

Plötzlich wird es still im kleinen Saal des New York Public Theater an der Lafayette Street. Das Lachen verstummt, das Publikum rutscht unruhig auf seinen Stühlen hin und her.
Mike Daisey, der Alleinunterhalter des Abends, der mit nichts als ein paar Notizen und einem Wasserglas an einem Tisch auf der Bühne sitzt, ist abrupt ernst geworden. Vorbei sind die selbstironischen Witzeleien über den Apple-Kult, zu dessen Jüngern er sich seit Kindheit zählt, vorbei sind die blumigen Anekdoten über den Werdegang von Steve Jobs vom LSD-schluckenden kalifornischen Hippie zum erfolgreichsten Unternehmer des 20. Jahrhunderts.
Stattdessen spricht der passionierte Journalist und Drehbuchautor nun über 13-jährige Kinder, die 16-Stunden-Schichten arbeiten und auf dem Fabrikboden schlafen. Er spricht von einer Selbstmordserie auf dem größten Fertigungsgelände für Elektronikgeräte der Welt, wo rund die Hälfte unserer kleinen Lieblingsspielzeuge herkommt. Er redet von alten Männern, deren Hände von der jahrelangen Akkordarbeit verkrüppelt sind und von Frauen, die unheilbar nervenkrank sind, weil sie jahrelang das Reinigungsmittel eingeatmet haben, mit dem iPod-Touchscreens poliert werden.
Fassungslose Zuschauer
Das hatten nur die wenigen Theatergänger erwartet, die sich die Mühe gemacht hatten, die Kritiken zu Daisey's Ein-Mann-Stück "The Agony and Ecstasy of Steve Jobs" zu lesen. Die meisten, das merkt man an der Stimmung im Saal, sind konsterniert. Sie hatten in den Programmblättern "Steve Jobs" gelesen und sich in der Hoffnung eine Karte gekauft, die Andacht an den Popstar-Unternehmer, die Apple-Anbeter auf der ganzen Welt seit Wochen feiern, noch um einen wohligen Abend zu verlängern.
Für Mike Daisey, dessen babyspeckige Figur und sein moralischer Eifer stark an Michael Moore erinnern, ist der Tod von Steve Jobs hingegen nur "eine Ablenkung von der eigentlichen Apple-Story", wie er sagt. Daisey hat an seinem Jobs-Monolog schon lange gearbeitet, bevor dieser erneut krank wurde und von seinem Chef-Posten bei Apple zurücktrat. Genau genommen seit 2007, zuvor waren erstmals Berichte über die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Fertigungsstätten für Apple-Geräte in der westlichen Presse aufgetaucht.
Im vergangenen Jahr trat Daisey dann eine Reise nach Shenzhen an, jener Industriestadt in der Provinz Guangdong, wo die meisten aller iPhones, iPads und MacBooks entstehen, mit denen sich die Info-Elite in den urbanen Zentren des Westens so gerne schmückt. Die Geschichte jener Reise bildet das Rückgrat von Daiseys Monolog, verwoben mit der hinlänglich breit getretenen Erfolgsstory von Steve Jobs. Aus diesem Kontrast zieht der Daisey-Monolog seine Kraft: Wie die meisten seiner Zuhörer kann er seine Faszination von Apple und Jobs nicht verhehlen und so ringt er zwei Stunden lang auf der Bühne damit, sie mit der grausamen Realität von Shenzhen zur Deckung zu bringen.
Foxconn - das schmutzige Geheimnis von Apple
Shenzhen ist der Sitz des Foxconn Konzerns - einem chinesischen 110-Milliarden-Dollar-Riesen, der davon lebt, für den Westen extrem billig und extrem effizient Elektrogeräte zu fertigen. Foxconn-Chef Terry Gou ist in der Industriewelt dafür bekannt, die Fertigungskette bis auf die kleinste Handbewegung zu rationalisieren. Man liebt ihn, weil er nach Bedarf das Produktionsvolumen praktisch unbegrenzt steigern kann: Er lässt dann einfach die Schichtlängen verdoppeln. Foxconn ist das schmutzige Geheimnis nicht nur von Apple, sondern auch von Motorola, Hewlett Packard, Dell, Intel, Sony, Acer und Nintendo. Wenn auf einem Elektrogerät heute Made in China steht, kommt es vermutlich aus Shenzhen.
