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Performance in Bremen: Das Surren des Ventilators

Foto: Theater Bremen/ Jörg Landsberg

Performance in Bremen Witzig oder nicht witzig, das ist hier die Frage

Wie weit hat der Verstand uns gebracht? Wäre es nicht besser, ihn manchmal auszuschalten? Aus solchen Fragen hat der Nachwuchsregisseur Alexander Giesche eine Performance gemacht. Seine ganz eigene "World of Reason" zeigt er am Bremer Theater.

Ein Ventilator hängt an einem Kabel vom Schnürboden herab. Langsam setzt er sich in Bewegung, immer größer werden die Kreise, die er über der leeren schwarzen Bühne beschreibt. Minutenlang geht das so, man hört nur das leise Surren des Geräts. Was ist das? Eine Hypnoseübung? Plötzlich stoppt der Motor, und der Ventilator gerät ins Trudeln. Dann beginnt alles wieder von vorn. Bald kommt eine Frau auf die Bühne und versucht den Ventilator zu fangen, aber er hängt zu hoch. Ein Mann schaut ihr dabei zu.

Dieselbe Frau tritt kurz darauf gemeinsam mit ihrem Kollegen vors Publikum, beide tragen jetzt ein Pinguinkostüm und beginnen, verhaltensbiologische Überlegungen über die Menschenkolonie vor ihnen anzustellen: "Ich hab irgendwo mal gelesen, dass es auch schwule Menschen gibt..."

Ganz lustig. Aber worum geht es hier? Die Frage ist falsch gestellt. Denn Alexander Giesches Theaterabend "World of Reason" im Kleinen Haus des Theaters Bremen, der wahlweise als Performance oder als Visual Poem angekündigt ist, richtet sich nicht an den Verstand des Zuschauers, sondern an seine Intuition. Die "World of Reason" soll überwunden werden.

Giesche, 32, hat am Institut für angewandte Theaterwissenschaft Gießen studiert, wie viele erfolgreiche deutsche Theatererneuerer der jüngeren Generation, und gilt als große Nachwuchshoffnung. Mit seinem Stück "Der perfekte Mensch", ebenfalls in Bremen entstanden, ist er im April beim renommierten Nachwuchsfestival "Radikal jung"  in München zu sehen.

Die Gießener sind auch ein bisschen berüchtigt für ihren theoretischen Überbau, und so wird auch "World of Reason" angekündigt als ein Abend, der "den Ambivalenzen und der Verführung eines Zeitgeistes zwischen Vernunftsmüdigkeit, Möglichkeitseuphorie und Weltfluchtphantasie" nachspürt. Giesches Projekt ist eher eine Nummernshow als ein Stück, zusammengehalten von den privaten Assoziationsketten des Regisseurs und vor allem von den tollen Performern, der Schauspielerin Nadine Geyersbach und dem Tänzer Andy Zondag. Die wechseln ständig zwischen großen Gesten und skurrilen Aktionen.

Mal stellen sie, von dichtem Bühnennebel umwabert und wummernden Bässen begleitet, in Zeitlupe schwarze Flaggen auf, die dramatisch im Wind wehen, dann wieder taucht Zondag die Füße seiner Kollegin in ein Aquarium, und während kleine Fische an ihren nackten Zehen knabbern (oder lutschen, wer weiß das schon), teilen sie die Welt in "witzig" und "nicht witzig" ein: "Ukraine?" - "Witzig." - "Russland?" - "Nicht witzig." - "Netanyahu?" - "Nicht witzig." - "Europa?" - "Sehr witzig." Usw. Der gelbe Handlauf des Rollwagens, auf dem das Aquarium steht, und das lila Handtuch für Geyersbachs Füße korrespondieren dabei farblich perfekt mit den Plateausohlen ihrer Schuhe (Bühne und Kostüme: Nadia Fistarol).

Giesche fehlt das anarchische Element eines Christoph Schlingensief

Auch Christoph Schlingensief wird in der absurden Reihe erwähnt (ich erinnere mich leider nicht, ob als "witzig" oder "nicht witzig"). Es ist offensichtlich, dass Schlingensief eine Referenzgestalt ist für Alexander Giesche. Giesche allerdings fehlen der Furor und das anarchische Element, die bei dem 2010 gestorbenen Aktionskünstler immer wesentlich waren.

Schlingensief war darin dem amerikanischen Performancekünstler Andy Kaufman sehr ähnlich, auf den sich Giesche ebenfalls bezieht: Der biografische Film "Der Mondmann" von Miloš Forman über Kaufman war laut Programmheft Ausgangspunkt seines Projekts. Wohl deshalb - wenn man es hier dann doch mal mit herkömmlichen Erklärungsmustern versuchen darf - geht es so viel um den Mond an diesem Abend; er hängt auch als große runde Spiegelscheibe im Bühnenhintergrund.

Einen Grundsatz hat Giesche von Kaufman übernommen: Die Erwartungen des Publikums zu unterlaufen. In einer Zeit, in der jeder TV-Zuschauer weiß, dass, wo "Reality Show" draufsteht, nichts Reales drin ist, ist das allerdings nicht mehr so leicht wie zu Kaufmans Zeiten. Damals waren Rolle und Person noch klar getrennt - Kaufman hob diese Grenze auf. Kaufman hat sein Publikum verstört, Giesche verwirrt es höchstens. Wenn man sich darauf einlässt, ist seine "World of Reason" ganz amüsant. Aber sie bleibt harmlos.

Am Ende hat der Regisseur aber doch noch eine Art Botschaft für uns Erdlinge: Da schwärmt Andy Zondag, als eine Art späthippiesker Guru in eine goldene Rettungsfolie gewickelt, seiner Kollegin vom Leben auf dem Mond vor, wo alles möglich ist und es grenzenloses Verstehen geben wird. Und dann bauen die beiden symbolisch schon mal die Absperrungen ab, die sie auf der Bühne errichtet hatten, und gehen in Zeitlupe von der Bühne, zum wunderbar pathetischen Song "Iron Sky" von Paolo Nutini, der Charlie Chaplins Friedensrede aus "Der große Diktator" zitiert. Zurück bleibt der surrende Ventilator.

"World of Reason" Ein Projekt von Alexander Giesche inspiriert von Miloš Formans Film "Man on the Moon". Im Theater Bremen , nächste Vorstellungen am 25.3., sowie am 16.4., Tel. 0421/365 33 33, Karten unter www.theaterbremen.de .

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