
Zum Tode Dimiter Gotscheffs Arbeit und Whisky
Seine letzte Inszenierung war ein Debüt: Im Alter von 70 Jahren arbeitete der Regisseur Dimiter Gotscheff zum ersten Mal am Münchner Residenztheater. Ziemlich untypisch für ihn verzichtete er dabei sogar auf die Schauspielertruppe, mit der er sonst meist inszenierte (darunter seine Frau Almut Zilcher) und stellte sich seine Mannschaft aus dem festen Ensemble des Bayerischen Staatsschauspiels zusammen.
Nur beim Autor, da ging er kein Risiko ein: Heiner Müller, der überragende, 1995 gestorbene DDR-Dramatiker, war sein engster Gefährte, auch in München. "Zement" heißt Müllers selten gespieltes Stück von 1972, das Gotscheff im Mai herausbrachte. Es erzählt davon, was übrigbleibt von einer Revolution, wenn der erste Rausch vorbei ist, die Revolutionäre die Macht übernommen haben und die blutigen Kämpfe über den richtigen Kurs begonnen haben. Wenn die Menschlichkeit auf der Strecke geblieben ist.
Der Bulgare Dimiter Gotscheff kam 1961, als 18-Jähriger, mit seinen Eltern nach Ost-Berlin, wenige Wochen nach dem Mauerbau. Er lernte in Rekordzeit die Sprache, machte sein Abitur und begann nach dem Vorbild des Vaters Tiermedizin zu studieren. Dann gerät er in die Theaterszene, wechselt das Fach, natürlich Theaterwissenschaften, wird Mitarbeiter des Brecht-Adepten Benno Besson und lernt Heiner Müller kennen, der damals mit einer Bulgarin zusammen ist. Diese Begegnung bleibt prägend bis zum Schluss; auch über den Tod Müllers hinaus.
Haufenweise Angebote aus dem Westen
Bald macht Gotscheff erste eigene Inszenierungen in Ost-Berlin, an der Volksbühne und am Deutschen Theater. Aber spätestens 1976, nach der Ausbürgerung von Wolf Biermann, ist es in der DDR auch mit den letzten Resten von der Freiheit der Kunst vorbei. Gotscheff kehrt nach Bulgarien zurück, aus Heimweh, aber auch, weil er eine Mission hat: deutsche Texte, die er lieben gelernt hat, in seiner Heimat bekanntmachen, neben Müller vor allem Georg Büchner.
Im Jahr 1983 inszeniert Gotscheff in Bulgarien Müllers "Philoktet", und der Autor lobt die Arbeit öffentlich: "Deine Inszenierung hat mich das Stück neu sehen lassen." Das verhindert erst mal das Verbot dieser Produktion und bringt dem Regisseur haufenweise Angebote von westdeutschen Theaterintendanten; 1985 wechselt Gotscheff endgültig in den Westen.
Zigaretten, runtergeraucht bis auf den Filter
Gefragt, ob Heiner Müller für ihn ein Vorbild war, sagte Gotscheff einmal: "Seine Texte waren Vorbilder." Waren sie Freunde, Müller und er? "Nein, so würde ich das nicht sagen." Was hat sie dann verbunden? "Arbeit", antwortete Gotscheff, der seine Zigaretten stets bis zum Filter runterrauchte. "Und Whisky".
So schroff sich der Regisseur mit der stets links gescheitelten, auch im Alter noch mächtigen halblangen Silbermähne nach außen oft gab, so ehrfürchtig und warmherzig sprachen seine Schauspieler von ihm.
Wolfram Koch und Samuel Finzi bilden in vielen von Gotscheffs Inszenierungen ein Traumduo, unter anderem in der radikal auf den Heiner-Müller-Text konzentrierten und gefeierten Inszenierung "Die Perser" (2007, Deutsches Theater Berlin, wieder am 27.10.) und in seinem legendären "Iwanow", der 2005 an der Berliner Volksbühne herauskam und auch noch immer auf dem Spielplan steht (das nächste Mal am 31.10.).
Grimmiger Humor und große Zartheit
Finzi, der ebenfalls aus Bulgarien stammt und bei Gotscheff schon spielte, lange bevor er zur Kino- und Fernsehberühmtheit aufstieg, sagte über den Regisseur: "Er ist der Mensch, der mir in diesem Land künstlerisch am meisten Raum geschaffen hat."
Joachim Lux, der Intendant des Hamburger Thalia Theaters, an dem Dimiter Gotscheff in den letzten Jahren viel gearbeitet hat, schreibt in seinem Nachruf: "Er hatte einen grimmigen Humor und hinter aller balkanesischen Bärbeißigkeit eine große Zartheit."
Für den Intendanten des Deutschen Theaters Berlin, Ulrich Khuon, war er ein "radikal und politisch tief denkender und empfindender Regisseur und Mensch". All diese Beschreibungen zeichneten auch Gotscheffs Inszenierungen aus - und machten sie so spannend.
Die Münchner Inszenierung von "Zement" offenbarte noch einmal diese Stärken Gotscheffs. Er gibt (man kann das zum Glück in der Gegenwart schreiben, denn auch diese Inszenierung ist noch im Spielplan) den Schauspielern den Raum, den sie brauchen, um mit ihrer Energie die Geschichte zu tragen - allen voran Sebastian Blomberg und Bibiana Beglau als Ehepaar, das durch die Russische Revolution getrennt war und nun auf der politischen wie auf der Empfindungsebene nicht mehr zusammen findet.
Verzweiflung über die Menschheit, die Kriege
Von archaischer Wucht ist seine Inszenierung, man spürt die Verzweiflung über die Menschheit, die es einfach nicht hinbekommt, aus ihren Fehlern zu lernen. Optisch deutet nichts darauf hin, aber inhaltlich ist der Bezug zu all den gerade wieder versandenden oder in blutige Bürgerkriege umschlagenden Revolutionen auf dieser Welt jederzeit klar.
Und dann steht da das Kind des Paares, gespielt von Valery Tscheplanowa, ganz allein auf der Bühne und singt, auf Bulgarisch. Unglaublich berührend ist das, sehr traurig, aber nicht kitschig.
Gotscheffs letzte Inszenierung wird im Programm des Residenztheaters mit einem Satz von Heiner Müller angekündigt: "Was man braucht ist Zukunft und nicht die Ewigkeit des Augenblicks. Man muss die Toten ausgraben, wieder und wieder, denn nur aus ihnen kann man Zukunft beziehen". Dimiter Gotscheff starb in der Nacht zu Sonntag nach kurzer schwerer Krankheit in Berlin.