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Werbemann Turner: Bierzapf-Berichte für die Polit-Elite

Foto: HC Plambeck

Zeitungskampf in Berlin Mehr gepanzerte Limousinen, bitte

Der Berliner Zeitungsmarkt ist hart umkämpft. Profiwerber Sebastian Turner nimmt jetzt mit dem "Tagesspiegel" eine neue Zielgruppe ins Visier: die Politik-Elite. Sein Blatt berichtet künftig über Bierzapfanlagen für Parlamentarier und Luxusdienstwagen.

Der Mann denkt gern groß. In den frühen Neunzigern wollte Sebastian Turner was mit Werbung machen und gründete eine Agentur, die später als Scholz & Friends Berlin tatsächlich eine der größten deutschen Werbefirmen wurde.

Dass Turner 2012 parteiloser Bürgermeister von Stuttgart werden wollte oder nebenbei eine internationale Ideenkonferenz namens "Falling Walls" ("taz": "Science-Slam der Luxusklasse") veranstaltet, wirkt da fast wie eine Fußnote.

Seit diesem Jahr ist er auch noch unter die Zeitungsbesitzer gegangen. Turner, 47, hat dem Verleger Dieter von Holtzbrinck ("Die Zeit", "Handelsblatt", "Wirtschaftswoche") zum 1. Januar 20 Prozent des Berliner "Tagesspiegels" abgekauft. Nicht viele in der Medienbranche können das nachvollziehen.

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Zeitungsdebatte: Reichweiteentwicklung Tageszeitungen

Foto: MLFZ 07/2009

Denn den Berliner Zeitungsmarkt als angespannt zu bezeichnen, wäre ein Euphemismus. Die Auflagen der Blätter befinden sich seit Jahren im freien Fall. "In Berlin kann jeder, der will, eine Tageszeitung kostenlos lesen. Mehr als 100.000 Freiexemplare werden jeden Tag in den Markt gepumpt. Die liegen dann in Geschäften oder Hotels rum", sagt etwa Hans-Peter Buschheuer, Chefredakteur des "Berliner Kurier".

Oder sie werden gleich frei Haus geliefert. Um den Titel "Berlins größte Zeitung" zu halten, ließ die zum Axel-Springer-Verlag gehörende "B.Z." auch schon großflächig Freiexemplare in die Briefkästen von irgendwelchen Berlinern stecken.

Die "Tagesspiegel"-Konkurrentin "Berliner Zeitung" steht mittlerweile wirtschaftlich so unter Druck, dass zuletzt 27 Stellen in der Redaktion wegfielen. Springer verkaufte im Juli 2013 die "Berliner Morgenpost" an die Funke-Gruppe, die Bordsteinzeitungen "B.Z." und "Bild Berlin" mussten ihre Lokalredaktionen verschmelzen.

Neben der Konkurrenz untereinander kämpfen die Verlage in Berlin mit dem vergleichsweise niedrigen Haushaltseinkommen der Hauptstädter und einer für Zeitungen nach wie vor geteilten Metropole: Während im Westen "Tagesspiegel" und "Berliner Morgenpost" gelesen werden, haben "Berliner Zeitung" und "Berliner Kurier" ihre Leser vor allem im Ostteil der Hauptstadt.

Turner sieht das alles gelassen. Dabei wies die "Tagesspiegel"-Gruppe 2012 im Jahresabschluss einen Verlust von fast drei Millionen Euro aus, auch 2013 waren die Zahlen rot. Er hat seine ganz eigene Art, für seine Neuerwerbung zu brennen.

Beinahe jeden Tag kommt Turner ins Kreuzberger Verlagshaus gependelt, manchmal mit dem Regionalexpress aus seinem brandenburgischen Wohnort. Er trägt den Titel Herausgeber, den er sich mit "Zeit"-Chefredakteur Giovanni di Lorenzo teilt. Anders als di Lorenzo versteht er die Herausgeberschaft eher operativ.

Wegbegleiter beschreiben Turner als schnell im Kopf und hervorragend vernetzt. Doch die Sache mit dem "Tagesspiegel" betrachten selbst manche Fürsprecher mit Argwohn. Turner selbst sagt: "Macht man als Tageszeitung heute ein solides Standardprogramm, landet man unausweichlich in der Austauschbarkeit. Durch die Digitalisierung haben die Leser alles ständig verfügbar. Da braucht uns am Ende kein Mensch mehr, wenn wir nichts Eigenes und Besonderes bieten."

