
Modetrend Upcycling: Schrott-à-Porter
Modetrend Upcycling Ist ja Müll, was du da trägst
Neue Farben, neue Stoffe, neue Schnitte - alle sechs Monate werden auf den Fashion Weeks neue Trends ausgerufen, die wenig später ihren Weg in den Einzelhandel finden. Dort räumen fleißige Mitarbeiter die Regale frei, und kurz zuvor noch als topmodern angepriesene Ware verwandelt sich damit in: Müll.
Textilverbände und Unternehmen halten sich bedeckt mit Auskünften über Abfallmengen. Sicher ist, dass bei der Produktion neuer Kollektionen Unmengen an Stoffresten und Verschnitten übrigbleiben. Auch modebewusste Bürger verhalten sich nicht gerade sparsam: Laut Statistischem Bundesamt sorgten deutsche Haushalte allein im Jahr 2010 für 100.000 Tonnen Textil- und Bekleidungabfall.
Um der Wegwerfwelle entgegenzuwirken, etabliert sich in der Modewelt seit einiger Zeit eine Designnische mit dem simplen Credo: Neues entwerfen mit möglichst wenig Abfall. Manche designen ihre Stücke daher gleich aus Modemüll und veredeln diesen dabei. Beim sogenannten Upcycling entsteht so aus Abfall neue, höherwertige Kleidung.
Wer sich das Konzept ausgedacht hat? Unklar. Einen wichtigen Denkanstoß lieferte das Buch "Einfach intelligent produzieren" von Michael Braungart und William McDonough. Darin machen sich der Chemiker und der Architekt Gedanken über alternative Produktkreisläufe: Kaufen, benutzen, wegschmeißen - kann Design diesen Zyklus brechen? Ja! Sagen zumindest drei Upcycling-Designer aus Berlin, der Heimat der deutschen Fashion Week.
Der Reflex, das Zeug zu retten
Daniel Kroh sitzt vor seinem Laden und fischt eine Lucky Strike aus dem Softpack. Drinnen im Atelier hantiert ein Assistent mit Kreide und Schnittmustern. "Wir haben verlernt, Dinge wertzuschätzen", sagt Kroh. "Stattdessen schmeißen wir weg." Kroh schneidert aus ausrangierten Arbeitsuniformen moderne Herrenanzüge .
"Bei den Firmen für Arbeitskleidung entsteht ein Berg an Müll. Die Entsorgung ist nicht kostspielig, die Textilien haben einen guten Brennwert, also kommen sie weg. Mein Reflex ist, das Zeug zu retten. Mir ist es genauso wichtig, Wertstoffe vor der Vernichtung zu bewahren, wie schöne Teile zu entwerfen", sagt der Mittdreißiger. Und wie er so dasitzt, mit schulterlangen Wuschelhaaren, in Turnschuhen, Jeans und verwaschenem T-Shirt, könnte man ihn für seinen eigenen Assistenten halten. Mode verleitet zum oberflächlichen Blick.
"Ich mache das jetzt seit sieben Jahren, und seit zwei Jahren entwickelt sich ein ziemlicher Hype", sagt der Wahlberliner. "Aber wir erfinden das Rad nicht neu. Man muss ja nur in die Nachkriegszeit schauen, als man Kostüme aus Vorhängen gemacht hat. Irgendwann in den Neunzigern kam dann der Begriff Upcycling auf."
Galt es früher nicht als sonderlich schick, umgenähte Textilien aufzutragen, kann man als Designer heute gutes Geld dafür verlangen. Kroh zieht ein Jackett aus seiner Kollektion über, genäht aus einer hellen Schweißeruniform, die Ärmel zieren dunkle Fleckchen vom Funkenflug, als hätte ihm jemand auf den Unterarm geascht. In so einem Stück stecken zehn Arbeitsstunden, der Preis liegt bei 400 Euro, dafür bekommt man dann ein Unikat, waschbar bei 60 Grad.
In die Öko-Ecke gepackt
Da sich Upcycling mit Nachhaltigkeit und knappen Ressourcen beschäftigt, haftet ihm etwas Biolatschiges an, kaum Fashion-Week-Glamour. "Ich werde immer wieder in die Öko-Ecke gepackt. Dabei steckt da viel mehr dahinter", sagt Kroh. "Nur muss der Designaspekt noch besser herausgearbeitet werden."
Vielleicht können ja die Leute hinter dem Label Schmidttakahashi erklären, wie das gehen könnte. Bei der letzten Fashion Week durften sie ihre nachhaltige Mode im edlen Rahmen präsentieren: im "Green Showroom" des Hotel Adlon.
Am Paul-Linke-Ufer in Berlin, zwischen Kreuzberg und Neukölln, haben Eugenie Schmidt und Mariko Takahashi ihr Hinterhausatelier. Die Designerinnen kennen sich von der Kunsthochschule. "Wir bekommen im Jahr etwa eintausend Teile gespendet", sagt Takahashi. "Ich glaube, die Leute wollen, dass ihre Lieblingsstücke weiterleben."
