Thalia Theater Hamburg Ausbruch aus Lorcas Gefängnis
Eine "Tragödie von den Frauen in den Dörfern Spaniens nannte Federico Garcia Lorca sein Stück, das die Männer von der Bühne verbannt und ihre Herrschaft und ihr Wesen doch zum zentralen Thema hat. Die neue, 1999 bei Suhrkamp erschienene Übersetzung von Hans Magnus Enzensberger gab dem Drama endlich die schlichte Klarheit und Authentizität, die dem Wunsch nach "reinem Realismus (Lorca) entspricht. Zwar folgt die Inszenierung Andreas Kriegenburgs dieser Übersetzung, doch sie verhedderte sich nicht in einem fotorealistischen Reportage-Realismus, wie er angesichts des klaustrophobischen Sozialdramas ebenfalls denkbar gewesen wäre. Poetisch und radikal: Kriegenburg befreite die Frauen aus Lorcas Gefängnis und ließ ihnen doch alle Kontur und Tiefe, die ihnen der Autor verliehen hatte.
Mitgefangen, mitgehangen: Bernharda Albas fünf Töchter sind zu Beginn des Dramas aufgeknüpft wie schlafende Marionetten. Hängend über ihren Betten im Gemeinschaftsschlafzimmer, das im oberen Bühnenbereich um 90 Grad gekippt steht, eine abgedrehte Welt für sich. Kleine, vergitterte Fenster, kalte, weiße Wände, Frauenknast. Der Tod regiert im Haus, denn Bernardas Gatte ist soeben verblichen, und traditionelle acht Jahre Trauer stehen an. Ein weiteres Martyrium für die Töchter, denn die archaisch strenge und diktatorische Mutter schließt um des guten Rufes Willen die Tür vor der Welt: Nachbarn, Freunde, frische Luft und Männer bleiben draußen. Der einzige Mann am Horizont, Pepe el Romano, ist für die älteste Tochter Angustias, 39 Jahre alt, vorgesehen, aber er kommt nur als Phantom, als Gesprächsgegenstand, als Objekt der Begierde vor. Er zieht am Ende die jüngste Tochter Adela vor, und bekommt dafür von Bernarda eine Kugel verpasst, die ihn aber nicht tötet. Tot ist am Schluß dafür Adela, die sich erhängt. Der Todeskreis schließt sich.
Zwischen Kuscheln und Keilerei
Die katholische Kirche erscheint an diesem Thalia-Abend nur als winziges Kruzifix inmitten einer grobpinselig gewaschenen Sonnenwand, die dann auch noch als Eiserner Vorhang nach oben entschwindet und jeweils den Blick auf die Zellen der Frauen freigibt. Erlösung ist von dieser Seite nicht zu erwarten, auch wenn sich die jüngste Tochter Adela (intensiv und emotional: Claudia Renner) zu ihrer Liebe zu Pepe el Romano bekennt und die Schande stolz als "Dornenkrone tragen will. Doch zum Leiden sind alle Töchter Bernardas geboren, nicht nur, weil ihnen Liebe und Sex versagt sind. Seltsam rauschhaft zwischen sanfter Trance und aggressiven körperlichen Gesten schwebend, kommen sie sich nah, stoßen sie sich weg, verletzen sie einander, fesseln sich, brauchen sich, hassen sich. Zwischen Kuscheln und Keilerei: Eine überzeugende Personenführung auf der eher engen Bühne der ersten beiden Akte der elektronischen pluckernden Chillout-Musik eher konterkariert als rhythmisiert. Alle sind nicht schön, höchstens wild und voller unterdrückter Gefühle. Als die jüngste Tochter als erste die schwarzen Trauergewänder mit einem hoffnungsfrohen Grünen Kleid vertauscht, beginnt die Fassade zu bröckeln.
Die Figur der Bernarda (stolz, stoisch, kraftvoll, als einzige mit wallenden Haaren: Verena Reichhardt) wird von zwei Seiten subtil in die Zange genommen: Ihre Mutter Maria Josefa (grandios: Johanna Matz) führt ihr mit buntem Kleid und einsichtsvollem Alterswahn vor, wie wahnhaft die Alba-Tresor-Methode ist. Bernardas Magd La Poncia (kantig und katzig: Judith Hoffman) schlägt die Brücke zur Außenwelt, rückt die Verhältnisse ins rechte Licht und verhält den Blick nach draußen. Und sie entlarvt die latente Gewalt, die unter den uniformen schwarzen Trauerkleidern lodert. Als eine verzweifelte Kindsmörderin überführt wird, wollen sich fast alle voll lüsterner Begeisterung dem Lynchmob anschließen. Nicht wissend, dass auch die Adela bereits mit ihrer Beziehung zu Pepe gegen die gesellschaftlichen Konventionen verstoßen hat und sein Kind trägt.
Ein Schluss mit Verve und Kraft
Überhöht und mythisch läutete Andreas Kriegenburg den letzten Akt ein, indem er das von Lorca geforderte leichte Blau der Wände zu einer blauen Weite des Bühnenraumes ausdehnte, die sowohl die kühle Nacht als auch das "Meer der Trauer beschreibt, in das am Ende nach Vorstellungen Bernardas alle eintauchen sollen. Die Schwestern schweben singsangend, als visuelle Variation des ersten Marionettenbildes, sie ergeben sich und stehen doch kurz vor ihrer Befreiung. Dazu ein Tisch mit Kerzen, wie ein Altar, an dem Bernarda richtet und agiert mit hölzernen, unverrückbaren, vorherbestimmten Gesten sie wirkt wie Teil eines Rituals, gegen das alle verzweifelt ankämpfen. Und hier bezieht der offenbar selbst emotionalisierte Regisseur Position für eine Umdeutung des Schlusses: Die verbliebenen vier Schwestern begraben die tote Adela und die tyrannische Mutter unter demselben Altartisch und treten rhythmisch, in einem Todesflamenco und jetzt mit bunten Kleidern angetan, auf die beiden Gegnerinnen ein, bis sich der Vorhang schließt. Das ist keine Parteinahme, das ist Abrechnung und Ausbruch aus dem Gefängnis. Ein Schluss mit Verve und Kraft, der dem ganzen Todestanz eine fast optimistisch Fügung gab. Gewagt, aber im Rahmen der dynamischen und bewegten Inszenierung ebenso logisch wie kraftvoll.
Nach dem eher missglückten "Macbeth gelang Andreas Kriegenburg in Hamburg mit "Bernarda Albas Haus erneut eine packende, innovative Bühnenvision eines diesmal jüngeren Klassikers. Und dass die Thalia-Truppe erneut zu einer mitreißenden und lückenlos begeisternden Ensembleleistung auflief, bedarf fast keiner Erwähnung mehr. Großer, ergriffener Beifall für das ganze Team.