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Fotostrecke: "Unterwerfung" von Michel Houellebecq

Foto: Jörg Carstensen/ dpa

"Unterwerfung" in Berlin Der französische Patient

Michel Houellebecqs finstere Zukunftsvision "Unterwerfung" ist derzeit ein Bühnenhit. Im Berliner Deutschen Theater erzählt der Regisseur Stephan Kimmig die Story als Krankengeschichte.

Es gibt nur ein einziges Malheur, vor dem es selbst den furchtlosen Galliern Asterix und Obelix graut, und genau das passiert dem Helden dieses Theaterabends: Kurz vor Schluss fällt dem Mann tatsächlich der Himmel auf den Kopf. Der Schauspieler Steven Scharf spielt einen Literaturprofessor mit dem sprechenden Namen François, also den französischen Mann schlechthin.

Er hat viel Zeit in einem Krankenhausbett gebibbert, wo ihm die schmerzenden Füße von einer Krankenschwester gewaschen wurden. Er hat von seinen Liebschaften mit Studentinnen und dem Sex mit Escort-Huren erzählt, und von den Wahlen im Frankreich des Jahres 2022, die einen muslimischen Staatspräsidenten an die Macht brachten. Manchmal hat der französische Patient übel herumgestöhnt, manchmal sahen wir ihn fidel in Pyjamahosen im Krankensaal herumtanzen, aber als er sich endlich wirklich aufrafft und sich in Smokinghose und weißem Hemd bereit macht für die Zukunft, sinkt ein weißer Bühnenhimmel auf ihn nieder - und der Mann durchstößt mit dem Kopf schmerzlos die Papierschicht. Dann stakst er davon in eine ungewisse Zukunft.

Der Regisseur Stephan Kimmig hat sich für das Deutsche Theater in Berlin seine eigene Bühnenversion von Michel Houellebecqs Roman "Unterwerfung" ausgedacht. Das Buch ist aus guten Gründen derzeit ein beliebter Theaterstoff, der unter anderem in Hamburg und Dresden inszeniert wurde. Houellebecq schildert, wie sich in naher Zukunft die politischen Machtverhältnisse in einem Kernland Europas verschieben: In seiner Utopie haben die gemäßigten Parteien Frankreichs, um die rechtsradikale Front-National-Chefin Marine Le Pen zu verhindern, dem von mehr als 20 Prozent postmigrantischen Wählern unterstützten Muslimbruder Mohammed Ben Abbes ins Präsidentenamt verholfen. Die säkulare Republik ist abgeschafft, die Scharia Gesetz, Frauen dürfen nicht mehr arbeiten.

Als Vision gefeiert und als Pamphlet verdammt

Houellebecqs Buch ist im Januar 2015 erschienen, genau an dem Tag, als islamistische Terroristen in die Redaktion der Satirezeitschrift "Charlie Hebdo" eindrangen und zwölf Menschen ermordeten. Der Roman wurde als böser Blick in die nahe Zukunft gefeiert und als Pamphlet verdammt - und ist ein Bestseller, der sich bis heute mehrere hunderttausend Mal verkauft hat.

Im Hamburger Schauspielhaus hat der Schauspieler Edgar Selge aus der "Unterwerfung" ein stets ausverkauftes, herausragendes Theaterereignis dieser Saison gemacht: Selge führt in der Inszenierung der Regisseurin Karin Beier das Scheusal François als begnadeten Entertainer vor, als frivolen, von Frauen- und Selbsthass befeuerten Zyniker, der am Ende begeistert Ja sagt zu einer Zukunft im muslimisch dominierten Staat. Unermüdlich kraxelt Selge in einem Kruzifix-Bühnenbild herum, als sei er der mythische Steineschlepper Sisyphos, der stets von Neuem seinen prinzipiell sinnlosen Job tut.

Der Schauspieler Steven Scharf spielt François in Berlin dagegen als depressiven Leidensmann - und immerfort gegen einen sterilen, schneeweißen Krankensaal an. Im Bühnenbild von Katja Haß ist der Literaturprofessor ein Gefangener, der von drei Männern und einer Frau in weißen Kitteln betreut wird. Einmal platzt durch die Saaldecke auch eine Kamera, die ihn genauer in Augenschein nimmt. Wir alle seien "hypnotisiert vom Geld", klagt François, er selbst aber verschwendet an Rebellion keinen Gedanken und sagt von sich, er sei "politisiert wie ein Handtuch".

Eine Krankengeschichte, die ganz Europa meint

Stephan Kimmigs Berliner Inszenierung folgt einem klaren Konzept, das spricht für ihre intellektuelle Kraft, ist aber auch ein bisschen ihr Verhängnis. Sie erzählt eine Krankengeschichte, die nicht bloß Frankreich, sondern ganz Europa meint. Der Kontinent sei "an sich selbst zugrunde gegangen", sagt Steven Scharfs François einmal. Das klingt wie ein böser, unabänderlicher medizinischer Befund. Im Programmheft ist die Rede von der "unerträglichen Selbstzerfleischung der liberalen westlichen Gesellschaften". Stimmt das wirklich? Scharf muss einen krampfgeschüttelten Schwermutsmenschen spielen, dem selbst das Nacherzählen seiner Sexgeschichten keine Freude macht. Houellebecqs Roman dagegen ist ein Übertreibungskunststück, darin bestehen sein Witz und seine provokative Sprengkraft. Wer darin alles eins zu eins nimmt, verdirbt nicht bloß dem Autor seinen Spaß, sondern er raubt auch dem Publikum jene Angstlust, die nie so genau weiß, ob die eigenen Untergangsvisionen nur eingebildet sind oder doch real.

Aber gut, es ist auch so ein großes Vergnügen, dem Schauspieler Scharf dabei zuzusehen, wie er sich in schüchternen Tanzbewegungen freizumachen versucht von der Last der Verklemmungen, die seine Figur fürchterlich beschwert. Die schöne Schauspielerin Lorna Ishema ist in allen Frauenrollen des Abends eine Art idealtypischer Männertraum, der dem maladen Helden mal als Pflegerin und mal als Madonna eine Aussicht auf Erlösung verschafft. Die wunderbar komischen Darsteller Wolfgang Pregler und Marcel Kohler geistern durch die aseptische Klinikwelt des Patienten F., als seien sie Beckett-Clowns.

Manchmal hört man leise arabische Musik erklingen, manchmal dudelt Fahrstuhlmusik. In der schönsten Szene des Abends sieht man den Schauspieler Camill Jamall, der den neuen muslimischen Staatspräsidenten Muhammed Ben Abbes spielt, im Arztkittel auf dem Krankenbett sitzen und die Hand des Patienten François halten. Mit sanfter Stimme berichtet er von dem Frieden, der unter seiner Herrschaft in Europa einkehren werde. Die Depression des Helden aber kann dieser Tröster so wenig lindern wie die Verheißungen, die ihm in Aussicht gestellt werden für den Fall, dass er zum Islam konvertiert. Starr und stoisch nimmt François es hin, dass ihm Frankreichs Himmel auf den Kopf fällt. Ein Miraculix müsste her, der ihm einen Zaubertrank braut.


Unterwerfung . Deutsches Theater Berlin, nächste Vorstellungen am 23. und 27.4. sowie 11., 21. und 31.5., Tel. 030 28441225, deutschestheater.de 

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