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Tageskarte Küche: Wo steckt das "Schäufele"?

Foto: Peter Wagner

Tageskarte Küche Na brate, Schwarte!

Die Bayern haben die höchste Brauereidichte, die würzigsten Bratwürste und mit weitem Abstand den besten Schweinebraten der Welt. Warum gibt es Letzteren dann nur in Nordbayern? Weil nur der Franke weiß, wo im Schwein das "Schäufele" versteckt ist.

Lothar Matthäus

Als Herzensfranke auf Lebenszeit verkauft Bulgariens Fußballtrainer lieber Sonnenenergie-Anleihen als Taktik-Tipps. Das darf man ihm nicht verdenken, schließlich sind bei den Geldanlagen keinerlei Stolpersteine in Form hart ausgesprochener Konsonanten zu umdribbeln, während Matthäus den Ball bei seinem Angstgegner "Daggdigg-Dibbs" schon qua Geburt nicht mehr flach halten kann.

Der Franke an und für sich wird von Außerfränkischen ja immer gern mit den Bayern in einen Topf geworfen. Dort aber fühlte er sich noch nie wohl, gründete diverse Bundschuh-Separatistenorganisationen, fackelte in den siebziger Jahren die verhasste, weil von der Münchner Zentralgewalt oktroyierte Flurbereinigungsbehörde in Forchheim ab und schwingt bis heute ganz gern mal Rautenfahnen. Rotweiß gemusterte.

Auch in kulinarischer Hinsicht zeigen die Zentralfranken zwischen Weißenburg bei Nürnberg und Coburg gern Flagge. Ihre Bratwürste sind grober als im Rest der Republik und haben eine schmale Längs-Fettschicht, die einzig mit dem dort verwendeten "Bändel-Darm" hergestellt werden kann. Diese Würste werden nicht nur gebraten, der Franke siedet sie auch gern mit Zwiebeln in Essig zu "Sauren Zipfeln". Und damit danach auch der allerletzte Zugereiste spürt, wie wenig er von den Abgründen der fränkischen Genießerseele je erkunden wird, zerlegen sie auch noch ihre Schweine komplett anders.

Zumindest die Schulter. Wo dieses Teil sonst ganz oder in wenigen Stücken als großes, selten unter zwei Kilo schweres Bratenstück zerlegt und verkauft wird, schneidet der Frankenschlachter ein V-förmiges, gut 20 Zentimeter langes Stück nah am Schlüsselbeinknochen mitsamt der Schwarte obendrauf heraus und bietet das als die regionale Spezialität schlechthin an: das "Schäufele", benannt nach dem schaufelförmigen Schlüsselbeinknochen in der Mitte. Im Ganzen kann das Teil als "Schlossbein" für zwei bis drei Esser gebraten werden, meist aber wird es mittig in zwei im Rohzustand etwa 750 Gramm schwere Schaufelstücke zersägt. Auf gar keinen Fall aber darf es mit dem nur formal ähnlichen, aber aus Frankensicht zum Salzmonster aufgepökelten und -geräucherten, badischen "Scheufele" verwechselt werden.

Fleisch ganz nah bei sich und dem Knochen

Das alles klingt für nichtfränkische Ohren erst einmal fremd, und wird es meist auch bleiben. Anderswo verweigern sich Schlachter meist dem V-Schnitt, denn mit dieser Zerlegung kann ja der Rest der Schulter nicht mehr mit Knochen angeboten werden, die beiden Längszipfel nach dem V-Schnitt enden gar allenfalls im Gulasch. Doch wer als Freund saftig-mürber Schweinebratenzubereitungen jemals dieses Gericht gegessen hat, ist für die ansonsten üblichen großen und nicht selten recht trockenen Bratenscheiben für immer versaut.

Der Schaufel-Zuschnitt sorgt nämlich dafür, dass das magere, nahezu sehnen- und bindegewebefreie Schulterfleisch, das in klassischen Zuschnitten nach langem Schmoren zur Trockenheit neigt, hier gleich von mehreren Seiten gehätschelt wird: Oben schützt die am Garzeit-Ende wunderbar krosse Schwarte vor der Brathitze, auf drei Seiten liegt das Fleisch am Y-förmigen Knochen an und wird zart wie immer in direkter Knochennähe - und der leider meist viel zu dünne Streifen unter dem Knochen gehört bereits zu jenem Teil, das bei Rindern und Kälbern "Bürgermeisterstück" oder "Pfaffenstück" genannt wird. Beide Honoratioren wissen seit Jahrhunderten, wo die besten Fleischpartien versteckt sind, was wir in der "Semerrolle-Tageskarte" bereits hinlänglich ausgeführt haben.