Tratsch aus dem Regierungsviertel

Turner, ganz Werber, hat bisher nicht nur 6000 Briefe an Leser verschickt und sie um ihre Meinung gebeten, sondern vor allem Zahlen durchgearbeitet. "Wir erreichen 54 Prozent der Politik-Entscheider in der Hauptstadt. Alle überregionalen Zeitungen zusammen kommen nur auf 36 Prozent", sagt er. Sein Konzept: Der "Tagesspiegel" soll sich wandeln und neben dem Lehrerhaushalt in Berlin-Steglitz künftig auch und vor allem Premium-Entscheider im Fokus haben.

Eigens für das Hauptstadt-Establishment hat Turner einen neuen Teil eingeführt. Das Zeitungsbuch heißt Agenda und erscheint alle zwei Wochen während der Sitzungswochen des Bundestags. Wenn es nach Turner geht, soll in der Agenda jede Menge Klatsch und Tratsch aus dem Regierungsviertel verbreitet werden. Mal geht es um die Bierzapfanlage im Sitzungssaal des Haushaltsausschusses, oder es wird eine sächsische Firma porträtiert, die Politiker-Limousinen panzert. Turner nennt seine Beilage ganz bescheiden "Fachinformation für Politikentscheider".

Die Agenda sei so erfolgreich, sagt er, dass sie nun jede Woche im "Tagesspiegel" erscheinen soll. "Wir bekommen sehr positive Leserrückmeldungen, selbst von Lesern, die nicht von der Politik leben. Auch die Werbevermarktung läuft sehr gut. Die Beilage schreibt schon jetzt schwarze Zahlen, obwohl das Jahr noch nicht mal zur Hälfte um ist, die letzte Ausgabe war sogar komplett ausgebucht", schwärmt Turner.

Unter den Anzeigenkunden sind viele Lobbyverbände, die mit ihren Botschaften "am Informationsprozess des Politbetriebs" (Turner) teilnehmen wollen. Besonders gefragt seien Anzeigen, die große Infografiken enthalten. Inspiriert vom "Handelsblatt", will er demnächst zudem eine "Morgenlage" starten; per Mail werden die wichtigsten "Tagesspiegel"-Inhalte an Interessierte verschickt.

Ein Problem löst Turner damit aber nicht: Der "Tagesspiegel" hat nicht gerade schlanke Personalkosten. "Der Medienmarkt wird sich wie viele Märkte konsolidieren. Am Ende bleiben mindestens zwei übrig. Der mit den niedrigsten Kosten und der mit der höchsten Qualität. Kostenführer können wir nicht werden, da bleibt dann noch die Qualitätsstrategie", sagt Turner.

Digitaler Fachdienst

Deshalb will er seine Redaktion noch mehr für die Wertschöpfung schuften lassen. "Jeder Fachredakteur bringt weit mehr Informationen von einer Recherche mit, als er für einen 'Tagesspiegel'-Artikel verwenden kann", meint Turner. Diese zusätzlichen, meist eher speziellen Erkenntnisse, will er künftig extra - und zwar digital - verkaufen. So ein Fachdienst wird deutlich teurer als ein Zeitungsabonnement sein, losgehen soll es mit den Bereichen Energie- und Gesundheitspolitik. Die Zahl der Interessenten dürfte überschaubar sein. "Das rechnet sich für uns schon, wenn nur ein Teil des monatlichen Redakteursgehalts mitgetragen wird und hilft, viele Experten in der Redaktion zu versammeln", sagt Turner.

Die Redaktion reagiert auf die Präsenz des Neuen höchst verschieden. Manche wollen seit Turner das Gefühl haben, dass endlich etwas passiere; ein Redakteur beschreibt, er habe jetzt das Gefühl, "in einem Start-up mit frischen Ideen zu arbeiten". Auch die Chefredakteure scheinen mit den Ideen zufrieden zu sein. Andere wundern sich eher über manche von Turners Einfällen und empfinden ihn als zu fordernd.

Ob Turners Ideen reichen, um in einem Markt wie Berlin überleben zu können? Erfahrung in der Rettung von Zeitungen hat Werber Turner immerhin schon gesammelt - zumindest ein bisschen. Für die "taz" dachte er sich einmal Reklame aus. Er nannte sein Werk "Erpressungskampagne". Wenn bis zu einem gewissen Zeitpunkt nicht 300 Aboanträge eingehen würden, so die Werbe-Drohung, gebe es eine Weile lang keine Überschriften in der Zeitung. Turner meint sich zu erinnern, dass die Kampagne ein Erfolg gewesen sei.

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