Terror-Drama "Dschihad in der City" Meine Schwester, die Bombe
Der Bombenbauer als statistische Größe: Der typische islamistische Selbstmordattentäter, so erläutert ein Referendar vor jungen Mitarbeitern des britischen Geheimdienstes, sei mit Bestimmtheit Pakistaner. Außerdem sei er rassismuserfahren, gebildet bis hochgebildet - und Manchester-United-Fan. So gesehen machen sich also nur läppische hunderttausend Pakistanersche Migrantenkinder als potentielle Mörder verdächtig.
Sohail (Riz Ahmed), jüngster Zugang beim Inlandsgeheimdienst, ist einer von ihnen. Dass er nun in den Hightech-Gewölben des MI5 sitzt, hat er einerseits seinen exzellenten Jura-Noten zu verdanken und andererseits seiner Abstammung: Denn wer könnte sich besser in einen jungen Pakistaner hineindenken als ein junger Pakistaner?
Obwohl: Das Wort Pakistaner hört Sohail gar nicht gerne. Er sieht sich als Brite. Er möchte dem Land, das ihn und seine Eltern einst aufgenommen hat, etwas zurückgeben. Wenn er am Wochenende aus London in seine alte Nachbarschaft im Industriestädtchen Bradford heimkehrt, kann er sich über seine Jugendfreunde nur wundern. Die tragen auf einmal die gleichen Gewänder wie ihre Väter.
Sarkastisch ruft Sohail, der Anzugträger aus der Hauptstadt, den Kumpels in der nordenglischen Klinkertristesse zu: "Verkleidet euch nicht als Araber und werft keine Bomben in London."
Assimilierung und Radikalisierung
Es ist die Zeit nach den Terroranschlägen des 7. Juli 2005. Auf den Straßen patrouillieren bis an die Zähne bewaffnete Polizisten; die Anti-Terror-Gesetze erlauben es den Beamten, Festnahmen durchzuführen, ohne Gründe angeben zu müssen. Es kann schon mal passieren, dass ein Abhörteam vor einem Reihenhaus steht und verlangt, ein Zimmer freizugeben, weil man von dort aus die Nachbarn abhören will. Muslime stehen unter Generalverdacht, die Bereitschaft zur Gewalt wächst.
Peter Kosminsky nutzt dieses aufgeheizte Szenario für sein verschlungenes Politdrama "Dschihad in der City", um zwei gegenläufige und doch eng miteinander verbundene Geschichten zu erzählen: die einer Assimilierung und die einer Radikalisierung.
Denn während Sohail im unbedingten Vertrauen auf den starken Staat zum Anti-Terror-Kämpfer wird, entwickelt sich seine Schwester Nasima (Manjinder Virk) durch persönliche Erfahrungen mit dem ausgehöhlten britischen Rechtssystem zur militanten Islamistin.
Das klingt nach einer gewagten Versuchsanordnung. Doch Filmemacher Peter Kosminsky weiß, jüdisch, an einer Privatschule erzogen und Anfang 50 versteht es in seinem dreieinhalbstündigen Gesellschaftspanaroma, das Lebensgefühl junger britischer Muslime in all seiner Zerrissenheit einzufangen.
Keine folgsame Burka-Trägerin
Der Autor und Regisseur, der einst mit seinem Blauhelm-Zweiteiler "Warriors" den wichtigsten Kriegsfilm zum Zeitalter der Interventionspolitik vorgelegt hat, zeichnet rigoros die Zwangsläufigkeit der biographischen Entwicklungen nach ohne seine Charaktere der Formelhaftigkeit preiszugeben.
Sohail ist mehr als ein Karrierist mit gesellschaftspolitischen Scheuklappen und seine Schwester Nasima alles andere als eine folgsame Burka-Trägerin. Im Gegenteil, die Medizinstudentin und Globalisierungsgegnerin hat kein Problem damit, in ihrer Community anzuecken. So wie sie vor der Polizeistation gegen Behördenwillkür demonstriert, verteilt sie vor der Moschee Flugblätter.
Nasima glaubt anfänglich an die Idee der politischen Aufklärung, an die demokratischen Gestaltungsmöglichkeiten. Aber was sollen die einem nützen, wenn man plötzlich ohne anwaltlichen Beistand von der Polizei festgehalten wird, so wie das der jungen Aktivistin nach einer friedlichen Demonstration passiert?
Es gibt in Blairs Post-9/11-Britannien eben eine Menge neuer Paragraphen, die der Polizei autonome Handhabe gewähren. Und die kriegt auch Nasimas Pakistanersche Freundin Sabia zu spüren, die aufgrund einer Kontrollverfügung und ohne Nennung von Gründen unter Hausarrest gestellt und isoliert wird.
Bei einem heimlichen Treffen witzeln Nasima und Sabia noch traurig über die plumpen Verhörmethoden der Cops: Wie in einem schlechten Film hätten sie gedroht, die beiden mäßig religiösen Studentinnen mit Schweinefleisch-Sandwiches zu füttern, falls sie sich nicht kooperativ zeigten. Doch die Behandlung zeigt tatsächlich schwere Folgen: Sabia erhängt sich, Nasima geht in den Untergrund.
Fatales Gebräu
Wie aus einer modernen jungen Pakistanerschen Frau eine radikale Islamistin werden kann, davon erzählte ja schon Kenneth Glenaans hierzulande leider untergegangenes Migrantenporträt "Yasmin" von 2004. Kosminsky geht in seinem von Channel 4 produzierten Zweiteiler, der bei Ausstrahlung im britischen Fernsehen sowohl bei britischen Muslimen wie Behördenvertretern für Verärgerung sorgte, noch ein Stückchen weiter und zeichnet dezidiert ihre Ausbildung zur Selbstmordattentäterin nach.
Dabei ist es eben nicht religiöser Eifer, der die noch immer nicht sehr gläubige junge Frau antreibt. Es ist vielmehr ein fatales Gebräu aus Schmerz und Ohnmachtsgefühl.
Darf man sich so rigoros in eine schlafende Bombe einfühlen?
Regisseur Kosminsky beschreibt das Ungeheuerliche als überhaupt nicht befremdlichen Vorgang. Religiöse Rituale gibt es im Terrorcamp wenige, finstere Mullahs laufen hier auch nicht rum. Stattdessen findet Nasima in einem anderen Pakistanerschen Mädchen aus der englischen Provinz für einige Tage eine Begleiterin durchs kleine Dschihad-Einmaleins.
Gemeinsam hängt man sich zur Übung mit Sprengsätzen behängte Schwangerschaftsattrappen um und lästert über die Macho-Arschlöcher im Camp. Girl-Talk hin oder her: Als Nasima wieder aus dem Mittleren Osten in London eintrifft, bereitet sie sich mit kühler Routine auf ihren finalen Einsatz vor während Bruder Sohail vom MI5 ihre Fährte aufnimmt.
Das ist das Verstörende an Peter Kosminskys kunstvoll gewobenem und extrem spannendem Geschwisterdrama: Wie dicht doch der Glaube an die westliche Welt und der Hass auf sie zusammenliegen!
Dschihad in der City (Teil 1 + 2): heute, 21.00 Uhr, Arte