Daiseys Schilderungen des Foxconn-Werks lassen noch den hingebungsvollsten Apple Verehrer erschaudern. Da ist die unvorstellbar gigantische Foxconn-City, mit Tausenden Arbeitern, Landflüchtlinge zumeist, die hier auch in ärmlichen Baracken zusammen gepfercht hausen. "Es ist dort, als hätte Blade Runner sich selbst angekotzt", sagt Daisey. Er beschreibt die monströsen Kantinen mit 10.000 Sitzplätzen, die rund um die Uhr geöffnet haben, um alle Schichten zu bedienen. Und er schildert die Fangnetze, die zwischen die Hochbauten gehängt wurden, nachdem sich vor zwei Jahren Arbeiter serienweise von Dächern zu Tode gestürzt hatten. "Das ist anscheinend ihre Version unternehmerischer Verantwortung", ätzt Daisey.
"Jobs wusste all das"
Trotzdem versucht Daisey am Ende noch "seinen Helden" Steve Jobs zu exkulpieren, dessen Erfindungen für ihn seit dem Apple II so kostbar waren wie das Manna vom Himmel. Doch es gelingt ihm beim besten Willen nicht. "Kann eine Firma, die dermaßen detailorientiert war, von den Arbeitsbedingungen in Shenzhen nichts gewusst haben?", fragt Daisey. Die Antwort lautet eindeutig: Nein. "Jobs wusste all das. Er hatte den Arbeitern in China den Rücken zugekehrt."
So entlässt Daisey seine Zuschauer mit einem stark beschädigten Bild des großen Unternehmer-Genies in die New Yorker Nacht, in der nur zwei Kilometer entfernt die unermüdlichen Wall-Street-Besetzer in ihren Zelten sitzen, um gegen Profitsucht zu demonstrieren. Wer sich in den vergangenen Wochen der allgemeinen Jobs-Wehmut und dem damit verbundenen Totenkult hingegeben hatte, kommt sich nun ein wenig dusselig vor. Und der automatische Griff zum iPhone in der Manteltasche, nach dem die Lichter wieder angegangen sind, ist bedeutend zögerlicher als gewöhnlich.
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Der amerikanische Journalist und Drehbuchautor Mike Daisey bezeichnet sich selbst als Apple-Jünger. Trotzdem ist sein Theaterstück, das er derzeit in New York aufführt, kein Loblied auf den Apple-Gründer. Er klagt ihn an.
Denn die eigentliche Apple-Story sei nicht die Erfolgsgeschichte von Steve Jobs. Sondern: die Geschichte von 13-jährigen Arbeitern, 16-Stunden-Schichten und Selbstmordserien.
Daisey hat an seinem Monolog schon seit 2007 gearbeitet, seit erstmals Berichte über die Arbeitsbedingungen in den chinesischen Fabriken für Apple-Geräte in der westlichen Presse auftauchten. Nachdem Jobs gestorben ist, trauerten Menschen weltweit um ihn.
Dementsprechend hatten viele Zuschauer erwartet, dass Daisey Jobs huldigt. Stattdessen sprach er über Foxconn.
Foxconn war seit 2007 immer wieder ein Thema in den Medien. Im Mai 2010 beispielsweise protestierten Arbeitsrechtler: Sie trugen Papierfiguren, die die kürzlich verstorbenen Mitarbeiter des Elektroriesen darstellen sollten. Seit Jahresbeginn...
...hatten zehn Foxconn-Angestellte Selbstmord begangen. Manche Demonstranten...
...verbrannten Abbilder von Apples iPhone, für das Foxconn Teile herstellt.
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