
"Hedda Gabler" in Hamburg: Ibsen und Ironie
"Hedda Gabler" in Hamburg Vollgas, aber nur ein bisschen
Der Rest ist Sperrmüll. Als am Ende dieser "Hedda Gabler"-Inszenierung die bürgerliche Welt buchstäblich dekonstruiert über der Bühne verteilt liegt und die Kulissen sich nach und nach in Richtung Schnürboden verabschiedet haben, bleibt nicht viel zu wünschen und zu hoffen.
Der tödliche Gnadenschuss, den sich die Titelheldin am Schluss ihrer persönlichen Höllenfahrt hinter der Fototapeten-Waldkulisse gibt, klappt den Bühnenguckkasten zu, den Regisseur Jan Bosse mit seiner neuen Henrik-Ibsen-Lesart am Hamburger Thalia Theater so gern auf die Schippe genommen hätte. Aber irgendwann im Laufe dieser als humorige "Gabler"-Gala gestarteten Schauspieler-Revue traute er wohl seinen Ideen nicht mehr so recht und ließ seine Figuren ins Leere laufen.
Die da wären: Hedda Gabler, die freiheitsliebende, schöne Frau, der ein wildes, aber selbstbestimmtes Leben vorschwebt. Sie heiratet den Wissenschaftler Jörgen Tesman nicht, weil sie ihn liebt, sondern weil sie sich ein angenehmes Leben erhofft. Nun findet sie vor allem eins: Langeweile. Schwung ins Leben bringt Eilert Lövberg, der Ex, ebenfalls Wissenschaftler. Er droht die wissenschaftliche Karriere Tesmans zu gefährden, was Hedda unbedingt verhindern will. Es geht in dem Stück um finanzielle Sicherheit und persönliche Freiheit, um die Hoffnung auf Aufstieg und die Angst vor dem Abstieg.
Die Show kann beginnen
Jens Harzer als Wissenschaftsemporkömmling Jörgen Tesman startete geradezu aufreizend aggressiv: Frisch verheiratet und mit Aussicht auf eine Professur, die ihn auch wirtschaftlich sanieren soll, scharwenzelt dieser als Bonvivant verkleidete Kunsthistoriker durch seine neue Villa, deren bürgerliche Edel-Öde so penetrant ins Auge springt, dass es schon wieder komisch wirkt (die Bauten von brutaler Saloneleganz erdachte Stéphane Laimé). Tesmans Hausmantel verschmilzt perfekt mit der Tapete, er tänzelt selbstgefällig mit öliger Schmierfrisur und agiert in Bosses Ibsen-Welt keinesfalls als das traurige Opfer der Verhältnisse, sondern zunächst als abgebrühter Karrierewilliger.
Die Show kann beginnen: Komplett mit Treppe, klappenden Türen und locker eingestreuten, augenzwinkernd eingesetzten HipHop-Gesten wähnt man sich kurzzeitig in einer Herbert-Fritsch-Inszenierung, fehlt nur noch das obligate Trampolin. Diese "Hedda Gabler" wird scheinbar auf Effekt gebürstet, und es kann nun wohl alles passieren.
Patrycia Ziolkowska als Hedda spielt zunächst blendend in diesem ironiebefeuertem Ambiente, sie gibt in scharfer Überzeichnung die Society-Zicke mit Ansprüchen, von denen sie weiß, dass keiner sie erfüllen kann. Weder die gutmütige Tante Julle (wie immer souverän: Karin Neuhäuser), noch ihr Ex Lövborg (eruptiv und am Rande des Wahnsinns: Alexander Simon), noch der strippenziehende Richter Brack (als lautes, bürgerliches Beamten-Monster: Daniel Lommatzsch). Getreu der anfänglichen Boulevardstoßrichtung Bosses kollidieren ihre exaltierten Bewegungen, ihre stummfilmintensiven Blicke wie ihr schwarzgoldenes Abendkleid (Kostüme, sehr gekonnt: Kathrin Plath) mit so ziemlich allem, was sonst an bürgerlichen Signalen auf der Bühne vorkommt.
Beifall für alle - mit ein paar zarten Buh-Rufen
Das hätte jetzt mit schneller Personenregie ein überdrehtes Sozialballett werden können, in welchem der Regisseur ja auch mal den Ibsen-Text auf Aktualität abklopfen könnte - ist eine individuelle Frau, die ihr eigenes Leben auf Biegen und Brechen in einer von bürgerlichen Werten geprägten Welt verwirklichen will 2013 noch das ganz heiße Eisen? Auf Leben und Tod?
Irgendwann inmitten all der schönen Versuchsanordnungen, komischen Ideen (Julian Greis spielt das Hausmädchen Berte mit anrührender Grazie) und dem fast unablässigen Spiel des Bühnen-Streichquartetts (Musik: Jonas Landerschier) kamen Jan Bosse wohl Zweifel, und er zog all die böse Ironie (auch dem Text gegenüber) wieder ab und schaltete zurück auf Ibsen, Seminarversion. Als dann die Musiker zart den "Tristan"-Akkord intonieren und immer wieder umkreisen, weiß man endgültig, dass bald der Tod anklopft.
Die wichtigen Szenen, in denen Alexander Simon die Ausbrüche des alkoholgefährdeten genialen Wissenschaftlers und Tesman-Konkurrenten Lövborg mit Urgewalt exerzieren lässt, bringen wieder exzellentes Schauspieler-Theater, wie man es vom Thalia gewohnt ist. Simon als tobender Iggy-Pop-Verschnitt, das ist schier hinreißend. Und dass Jens Harzer mühelos zwischen dem bürgerlichen Monster Tesman und einem vom Gewissen geplagten Gutmenschen changieren kann, hätte niemand bezweifelt. Auch Patrycia Ziolkowskas überdrehte und zerquälte Hedda Gabler lief dann auf einmal - parallel zu den entschwebenden Kulissen - in befriedete Theaterbahnen. Nach der Pause hatten dann alle Akteure Mühe, den dramatischen Faden wieder zu finden. Das Drama verödete in Gerede. Schade.
Jan Bosses mutiger, weil bösartig-sarkastischer Beginn hätte eine Steigerung in die bürgerliche Apokalypse verdient. So war es nur hübscher Anlauf mit kurzem Sprung. Dass es immer noch zu guter Unterhaltung geriet, lag am exzellenten Ensemble. Das allerdings ist nach Thalia-Maßstäben ein bisschen wenig. Dennoch verdienter Beifall für alle - mit ein paar zarten Buhs fürs Regie-Team.