TV-Film "Mitte 30" Im Strom der Optionen
Es hat sie wohl immer schon gegeben. Diese durchsichtigen Geschöpfe, die ihre bequeme Weltverneinung mit anrührender, wenn auch genau kalkulierter Fahrigkeit tarnen. Die irrlichternden Solitäre, die wie Statisten durchs eigene Leben schlendern, als warteten sie selbst auf nichts sehnlicher als auf die Evokation einer großen Leidenschaft.
Menschen, Männer, um genau zu sein, die sich in einem Strom der Optionen sicherer fühlen als in den Anforderungen und Festlegungen des wirklichen Lebens. Möglichkeitswesen wie einst Musils eigenschaftsloser Ulrich, die die Fähigkeit kultiviert haben, "alles, was ebenso gut sein könnte zu denken, und was ist, nicht wichtiger zu nehmen als das, was nicht ist".
Wie gut sich Regisseur Stefan Krohmer und sein Drehbuchautor Daniel Nocke auf diese Genießer des Ungefähren, die in einem feinen Gespinst von Einbildungen, Träumerei und einem hartnäckigen Konjunktiv leben, verstehen, wie gut sie sich auskennen mit ihren Eitelkeiten, egomanischen Beziehungskonstrukten und fulminanten Irrtümern, haben sie mindestens schon einmal bewiesen. Damals in "Sie haben Knut" mit Hans Jochen Wagner als hüstelndem, Schalkragen tragendem Solipsisten zwischen Bongo trommelnden Polit-Aktivisten.
In diesem Sinne lässt sich auch Krohmers neuer Held Gerrit Frings, den Mark Waschke mit einer wunderbaren Ernsthaftigkeit unterfüttert, als ferner Erbe dieses Egozentrikers ausmachen. Auch wenn die Äußerungen seiner Selbstreflexion auf einen Bierdeckel passen und das Blendwerk seiner Existenz - und vor allem das seines Kollegen Markus (Robert Dölle) - gleich am Anfang zusammenzukrachen scheint.
Da hocken die beiden Architekten bei einem prächtig arroganten Unternehmer (Rock'n'Roll-Veteran Peter Kraus) auf dessen Terrasse und müssen sich sagen lassen, dass ihr Entwurf für den geplanten Ausbau einer exklusiven Hotelanlage nicht überzeugt hat. Dass der Kunde sich über all die Jahre der Zusammenarbeit überhaupt "mehr Entwicklung" erhofft habe und der Auftrag bereits anderweitig vergeben sei.
Subtiler Crash
Während Markus sich gerne noch für unverbindliche Visionen von zukünftigen Projekten begeistern lässt, selbst alsbald ausgiebig von den Möglichkeiten in fernöstlichen Baulandschaften schwärmt und vor keinen halsbrecherischen Investitionen zurückschreckt, blickt Gerrit dem eigenen Scheitern vergleichsweise klar ins Auge: "Wir können es uns nicht mehr leisten, über neue Ideen zu reden." Ein Satz, der mit der Plötzlichkeit eines unter den Füßen knackenden Astes in die Routine des Kundengespräches platzt und die ganze Misere ausbreitet.
Und während Gerrit seine aus Sicherheitsgründen bescheiden gebliebene Lebenshaltung neu organisiert, gar sein altes Lehramtsstudium wieder aufnimmt, kollabiert Markus' verlogene Existenz an den eigenen Legenden. Er kommt ums Leben. Bei einem Badeurlaub in Thailand. Wahrscheinlich. Genauer erfährt man es nicht. Das Pathos eines Selbstmords oder auch eines tatsächlich tragischen Unfalls ist nicht Krohmers Sache. Ihn interessieren die subtileren Crashs. Gerrits in den Boden gerammter Blick etwa, wenn ihn die Frau beim Arbeitsamt spitz fragt, ob er sich zutraue, Schüler auf ein Leben vorzubereiten, in dem er doch selbst gerade baden gegangen sei.
Oder das kleine Beben in Gerrits Mundwinkeln, wenn ein Student neben ihm in der Kantine nach einem kurzen Seitenblick vom "Du" zum "Sie" wechselt. Das dumpfwütende Weiterwerkeln von Gerrits schwangerer, resoluter Freundin Claudia (gespielt von der verlässlich präzisen Anneke Kim Sarnau), die sich mit mühsam kontrollierter Wut der Anbringung eines Hängeschränkchens widmet, als Gerrit ihr mitteilt, dass er jetzt Markus' Witwe Sandra liebe.
Im Gehege der Mitte-Dreißigjährigen
Die, gespielt von Silke Bodenbender, wirft allzu hoffnungsvolle Seitenblicke auf Gerrit. Die Mutter zweier Kinder möchte ausgerechnet in ihm ihren neuen Ernährer sehen. Auch die Überlegenheit des routinierten Power-Point-Users, mit der Gerrit die Sticheleien des fast gleichaltrigen Professors beim Referat pariert, eröffnet klug einen weiteren kleinen Kriegsschauplatz. Wenn auch nur den eines unbedeutenden Triumphes in einer Kette von unglücklichen Auftritten, in denen Gerrit versucht, im eigenen Leben zurückzurudern. Auf den Anfang der erwachsenen Selbstentfaltung, auf die Zeit vor der ersten Steuerklärung und den ersten Fortpflanzungsabsichten.
All das sind gut gesetzte, dem Leben abgeschaute und doch vieldeutig schillernde Kleinigkeiten, mit denen Krohmer seine Protagonisten ins Gehege der Mitte-Dreißigjährigen setzt. Hier arbeiten sie sich unter seinem strengem, zoologischem Blick (Kamera: Patrick Orth) an den Trampelpfaden ihrer Sehnsüchte und Illusionismen ab.
Nach seinem Segelausflug ins französische Sommerkino "Sommer 04", der angestrengt Kurs auf all seine Konflikte und Tabubrüche nahm, protzt dieser Fernsehfilm schon fast mit seiner kühlen erzählerischen Sicherheit. "Mitte 30" ist ein Dialogstück, das mit einer für deutsche Verhältnisse auffallenden schönen Leichtigkeit daherkommt und trittsicher zwischen leiser Satire und nüchternem, gelegentlich auch beängstigendem Realitätssinn hin und her pendelt.
"Mitte 30": Heute Abend, 20.15 Uhr, ARD