Der Franke isst sein Schäufele am liebsten mit einem gemischten Gemüsesalat (Bohnen, Karotten, Sellerie, Rote Bete etc., süßsauer angemacht), manchmal mit Sauerkraut, aber immer mit Kartoffelknödel zum Aufnehmen der schmackhaften Bratensauce. Diese Klöße sind mit Hilfe des längst bundesweit vertriebenen Fertigteigs aus Franken überall reproduzierbar, doch nur wenige, sehr kleine Familienmanufakturen in und um Nürnberg stellen noch Teig her, der den selbst zubereiteten Knödeln (zur Hälfte aus gekochten/zerstampften und frisch geriebenen Kartoffeln) wirklich nahe kommt.

Beides - Schäufele und Klöße - haben wir uns für das heutige Rezept als Frischware online nach Hamburg bestellt (Adressen siehe nächste Seite). Das Gemüse dazu gibt es allerdings überall, und man muss es ja auch nicht so breiig einkochen, wie die Franken es dem Wirsing oft antun. Dabei nämlich verliert er nicht nur viel von seinem frischen, leicht senfigen Geschmack, für den ihn die Menschen seiner Ur-Heimat Italien so lieben. Auch der Tagesbedarf an Vitamin C - roh in nur 100 Gramm Wirsing enthalten - geht dabei flöten.

Und das findet dann sogar Loddarmaddäus "dodal underirdisch".

Rezept für Schweine-Schäufele mit Kartoffelklößen und Wirsinggemüse (Hauptgericht für 4 Personen)

Vorbereitungszeit: 35 Minuten

Zubereitungszeit: 130 Minuten

Schwierigkeitsgrad: einfach

Zutaten

Schweine-Schäufele
2 Stück quer halbierte Schweineschaufeln je ca. 750g (bei Alleingericht: 1 unzerteiltes Stück pro Esser; falls der Schlachter diesen Zuschnitt trotz der exakten Anleitung  nicht liefern will, sind fränkische Schäufele auch als Rohware online bestellbar)*

350 ml Rinderbrühe

1 kg Schweineknochen (beim Metzger vorbestellen)

4 Stück gelbe Zwiebeln, gewürfelt

2 Stück mittelgroße Möhren, in Scheiben geschnitten

2 Stück Petersilienwurzeln, in Scheiben geschnitten

1 Tl Kümmel

1 Tl schwarzer Pfeffer, frisch gemahlen

1 El Meersalz

2 El Rohrzucker

250 ml Weißwein

300 ml Wasser

300 ml dunkles, nicht zu bitteres, am besten fränkisches, Bier (siehe "Getränketipp")

Wirsinggemüse
1 Kopf Wirsing (ca. 1 kg)

250 g fester Räucherspeck (ideal: Südtiroler Bauchspeck)

1 Stück gelbe Zwiebel

70 g frischer Ingwer (Schälgewicht)

400 ml Kalbsfond (möglichst wenig gesalzen)

1 Tl gemahlener Kümmel

1 Prise gemahlener Kreuzkümmel

2 Tl Meersalz

1 Prise bunter Pfeffer, frisch gemahlen

Klöße
1000 g fränkischer Kloßteig (noch authentischer als die bundesweit erhältlichen Marken ist der Teig der kleinen Nürnberger Manufaktur von Donald Maier)*

3 Scheiben Toastbrot

50 g Butter

1 Tl Meersalz

Zubereitung

Schweine-Schäufele
Schäufele werden klassisch mit Pfeffer, Salz und Kümmel eingerieben und mit der mehrfach eingeschnittenen Kruste nach oben in einem Bräter bei 180 Grad ca. zwei Stunden lang gebraten.

Eine etwas bessere Sauce und noch zarteres Fleisch erhält man mit dieser Methode: Fleisch abwaschen, abtrocknen. Bräter mit der kochenden Rinderbrühe füllen, Fleisch mit der noch nicht eingeschnittenen Speckseite nach unten einstellen, Bräter in den auf 160 Grad vorgeheizten Backofen auf der untersten Schiene einhängen (bzw. auf Backblech stellen). Schweineknochen mit Küchenbeil grob zerkleinern, auf zweitem Backblech verteilen und direkt unter dem Grill scharf (dunkel) anrösten. Dabei ab und zu wenden. Röstknochen zum Fleisch geben.

Zucker in tiefer, beschichteter Pfanne schmelzen, Zwiebeln darin hellbraun dünsten, mit der Hälfte des Weins ablöschen, fast völlig reduzieren lassen. Wurzeln, Kümmel, Pfeffer, restlichen Wein und die Hälfte des Salzes zugeben, aufkochen lassen. Pfanneninhalt zum Fleisch in den Bräter geben, mit den Knochen und dem Wasser mischen, Fleischteile herausheben (sollten ca. 30 Min. im Backofen gewesen sein).

