TV-Serie "Boston Legal" Juristerei und Wahnsinn

Eine neue Justiz-Serie aus den USA braucht kein Mensch? Diese schon: "Boston Legal" ist die neueste Schöpfung des "Ally McBeal"-Erfinders David E. Kelley. Das höchst schillernde Kanzlei-Drama verfügt mit William Shatner und James Spader über schlagfertige Hauptdarsteller.

"Also dann, Freunde, laden und sichern!". Mit dieser Formel eröffnet Senior-Anwalt Denny Crane, der Kollegen gern mit "Soldat" anredet, gewohnheitsmäßig Konferenzen. Der stiernackige Haudegen ist Mitbegründer der Bostoner Edelkanzlei Crane, Poole & Schmidt, wird langsam vergesslich und senil und zehrt vor allem vom Ruhm vergangener Tage. Von seinem Büro über den Dächern der Stadt aber mag er nicht lassen. Prozesse führt er vor allem noch fürs eigene Ego – und gegen die Falten lässt er sich auch schon mal fünf Minuten vor einem Meeting Botox in die Stirn spritzen. "Nur Wartungsarbeiten", bescheidet er dann den entsetzt hereinstürmenden Kollegen, "'ne kleine Überholung würde dir auch nicht schaden".

Das "Boston Legal"-Team: Denny Crane (William Shatner), Alan Shore (James Spader) , Sally Heep (Lake Bell) und Tara Wilson (Rhona Mitra)

Das "Boston Legal"-Team: Denny Crane (William Shatner), