TV-Ereignis "Schmidt & Pocher" Vatermord in der neuen Leit-Show
Heute Abend um 22.45 Uhr geht eine Ära zu Ende - und eine neue könnte beginnen. Es kommt in der ARD zum großen Show-Spektakel: Harald Schmidt wird erstmals mit Oliver Pocher seine neue Sendung "Schmidt & Pocher" präsentieren.
Über das Konzept ist bisher wenig bekannt. Als Gäste sollen kommen: RTL-Quizmaster Günther Jauch sowie der einem breiteren Fernsehpublikum eher unbekannte Kabarettist und Arzt Eckart von Hirschhausen, der in Zukunft eine eigene Rubrik in der Sendung bekommen soll.
Was wird geschehen? Wird Pocher den humoristischen Feingeist Schmidt mit seiner ProSieben-Brachial-Komik niederwalzen? Wird Feuilleton-Darling Schmidt den Privatfernseh-Proll Pocher mit kulturhistorischen Referenzen vollends desavouieren?
Um Ihnen die Wartezeit zu verkürzen und die Spekulationen richtig anzuheizen, präsentiert SPIEGEL ONLINE drei Varianten, was heute Abend passieren könnte:
Die Variante "König Ödipus"
frei nach Sophokles
Beginn der Show: Der antike Chor von thebanischen Alten (besetzt von den wichtigsten deutschen Feuilletonchefs) klagt über die Seuche, die das Volk Thebens (lies: Das Fernsehvolk) heimsucht.
König Ödipus (Oliver Pocher) betritt die Bühne.
Er trägt einen roten Nike-Trainingsanzug, ein Goldkettchen mit Dollar-Anhänger und, gewissermaßen als Krone, eine Baseballcap mit MTV-Logo - ein postmoderner König des Privatfernsehproletariats.
Der Chor von thebanischen Alten (die Feuilletonchefs) heult entsetzt auf.
König Ödipus zur Seite, im Kostüm eines Funkenmariechens aus dem Kölner Karneval, spielt Helmut Zerlett die Iokaste; Ödipus' Gattin und zugleich dessen Mutter.
In weiteren Rollen treten auf: Manuel Andrack als blinder Seher Teiresias, der indirekt andeutet, Ödipus könne der Mörder seines eigenen Vaters sein, Günther Jauch als Diener und ARD-Programmdirektor Günter Struve als Priester, der Ödipus anfleht, das Volk von seinen Leiden zu erlösen.
Das Ensemble spielt in den folgenden 53 Minuten den "König Ödipus" ziemlich textgetreu nach - bis auf eine Abweichung. Harald Schmidt gibt - murmelnd aus dem Off - den toten Laïos, Vater des Ödipus. Für mit dem Ödipus-Mythos nicht ganz so vertraute Leser: Ödipus hatte - ohne davon zu wissen - seinen ihm unbekannten Vater Laïos getötet.
Laïos (Schmidt) grollt aus dem Off: "Vatermörder! Vatermörder!"
Fünf Minuten vor Ende der Sendung die dramatische Schlussszene - ein radikaler Bruch mit Sophokles' Originaltext.
Der Diener (Günther Jauch) betritt die Bühne, um - zunächst ganz getreu Sophokles' Text - zu verkünden, dass Iokaste (Funkemariechen Zerlett) sich erhängt hat.
Plötzlich stürmt Laïos (Schmidt) die Bühne, eine wuchtige Werkausgabe von Samuel Beckett schwingend. Ödipus (Pocher), der sich - von Schuldgefühlen geplagt - zuvor selbst geblendet hat, sieht die Gefahr nicht kommen.
Laïos (Schmidt) drischt mit Becketts Werken auf Ödipus (Pocher) so lange ein, bis der winselnd zu Boden geht.
Der Chor von thebanischen Alten (die Feuilletonchefs) jubiliert.
Laïos vertreibt Ödipus aus Theben (lies: Köln, WDR) und verbannt ihn nach Sparta (lies: Unterföhring bei München, ProSieben).
Iokaste (Funkenmariechen Zerlett) baumelt vor einer Papp-Skyline von Wanne-Eickel (Bühnenbild: Peter Zadek) von der Decke herab.
Der Priester (ARD-Programmdirektor Struve) erwürgt sich mit einem Kamerakabel.
Das Studiopublikum springt von den Stühlen: Standing Ovations.
Abspann.
Die Variante "Systemkritik"
Die ersten fünfzehn Minuten plätschern so dahin. Oliver Pocher zotet sich durch das Studio, grabscht hier johlend einer Kabelträgerin in den Hintern, beleidigt dort eine Zuschauerin im Publikum.
Harald Schmidt gefällt sich in der Rolle des Wiedergängers von Manuel Andrack: Bier, Laptop, FC-Köln-Fansprüche.
Einziges Highlight: Stargast Günther Jauch. Der feuert ununterbrochen 50-Euro-Fragen auf Oliver Pocher ab, die der alle nicht beantworten kann.
Trauriges Ergebnis: Das Studiopublikum zeigt sich sichtlich angeödet, manche Gäste gähnen.
Dann, nach rund 15 Minuten, wird der Bildschirm plötzlich schwarz.
Auf einmal wieder Licht: Oliver Pocher steht im Glimmschein einer Kerze. Harald Schmidt tritt zu Pocher in den Lichtkegel.
