Tageskarte Kunst Palast für die WG

Der britische Architekt David Chipperfield gehört zu den Vielbeschäftigen – insbesondere in Deutschland – und zu den Vielgelobten und Vielgetadelten. Nächste Woche stellt er in Berlin ein Galeriehaus vor, an dem es nichts zu meckern gibt.

Kaum ein anderer ausländischer Architekt baut in Deutschland an so vielen prestigeträchtigen Adressen: David Chipperfield – Brite, 53 Jahre alt und sehr angesehen – ist zum Beispiel in Essen und in Hamburg tätig und außerdem in der Mitte Berlins. Dort hat er für die Museumsinsel ein selbstbewusstes Eingangsgebäude entworfen, und er saniert den im Krieg stark lädierten spätklassizistischen Prachtbau des Neuen Museums, in dem er allerdings viele eigene Akzente setzt ( http://www.davidchipperfield.co.uk  ).

Bis zur Vollendung dieser zwei Projekte dauert es noch einige Zeit. Doch schon vorab und auch voreilig wurden sie eher gescholten als gelobt; einer ganzen Gruppe von Nostalgie-seligen Museumsinselfans missfällt Chipperfields kantig moderne Handschrift an diesem historischen Ort. Den Eingangsbau musste er wegen der Kritik der aufbegehrenden Bürger sogar umplanen – nichts, was die Laune eines Architekten hebt.

Aber es gibt auch Zuspruch: So wurde gerade sein Literaturmuseum in Marbach mit dem wichtigen Stirling Prize ausgezeichnet. Der Bund Deutscher Architekten ernannte ihn zum Ehrenmitglied.

In der Hauptstadt präsentiert er am 10. November ein drittes Werk in bester Lage, an dem sich schwerlich herummäkeln lässt: Gegenüber des Neuen Museums, auf einem Eckgrundstück in der Straße Am Kupfergraben, hat er für den so einflussreichen sowie nicht ganz unumstrittenen Privatsammler Heiner Bastian ein Galeriehaus entworfen, das höchstens durch seine Zurückhaltung auffällt. Die Fassade jedenfalls wirkt auf diskrete Art elegant. Der Ton des Steins ist sandfarben warm, die Oberfläche wirkt wie aufgeraut, die Fensteröffnungen lockern die Fläche großzügig auf. Innen ist das Haus ganz White Cube, hier gewährleistet der Architekt eine jungfräulich weiße Atmosphäre, wie sie Galeristen und Sammler eben bevorzugen.

In die unteren beiden Geschosse zieht die ziemlich erfolgreiche Galerie Contemporary Fine Arts ein, die Kunstmarktstars wie Jonathan Meese vertritt. Das dritte Stockwerk beansprucht Hauseigentümer Bastian für seine Sammlung. Und die Wohnung unterm Dach wird ebenfalls zur Ausstellungsfläche umfunktioniert, hier breitet bald – so verraten die zuständigen Leute aus Chipperfields Team – die Fernsehmanagerin Christiane zu Salm-Salm ihre Kunsttrophäen aus. Es handelt sich also um eine sehr exklusive WG mit einem sehr teuren Kunstgeschmack.

Alle drei Nutzer des Hauses bekennen sich zur Gegenwartskunst, und dass sie die Nachbarschaft der alten Museen und Meister suchen, lässt sich als Zeichen für eine Zeitenwende in der Hauptstadt interpretieren. Zeitgenössische Kunst gehört hier seit Jahren zur kulturellen Grundausstattung, doch fortan wird sie nicht mehr im betont trashigen Ambiente präsentiert. Die Ära des Provisorischen ist damit vorbei, gesucht wird die Anbindung ans Establishment. Berlin wird erwachsen.

Doch zurück zu Chipperfield: Er hat mit diesem Gebäude bewiesen, dass Bauen eine hohe Kunst sein kann – auch dann, wenn das Grundstück nicht riesig ist. Lob ist also in diesem Fall gewiss, und vielleicht wird aus dem Briten ja sogar noch ein Liebling der Berliner.

Die Wiedergabe wurde unterbrochen.
Merkliste
Speichern Sie Ihre Lieblingsartikel in der persönlichen Merkliste, um sie später zu lesen und einfach wiederzufinden.
Jetzt anmelden
Sie haben noch kein SPIEGEL-Konto? Jetzt registrieren
Mehrfachnutzung erkannt
Bitte beachten Sie: Die zeitgleiche Nutzung von SPIEGEL+-Inhalten ist auf ein Gerät beschränkt. Wir behalten uns vor, die Mehrfachnutzung zukünftig technisch zu unterbinden.
Sie möchten SPIEGEL+ auf mehreren Geräten zeitgleich nutzen? Zu unseren Angeboten