ihrer eigenen Sauce schmoren will: Rouladen aus dem Römertopf schmelzen geradezu auf der Zunge, Hasenschlegel werden nicht trocken, Entenbrüste bleiben hauchzart. Nachfolgendes Rezept ist eine Verbeugung vor der italienischen Küche - wohl wissend, dass nur wenig so unrömisch sein kann wie ein Römertopf.
Rezept für Osso Buco mit Kürbisgnocchi und Quittenragout (für 4 Personen)
Zubereitungszeit: 2,5 Stunden
Schwierigkeitsgrad: einfach
Zutaten: 1 Kalbshaxe, vom Schlachter in 3 cm dicke Scheiben gesägt (350 g Kaltgewicht pro Person bei Alleingericht, 250 g bei Fleischgang innerhalb eines Menüs), 4 Schalotten, 2 Möhren, 1 geschälte Stange Sellerie, 1 kleine Lauchstange - jeweils in grobe Würfel geschnitten (Mirepoix), 6 Knoblauchzehen in nicht zu feinen Scheiben, 250 g Mini-Flaschentomaten, 2 Zweige Rosmarin, 1 Tl Zitronenthymian, je 250 ml Weißwein und Kalbsfond (ideal auch die tiefgefrorene Brühe aus dem September-Rezept, Gremolata (Blätter von 8 Stielen glatter Petersilie hacken und mit abgeriebener Schale von 1 Biozitrone mischen), 1 mittelgroßer Hokkaidokürbis, 2 mehlig kochende Kartoffeln, 2 El Buchweizenmehl, Muskatnuss, 2 Quitten, 100 ml naturtrüber Apfelsaft, 1 Sternanis, 1 El brauner Zucker, 1 Tl Butter.
Zubereitung: Osso Buco: Fettränder jeweils an 4 Stellen einschneiden (dann wellen sich die Scheiben nicht auf), Fleisch mit Pfeffer und Salz würzen, in Mehl wenden, in beschichteter Pfanne mit hohem Rand in wenig neutralem Öl (z.B. Traubenkernöl) pro Seite 2-3 Min. bei hoher Hitze anbräunen. Fleisch herausnehmen und auf den Boden des zuvor 15 Min. lang gewässerten Römertopfes schichten, Mirepoix, Knoblauch, grob gehackte Rosmarin-Nadeln und Thymian in der Pfanne kurz Farbe annehmen lassen, mit Weißwein und Brühe aufkochen, über das Fleisch gießen. Römertopf mit Deckel (ebenfalls gewässert!) schließen und bei 120 Grad 2 Stunden im Backofen (keine Umluft, falls vorhanden Heizart ohne Abluft wählen) schmoren, nicht mehr umrühren, Deckel nicht anheben. 20 Minuten vor dem Ende der Garzeit längs geviertelte Tomaten dazu geben.
Kürbisgnocchi: Kürbis waschen, Strunk abschneiden, achteln, Scheiben in ca. 4 cm große Stücke schneiden. In Dampfgarer (oder Dünsteinsatz im Kochtopf) so weich dünsten, dass sie mit Gabel leicht zerdrückt werden können. Kartoffeln in Schale weich kochen, noch heiß schälen, durch Kartoffelpresse drücken. Kürbis ebenfalls durch die Presse drücken, mit Kartoffeln und Mehl vollständig vermengen. Mit Salz und geriebener Muskatnuss würzen, 1,5 Stunden kalt stellen. Dann mit den Händen durchkneten und zu einer 5 cm dicken Teigstange formen (evtl. mit etwas Mehl nachbinden - Vorsicht: die Gnocchi schmecken schnell zu mehlig!) Von der Stange 2,5 cm dicke Scheiben abschneiden, jede Scheibe in der Handinnenfläche wölben und mit grober Gabel Streifenmuster eindrücken. 15 Minuten bevor das Fleisch gar ist, großen Topf mit gesalzenem Wasser (mind. 5 l) zum Kochen bringen, Herdplatte abschalten, Gnocchi mit Schaumkelle vorsichtig ins Wasser geben. Die fertigen Gnocchi schwimmen dann an der Wasseroberfläche. Vor dem Servieren gut abtropfen, evtl. noch kurz in gebräunter Butter schwenken.
Quittenragout: Quitten schälen, Entkernen, in ca. 1,5 cm große Stücke schneiden, in Butter anschwitzen, mit etwas Salz und frisch gemahlenem Pfeffer würzen, mit Zucker kurz karamellisieren lassen, mit Apfelsaft ablöschen, Sternanis dazu geben, ca. 15 Minuten leise köcheln lassen. Immer wieder probieren - die Quitten sollten noch Biss haben. Vor dem Servieren Anis entfernen.
Anrichten: Beinscheiben vorsichtig in Tellermitte (Teller vorheizen) legen, mit Gremolata bestreuen, mit Schmorgemüse und Sauce umziehen, Gnocchi und Quittenragout außen anlegen, Extra-Teller für Reste (Fettränder, Knochen) dazu stellen. Angstfreie Esser löffeln das Knochenmark aus und genießen es mit etwas Fleur de Sel.
Küchen-Klang: Ja, ja, am besten passt das Album "e2" (SonyBMG) von Eros Ramazzotti - schließlich wurde der ja Ende Oktober 1963 in Roms Film-Stadtteil Cinecitta geboren. Weil die Römer aber bekanntlich keine Römertöpfe kennen, habe ich die zwei Schmorstunden lieber mit der neuen großartigen Doppel-CD der Eagles, "Long Road Out Of Eden" (Universal) verrockt.
Getränketipp: Auch wenn man bei "Schmorbraten im Römertopf" eher einen strammen Roten assoziiert - am besten schmeckt zu dem hellen Kalbfleisch ein Weißwein aus dem Latium, der direkten Umgebung von Rom: Der 2006 Frascati Superiore von Casale Marchese buttert mit seinem für einen Frascati ungemein weichem Schmelz der Rebsorten Malvasia del Lazio und Malvasia di Candia perfekt das auf der Zunge zerfallende Fleisch hinunter.