Schmidt schiebt sein Gesicht in die Kamera und beginnt, eine Erklärung zu verlesen: "Was Sie in den ersten fünfzehn Minuten dieser Show gesehen haben, ist heute Nachmittag aufgezeichnet worden. Was Sie jetzt sehen, haben Oliver Pocher und ich danach heimlich produziert - sozusagen privat."
Im schummrigen Licht der Kerze fummelt Pocher kichernd an einem elektronischen Kleingerät herum, es könnte ein MP3-Player sein.
Schmidt: "Wir bringen Ihnen nun exklusiv einen von Herrn Pocher geheim angefertigten Tonmitschnitt seiner Vertragsverhandlungen mit ARD-Programmdirektor Günter Struve."
Pocher grinst, drückt auf dem Player herum - schließlich fährt er die Aufnahme mit dem geheimen Tonmitschnitt ab.
"Ach, Herr Pocher, ich bitte Sie! Der Schmidt ist doch durch! Dieses verblasene Feuilleton-Gewitzel! Wir müssen an die jungen Zuschauer ran, die ganz jungen!"
"Höhö, Herr Struve. Aber Sie wissen: Ich bin teuer! Höhö!"
"Ach was, mit den Gebührenzahlern werde ich schon fertig! Hören Sie, ich biete Ihnen..."
Störbild der ARD: "Aus technischen Gründen mussten wir unser Programm leider unterbrechen. Wir bitten Sie, dies zu entschuldigen."
Als Notprogramm folgt Reinhold Beckmann mit einer Talk-Runde zum Thema: "Gibt es ein Leben nach dem Tod?" Als Gäste diskutieren: Florian Silbereisen, Andrea Kiewel und Hera Lind.
Am folgenden Abend sitzen Pocher und Schmidt als Gäste bei Stefan Raab auf ProSieben und spielen - trotz einstweiliger Verfügung seitens der ARD - den Rest des geheimen Mitschnitts vor.
Die Variante "Herman-Schlacht"
frei nach Johannes B. Kerner
Das Studio ist in klassischer Talkshow-Anmutung gehalten, Harald Schmidt sitzt als Moderator hinter einem eigenen Pult. Er hat sich Mister-Spock-Vulkanier-Ohren angeklebt und die Haare blondiert.
Die drei anderen Gäste sitzen in einer Stuhlreihe neben dem Moderationspult: Oliver Pocher trägt eine blonde Langhaarperücke auf dem Kopf, die ihm ständig verrutscht. Neben ihm sitzen Günther Jauch und Eckart von Hirschhausen.
Schmidt spricht Pocher als erstes an: "Was hast du seitdem gelernt?"
Pocher ignoriert die Frage. Statt zu antworten, hält er sein neues Buch in die Kamera: "Das Prinzip Arche Boah, ey!". Pocher faselt davon, dass die Gesellschaft immer mehr an ihrem "hemmungslosen Individualismus" zu zerfasern drohe. Der einzige Ausweg: eine Besinnung auf gute deutsche Humortraditionen, namentlich heimelige "Klein-Fritzchen- und Klein-Emma-Witze".
Schmidt hört zunächst geduldig zu, ergreift dann aber das Wort und geht mit keiner Silbe auf das ein, was Pocher zuvor gesagt hat.
Schmidt fragt scharf: Wie Pocher das denn gemeint habe, mit dem "Witz über den kleinen Fritz" und seiner Aussage bei der Verlagspräsentation seines neuen Buches, dass manche Klein-Fritzchen-Witze im Dritten Reich ja gar nicht so schlecht gewesen seien?
Pocher wackelt auf seinem Stuhl hin und her, seine Perücke verrutscht, schließlich sagt er: "Ich haben keinen Fehler gemacht."
Schmidt, Jauch und von Hirschhausen schütteln ungläubig die Köpfe.
Schmidt wendet sich an den ZDF-Zeithistoriker Guido Knopp, der als Experte im Publikum sitzt. Nachdem der zunächst seine neue Serie "Hitlers Komiker" angepriesen hat, referiert er über Humor in der Historie und wirft Pocher vor, er verwechsle "historisch kontaminierte Brachial-Kalauer mit anarchisch-intelligentem Witz".
Pocher zeigt sich uneinsichtig: "Ich möchte nicht mehr Stellung nehmen", und führt dann weiter aus, "es sind auch Autobahnen gebaut worden, und wir fahren heute drauf."
Schmidt ereifert sich: "Autobahn geht nicht!"
Günther Jauch stampft mit dem Fuß auf und ruft: "Ich gehe jetzt!"
Auch Eckart von Hirschhausen droht, die Sendung zu verlassen. Er murmelt etwas, das nach "unerträglich, unerträglich" klingt.
Schmidt, das linke seiner angeklebten Mister-Spock-Ohren löst sich langsam vom Kopf, macht dem Drama ein Ende.
Höflich aber bestimmt sagt er: "Ich entscheide mich für die anderen zwei Gäste und verabschiede mich von Oliver Pocher."
Pocher hebt seine Perücke vom Boden auf, legt sie sachte auf seinen Stuhl und verlässt das Studio.
Das Publikum applaudiert.
Anschließend folgt über die Studiolautsprecher eine Verkehrsdurchsage: Stau auf allen bundesdeutschen Autobahnen.
Schmidt und seine verbliebenen Gäste diskutieren die Lage und beschließen einstimmig, mit öffentlichen Verkehrsmitteln heimzufahren.
Abspann.