Die zwei stehen vor einer Regalwand, sechs Reihen bis zur Decke, darin Altkleider aller Art, gefaltet, sortiert nach Schnitt, Stoff und Farben. "Wir schauen, was uns gefällt, kombinieren, zerschneiden und fügen zu einer neuen Kollektion zusammen", erklärt Schmidt. Jeder Spender bekommt einen persönlichen Code und kann damit auf der Website des Labels verfolgen, was aus seinem Stück geworden ist. Für die beiden erzählen Kleider Geschichten. "Wie bei altem Geschirr", so Schmidt. Diese Inspiration habe anfangs im Vordergrund gestanden, erzählt Takahashi, nicht der Umweltaspekt.
In Zeiten von Energiewende und Bio-Essen hat es ein Thema wie Upcycling sicher leichter. Trotzdem: Hat das tatsächlich etwas mit Nachhaltigkeit zu tun? Oder ist es doch nur ein Modetrend für Individualisten?
"Das Design steht klar an erster Stelle. Aber die Leute wollen gute Geschichten hören", sagt Christine Mayer. Eine Mischung aus Künstlern und Kreativen drängt sich in ihren Laden in Berlin-Mitte, Mayer stellt gerade ihre Herbst-/Winter-Kollektion vor. Es werden Häppchen gereicht, in der Ecke sitzt eine Musikerin an der Harfe. Die Designerin beschäftigt sich seit anderthalb Jahren mit Upcycling. Für ihre aktuelle Linie hat sie aus mehr als hundert Jahre alten Mehlsäcken Blazer und Sakkos geschneidert, aus Seesäcken der Bundeswehr Jacken und Mäntel genäht.
Geht der Schuss nach hinten los?
Ob Gürtel aus Fahrradreifen, Handtaschen aus Rettungswesten oder Anzüge aus Tischleruniformen - Geschichten liefert Upcycling-Mode zuhauf. Nur: Ist die Idee mainstreamtauglich? Macht sie die Industrie wirklich nachhaltiger? Oder bleibt sie, wie Bio-Baumwolle, nur eine von vielen Spielarten grüner Mode?
"Upcycling löst nur einen Teil des Problems. Es geht um ein anderes Wirtschaften, um industrielle Materialkreisläufe und unser aller Konsumverhalten", sagt Susanne Schwarz-Raacke. Mit zwei Kolleginnen betreibt die Professorin an der Kunsthochschule Weißensee das Greenlab, wo Studenten nachhaltige Designstrategien entwickeln. "Heute werden Klamotten nur kurze Zeit getragen. Ein T-Shirt kostet fast nichts, man kann jeden Tag ein neues kaufen. Der Preis hat nichts mehr mit dem Warenwert zu tun."
Glaubt sie an ein Umdenken in der Modeindustrie? "Momentan läuft Upcycling noch im kleinen Maßstab. Es ist häufig einfacher und preiswerter, neue Stoffe zu verwenden, als alte wiederzuverwenden. Die Logistik dafür muss erst einmal hergestellt werden, das kostet."
Um das Thema zum großen Trend zu machen, müsste es wohl ein Branchenriese anpacken. Und siehe da, H&M scheint das Wiederverwerten für sich zu entdecken: Nachdem der Konzern in die Kritik geraten war, unverkaufte Stücke aus seiner Lanvin-Kollektion in New York weggeschmissen zu haben, kam Anfang 2011 eine "Waste Collection" aus Reststücken dieser Kollektion heraus. Im gleichen Jahr testete die schwedische Kette in der Schweiz ein Modell: Kunden konnten alte Stücke - egal, von welcher Marke - in den Filialen abgeben, um sie recyceln zu lassen. Als Dankeschön winkte ein Rabattgutschein pro Altkleidertüte.
"Die Recycling-Aktion ist sehr gut angenommen worden. Wir haben sie in 17 Stores in der Schweiz getestet, dann auf das ganze Land, also auf 81 Stores, ausgeweitet", sagt ein Sprecher. Das Unternehmen verkauft fast fashion in mehr als 40 Ländern. In der Branche munkelt man, die Test-Aktion könnte bald auf andere europäische Länder ausgeweitet werden.
Auch C&A experimentiert zaghaft in diese Richtung: "Eine Upcycling-Kollektion haben wir zwar noch nicht", erklärt Unternehmenssprecher Thorsten Rolfes, "aber wir beschäftigen uns mit dem Thema. Ökologie ist uns wichtig, aber sie muss einhergehen mit nachhaltiger Ökonomie. Wir können uns im Prinzip vorstellen, Upcycling in Zukunft zu nutzen." Und wie bewertet man die H&M-Aktion, alte Kleider einzusammeln gegen Gutscheine? "Alle Aktivitäten, die dafür sorgen, dass brauchbare Textilien nicht auf dem Müll landen, sind zu befürworten. C&A führt zur Zeit einen ähnlichen Test in allen Filialen in den Niederlanden durch."
Klingt vorbildlich. Sieht man von einem möglichen Denkfehler ab, auf den Susanne Schwarz-Raacke vom Greenlab hinweist. "Ein Schuss, der möglicherweise nach hinten losgeht. Ich kann alte Sachen abgeben, das gibt mir ein gutes Gefühl - kann aber gleich etwas Neues kaufen." Nur dadurch, sagt die Professorin, werde der Wäscheberg leider eben nicht kleiner.