Machtkampf um die "Cumhuriyet" Die Republik rückt nach rechts

Die "Cumhuriyet" war eine der letzten regierungskritischen Zeitungen in der Türkei. Nun haben Nationalisten die Führung übernommen. Ist der unabhängige Journalismus in der Türkei nun tot?
Demonstration für die Freilassung von Journalisten, 2017

Demonstration für die Freilassung von Journalisten, 2017

Foto: ERDEM SAHIN/ EPA/ REX/ Shutterstock

Aydin Engin ist für die "Cumhuriyet" ins Gefängnis gegangen. Er hat sich mit Regierungschefs und Ministern angelegt. 14 Jahre lang hat er für die Tageszeitung gearbeitet - als Reporter, Chefredakteur, zuletzt als Kolumnist. Jetzt hat er seinen Job hingeschmissen - wie viele seiner Kolleginnen und Kollegen. "Ich kann nicht mehr guten Gewissens für die 'Cumhuriyet' arbeiten", sagt Engin.

Die "Cumhuriyet" ist eine der letzten verbliebenen regierungskritischen Zeitungen in der Türkei. Sie befindet sich im Besitz einer Stiftung, deren elfköpfiger Vorstand am vergangenen Freitag nach einem jahrelangen internen Machtkampf ausgetauscht wurde.

Aydin Engin bei seiner Festnahme 2016

Aydin Engin bei seiner Festnahme 2016

Foto: STRINGER/ AFP

Rechten Kräften in der Stiftung passte der linksliberale Kurs des Blattes nicht, den der frühere Chefredakteur Can Dündar einst angeschoben hatte. Sie erzwangen vor Gericht die Neuwahl des Vorstands, die sie überraschend gewannen.

Die "Cumhuriyet" wird nun von Nationalisten geführt, die der Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan näher stehen sollen als ihre Vorgänger. "Es geht darum, kritische Stimmen in diesem Land mundtot zu machen", sagt Journalist Engin.

Die Pressefreiheit in der Türkei ist in den vergangenen Jahren erodiert: Erdogan hat nach dem Putschversuch vom 15. Juli 2016 rund 150 Medienhäuser schließen lassen, mehr als 150 Journalisten sitzen im Gefängnis. Neun von zehn Zeitungen und Fernsehanstalten befinden sich mehr oder weniger unter Kontrolle der Regierung. Im Frühjahr wurden der Sender CNN Türk und die Tageszeitung "Hürriyet", die zumindest noch bisweilen objektiv berichteten, an einen Freund Erdogans verkauft.

Der Führungswechsel bei der "Cumhuriyet" wird von vielen Oppositionellen als weiterer Tiefschlag betrachtet. "Ist das der Todesstoß für das, was von der freien Presse in der Türkei noch übrig war?", fragt Kati Piri, die Türkei-Berichterstatterin des Europaparlaments.

Erdogans Feldzug gegen "Cumhuriyet"

Die "Cumhuriyet" (deutsch: Republik) ist nicht irgendeine Zeitung: Sie zählt zu den ältesten Zeitungen der Türkei und ist fast so alt wie die Republik selbst. Im Frühjahr 2015 gelang der "Cumhuriyet" ein Scoop: Ihr damaliger Chefredakteur Can Dündar berichtete über Waffenlieferungen des türkischen Geheimdienstes an islamistische Extremisten in Syrien. Dafür bezahlte Dündar einen hohen Preis. Er wurde für drei Monate ins Gefängnis gesperrt und reiste nach seiner Freilassung im Sommer 2016 nach Berlin aus.

Can Dündar

Can Dündar

Foto: Ralf Hirschberger/ dpa

Erdogan setzte seinen Feldzug gegen die "Cumhuriyet" trotzdem fort: Im Oktober, November und Dezember 2016 wurden Dündars Nachfolger, Murat Sabuncu, Kolumnist Aydin Engin und neun weitere Mitarbeiter der Zeitung wegen vermeintlicher Terrorunterstützung verhaftet. Sie saßen zum Teil mehr als eineinhalb Jahre lang in Untersuchungshaft, ehe ein Gericht im Frühjahr die meisten von ihnen zu mehrjährigen Haftstrafen verurteilte. Ihre Anwälte haben Berufung eingelegt, solange befinden sich die Journalisten auf freiem Fuß.

Neuer Stiftungsvorstand ist strammer Nationalist

Alev Coskun, der am Freitag zum Stiftungsvorstand der "Cumhuriyet" gewählt wurde, hat in dem Prozess gegen Sabuncu und dessen Kollegen ausgesagt, weshalb Mitarbeiter der Zeitung seinen Aufstieg als besonderen Hohn empfinden. "Ich habe jeden einzelnen Prozesstag verfolgt und miterlebt, wie Kollegen sich gegen Journalisten verschworen haben, die nichts anderes als ihren Job gemacht haben", sagt die Istanbuler Autorin Sebnem Arsu. Die Entwicklung bei der "Cumhuriyet" sei ein "Schlag für alle, die an wahren Journalismus glauben".

Wie genau sich der Wechsel an der Spitze der Stiftung in der Berichterstattung der Zeitung auswirkt, ist noch unklar. Coskun, 83 Jahre alt, ist ein strammer Nationalist, der Islamismus ablehnt, aber Sympathien für jene Ultranationalisten um Innenminister Sülyeman Soylu hegen soll, die in der Regierung Erdogan in den vergangenen Monaten dramatisch an Einfluss gewonnen haben.

Aykut Kücükkaya, der Sabuncu als Chefredakteur ablöst, gilt als unbestechlicher und fähiger Journalist. Er wird jedoch mit einer stark dezimierten Mannschaft arbeiten müssen: Etwa zwei Dutzend "Cumhuriyet"-Mitarbeiter haben bereits ihren Rückzug erklärt, darunter Online-Chef Bülent Mumay. Die "Cumhuriyet", die Prozesse und einen Bombenanschlag überstanden hat, befindet sich in der schwersten Krise ihrer Geschichte.

Mitarbeit: Eren Caylan
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