
TV-Doku über Horst Janssen "Ich bin die Gnade Gottes"
Er sei ein Genie, befand "Die Zeit" 1965, als der Hamburger Künstler Horst Janssen in der Hannoverschen Kestner-Gesellschaft seine erste große Einzelausstellung zeigte. Und Janssen war in der Tat ein Ausnahmekünstler, ein großartiger Zeichner, Grafiker, Radierer, Holzschneider, Lithograf, Buchillustrator und Schreiber.
Er war schon zu Lebzeiten eine Legende, nicht zuletzt, weil er die bürgerliche Vorstellung vom Künstler als Bohemien perfekt verkörperte - als Egomane und Provokateur, als Lebemann, Trinker und Exzentriker, der Sätze sagte wie: "Meine Hölle bin ich selber" oder "Ich bin die Gnade Gottes". Das jedenfalls hört man ihn gleich am Anfang eines neuen, 50-minütigen Films sagen, der aus Anlass seines 85. Geburtstages gedreht wurde und am Sonntag gekürzt auf Arte und am 15.11. vollständig im NDR gezeigt wird.
"Ohne mich und meinesgleichen wäre der liebe Gott gar nichts, was immer er sich auch ausgedacht hätte, es gäbe keine Nachricht davon, was er gemacht hat", hört man Janssen zu seinem Freund, dem Schriftsteller Peter Rühmkorf, sagen und der, sichtbar im Bild, erzählt, wie er ihm ironisch entgegnet habe: "Janssen, Mensch, Du bist ja wie die Gnade Gottes", und wie der antwortete: "Nein, ich bin die Gnade Gottes." Die Stimme des 1995 gestorbenen Janssen ist mit einem seiner rund tausend Selbstporträts unterlegt, die er ungeschönt und in allen Techniken Zeit seines Lebens von sich gemacht hat.
Überglücklich im Kunststudium
Der Film des Regisseurs Bernd Boehm und des Produzenten Hinrich Lührs, einem Freund der Familie Janssen, porträtiert den Künstler in einer wunderbaren Mischung aus alten Film- und Sprachaufnahmen Janssens und Interviews seiner Freunde, Wegbegleiter, Sammler und Lebensgefährten. Die Dokumentation zeigt auch Janssen großes Können, sein Werk. Sie schildert die Kindheit des 1929 in Hamburg geborenen Jungen, der vaterlos bei den Großeltern in Oldenburg aufwächst und 1942 nach dem Tod von Mutter und Großvater in eine nationalpolitische Erziehungsanstalt kommt, wo er nicht nur Drill und Disziplin, sondern auch Zeichnen lernt.
Nach dem Krieg zieht Janssen zu einer Tante ins zerbombte Hamburg und beginnt 1946 als 16-Jähriger das Studium an der Landeskunstschule, das ihn, inklusive exzessiver Partys, überglücklich macht. Seine damalige Kommilitonin Isabella von Bethmann-Hollweg erinnert sich an den Ausnahmestudenten Janssen, dessen Professor Alfred Mahlau ihm jegliche Freiheit gewährt habe und akzeptierte, dass Janssen "nicht werden", sondern "gleich sein" wollte.
Für Baron Rothschild nicht zu sprechen
Als Janssens Holzschnitte nach dem Studium nicht gleich ausgestellt werden, zeigt er sie ab 1957 in seiner Hamburger Wohnung. Er verkauft gut, und "es kamen alle, und es war ein Riesenremmidemmi", erzählt seine dritte Ehefrau Verena rückblickend, mit der er von 1960 bis 1968 verheiratet war. Hier begann die Freundschaft mit Paul Wunderlich, von dem Janssen Radieren lernt, und die lebenslange Beziehung zum Hamburger Galeristen Hans Brockstedt, dessen Sohn Janssen bis heute ausstellt.
Es gibt wilde Nächte im Ballhaus Jahnke, die Janssen in Radierungen festhält, die ersten Erfolge, große Einzelausstellungen und Kunstpreise. Janssen wird zum "Jahrhundertgenie", vertritt Deutschland auf der 34. Biennale in Venedig, gewinnt dort den Großen Preis, und er bekommt Ausstellungen in Städten wie New York, Tokio, Taipeh, Moskau, Rom, Oslo und Paris.
Immer zeigt der Film die Bilder Janssens, über die er oft selbst spricht, und lässt Freunde und Zeitzeugen zu Wort kommen. Wunderbar erzählt Maya Picasso, wie sie in Paris quasi im Vorbeigehen auf Janssens Bilder im Schaufenster der Galerie Berggruen stößt, völlig fasziniert ist und Janssen schreibt. Erzählt wird auch, wie sich Janssen oft selbst im Wege stand, er ist unberechenbar, oft betrunken, euphorisch, aufbrausend, sogar brutal und brüskiert Menschen wie zum Beispiel den Baron Rothschild, dessen Auftrag zu einem Weinetikett er annimmt - um dann unter eingeladenen Zeugen bei einem verabredeten Telefongespräch mit Rothschild den Telefonhörer einfach nicht abzunehmen.
"Hochkommen oder umkommen" war seine Devise, und so zeigt der Film ein Auf und Ab in Janssens Leben mit Hochstimmungen und Katastrophen, zu denen der Antrieb oft "aus der Hölle" kam. Und aus vielen Affären mit Frauen, die Janssen anzog, die er in Bildern festhielt, die er aber auch terrorisierte.
"Stinknormal und kein wahnsinnig grotesker Liebhaber"
Davon erzählen sie selbst: die Ehefrau Verena, mit der er bis zu seinem Tod befreundet ist, und mehrere seiner Geliebten wie z.B. Gesche Tiedjens, die die vier Jahre mit ihm wie vierzig Jahre empfand. Er sei "stinknormal und kein wahnwitzig grotesker Liebhaber" gewesen, sagt sie, und seine oft pornografischen Frauenbilder seien "kraft seiner Fantasie und seiner ungeheuren knäbischen Einbildungskraft" entstanden. Auch Janssens Tochter Lamme spricht über ihren Vater, den sie erst als erwachsene Frau kennenlernt und bei dem sie bis zu dessen Tod bleibt.
Janssen stirbt am 31.8.1995, Blankeneser Taxis bilden sein letztes Geleit, wie er es sich gewünscht hatte. Und alle Trauernden erinnern sich an einen gelben Schmetterling, der in der Kirche um Sarg, Trauernde und Redner herumflog, wie auch der Film zeigt, und über den alle sagten "das ist er, der will wissen, was hier los ist", erzählt der kühle Hanseat und ehemalige Bürgermeister Hans-Ulrich Klose. Besser kann man das Verhältnis der Hamburger Gesellschaft zu seinem anstrengenden Liebling Janssen eigentlich nicht beschreiben.
Horst Janssen - "Ich bin die Gnade Gottes". Ein Film von Bernd Boehm und Hinrich Lührs. Am 9.11. um 13.45 Uhr auf Arte, am 15.11. um 12.45 Uhr im NDR Fernsehen. Nach der Ausstrahlung ist der Film jeweils eine zeitlang in der Mediathek abrufbar.