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Theater-Premiere in Frankfurt: Nora im Schnellkochtopf

Foto: Birgit Hupfeld

Ibsen-Premiere in Frankfurt Der Mann hat einen Vogel

Er betrachtet sie als sein Eigentum, und erst in der Krise findet sie zu sich selbst: Ibsens Emanzipationsdrama "Nora" kümmert sich um ziemlich aktuelle Probleme. Michael Thalheimer setzt es am Frankfurter Schauspielhaus unter Hochdruck.

Ungefähr einen Meter Radius hat der Kreis, in dem sich die Frau bewegt. Wie in einem unsichtbaren Käfig gefangen steht sie von Anfang an vorne rechts auf der Bühne und wird diesen Platz den ganzen kurzen Abend nicht verlassen. Die Frau trägt dabei ein kurzes Matrosenkleidchen - so kurz, dass von den Beinen nichts mehr bedeckt ist, sobald sie ihre Arme in die Luft reckt - und einen kecken Blick.

Diese beiden Bilder bestimmen die "Nora"-Inszenierung von Michael Thalheimer am Schauspiel Frankfurt, die am Freitag Premiere hatte: die Frau als Vogel im Käfig und die Frau als Kind. Beides ist unmittelbar aus Henrik Ibsens 135 Jahre altem Emanzipationsdrama abgeleitet: Als "mein Singvögelchen" verniedlicht und verdinglicht der designierte Bankdirektor Torvald Helmer seine Frau Nora. Und er behandelt sie nicht nur wie ein Kind, sondern spricht tatsächlich von ihrer "Erziehung". Erst findet er den leichtfertigen Umgang seiner Frau mit Geld noch ganz entzückend, aber als er erfährt, dass sie sich verschuldet und eine Unterschrift gefälscht hat - um ihn zu retten, aber das ahnt er nicht -, denkt er nur noch an sich und seine Ehre. Als Nora das begreift, verlässt sie ihren Mann.

Als ob auch seine Zuschauer Kinder wären, zeichnet Thalheimer seine Bilder überdeutlich - und schon nach fünf Minuten ist in Frankfurt alles gesagt und gezeigt über die Beziehung zwischen Nora und Torvald. Wie ein Vogel im Käfig beginnt die Frau gleich am Anfang zu pfeifen, eher eifrig als virtuos, und ihr Mann stürzt herein und brüllt: "Meine Lerche!" Bettina Hoppe ist eine sehr lebendige, burschikose Nora, nicht naiv, aber gutgläubig; ihr Lächeln hat immer etwas Tapferes.

Ihr Mann Torvald (Marc Oliver Schulze) wechselt ständig zwischen Angriffshaltung und selbstgefälligem Zurücklehnen, auch das überdeutlich ausgestellt. Seine Gesten wirken wie automatisiert, sein Lachen ist maskenhaft. Mit Fliege und Hosenträgern überm Streifenhemd gekleidet wie ein Broker, passt er schon optisch nicht zu Nora mit ihrem Matrosenkragen (Kostüme Nehle Balkhausen): Das Ehepaar Helmer lebt nicht nur in verschiedenen Welten, sondern auch in verschiedenen Jahrhunderten.

Die anderen Figuren um dieses Zentrum herum sind wie schon häufiger bei Thalheimer nur Typen, Zombies an der Grenze zur Karikatur: Doktor Rank (Michael Benthin), der todkranke Freund der Helmers, wankt und keucht über die Bühne wie der Alien aus "Men in Black", der nicht ganz in die menschliche Hülle passt, die er sich übergezogen hat. Christine Linde (Verena Bukal) und Krogstadt (Viktor Tremmel), die beiden ökonomisch so gebeutelten Menschen aus der Vergangenheit der Helmers, kommen triefnass auf die Bühne - das Leben hat sie buchstäblich im Regen stehen lassen. Christine trägt dazu eindrucksvoll blutunterlaufene Augen, Krogstadt hat nervöse Zuckungen und verrenkt sich akrobatisch.

Die Frau als Schaf, der Mann als Gorilla

Die Zeichenhaftigkeit von Thalheimers Inszenierung, die Zuspitzungen, die seine Klassiker-Interpretationen oft so scharfsichtig machen, funktionieren bei Ibsen nicht, sie machen die "Nora" geheimnislos. In der Szene, in der die Helmers zum Maskenball gehen, hat Nora bei Thalheimer allen Ernstes einen Schafskopf übergestülpt, ihr Mann geht als Gorilla.

Auch die Bühne lässt keine Fragen offen. Thalheimers Stamm-Bühnenbildner Olaf Altmann hat dem Regisseur einen klassischen Olaf-Altmann-Raum gebaut: Einen leeren schwarzen, nach hinten spitz zulaufenden Saal mit einer hohen Tür in der schmalen Rückwand, die die Menschen winzig macht. Von Tannenbaum und bürgerlicher Gemütlichkeit keine Spur, Noras "Puppenheim" bleibt ein Luftschloss, das Bettina Hoppe immer wieder mit dem Finger an eine imaginäre Wand vor sich malt.

Wo alles so klar ist, kann man's kurz machen: In 80 Minuten rappeln sich die Schauspieler durch den schlüssig gekürzten Text, als befänden sie sich in einem Schnellkochtopf. Das Atemlose, Gehetzte verweist direkt in die Gegenwart, in der der ökonomische Druck sich in Zeitdruck überträgt. Klar, dass da auch mal Dampf abgelassen werden muss: Am Wendepunkt des Dramas bricht Bert Wredes zartes Zauberfee-Geklingel, das Noras Glauben an das "Wunderbare" (die Hoffnung, dass ihr Mann für sie einstehen wird) illustriert, in trockene, harte Heavy-Metal-Beats aus, zu denen Nora tanzt und zappelt wie eine Aufziehpuppe - auch das ein wohlkalkulierter, dennoch mitreißender Effekt.

Am Schluss, als Nora sich entschieden hat, ihren Mann zu verlassen, der für sie in acht Jahren Ehe "ein Fremder" geblieben ist, wird aus dem Kind, der Puppe, plötzlich eine Erwachsene: Bettina Hoppe gibt der Nora eine tiefere Stimme, ganz klar, entschlossen, gerade steht sie da. Der Mann, klein im Hintergrund, ruft ihr hinterher, trotzig wie ein Kind, dem man sein Spielzeug weggenommen hat. Aber Nora hört ihn schon nicht mehr.

Nora. Schauspielhaus Frankfurt, wieder am 14. und 23.5. sowie 5., 7. und 28.6., Tel. 069/21 24 94 94, www.schauspielfrankfurt.de 

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