Nun lässt sich die leicht angegarte Schwarte viel einfacher als im Rohzustand würfel- oder rautenförmig einschneiden. Fleisch nun mit der Schwarte nach oben auf das Gemüse im Bräter setzen, restliches Salz über die Schwarten verteilen, bei 180 Grad 90 Min. braten, dabei zunächst immer wieder das Fleisch mit etwas Bier und später mit dem Bratensaft übergießen.

20 Min. vor dem Servieren Fleisch aus dem Bräter nehmen, auf das untere Backblech im Ofen stellen und die Schwarte kross grillen. Ist die Schwarte fertig, Backofen ausschalten, Tür einen Spalt weit öffnen und Fleisch bis zum Servieren ruhen lassen.

Aus dem Bräter die Knochen entfernen, restlichen Inhalt im Mixer oder mit Schneidstab pürieren, durch Haarsieb ziehen und die aufgefangene Sauce mit Salz, Pfeffer und evtl. etwas Zucker abschmecken, nach Belieben sämiger einkochen oder mit etwas Wasser verdünnen.

Wirsinggemüse
Speck, Ingwer und Zwiebeln in möglichst kleine Würfelchen (max. 2 mm) schneiden. Speck in sehr hoher Pfanne (ideal: beschichtete Wok-Pfanne) langsam auslassen, Zwiebeln zugeben und hellbraun dünsten. Wirsing von äußeren Blättern und Strunk befreien, Blätter in kleine Quadrate von ca. 1 cm Kantenlänge schneiden, im Sieb unter reichlich fließendem Wasser abwaschen und in die Pfanne geben. Mit zwei großen Salatlöffeln immer wieder umrühren. Nach 3 Min. immer wieder heißen Kalbsfond löffelweise unterheben. Nach 15 Min. Ingwer, Pfeffer, Salz und die beiden Kümmelsorten unterheben und weitere 10 Min. bei mittlerer Hitze und häufigem Umrühren bissfest garen.

Klöße
Toastbrot in kleine Würfel schneiden, in der Butter hellbraun anrösten, salzen, auf Teller abkühlen lassen. Den Kloßteig in acht gleich große Teile teilen (bei Alleingericht aus 4 Brotscheiben und 1,5 kg Kloßteig 12 Klöße zubereiten). Mit stets gut angefeuchteten Händen je 1 Portion nehmen, mittig eine Kuhle eindrücken, mit Croutons füllen und einen Kloß formen. Es dürfen an der Außenseite keine Croutons sichtbar sein.

Einen großen Topf (mind. 6 l) zu zwei Drittel mit gesalzenem Wasser füllen, aufkochen und Hitze reduzieren. Nach ca. 1 Min. die Klöße mit Siebkelle einlegen und 25 Min. leise simmern lassen. Das Wasser darf auf keinen Fall mehr kochen - die Klöße werden auch bei 85-90 Grad heißem Wasser problemlos gar.

Anrichten

Mit großem Servierring Wirsing mittig auf vorgeheiztem Teller anrichten, Fleisch darauf setzen, zwei Klöße anlegen, mit etwas Sauce nappieren und sofort servieren. Restliche Sauce, Klöße und Wirsing getrennt zum Nachschlag anbieten.

Küchen-Klang

Stilecht beschallt wird das Schäufele-Braten von fränkischen Weisen wie "Britschäbraat" oder "Steigerwälder Schörschla" auf der CD "Liederdomino - Musik aus Franken" (Bogner Records). Weil das aber für Nichtfranken nur schwer erträglich ist, fügen sich auch die Nonsense-Testosteron-Hammer der Bloodhound Gang auf ihrer Best-Of "Show Us Your Hits" (Universal) perfekt ins Bild.

Getränketipp

Wegen der über Jahrhunderte gewachsenen Demarkationslinie zwischen Weinfranken und Bierfranken (der Main) halten wir uns mit Weinempfehlungen hier ausnahmsweise zurück und raten zu einem Bier aus mittelfränkischer Microbrewery-Tradition. Da diese Brauereien nur für den eigenen Gasthof und höchstens noch für das Nachbardorf brauen, sind ihre Biere für Außerfränkische natürlich kaum beziehbar. Einen guten Einstieg in das Bierwesen zwischen Nürnberg und Bamberg mit klangvollen Namen wie "Schwarze Anna" (aus Forchheim), "Meister Vollbier" (Unterzaunsbach) oder "Krug Lager" (Breitenlesau) bietet aber z.B. das online bestellbare "Fränkische Geschmacksfeuerwerk"* mit neun Sorten.


*Bezugsquellen
Rohfleisch im original Schäufele-Zuschnitt sowie den Kloßteig von Donald Maier versendet (in der Frischebox) die Metzgerei Claus Böbel  in Georgensgmünd-Rittersbach;
Bierauswahl z.B. als "Fränkisches Geschmacksfeuerwerk" bei Pro Bier Shop .

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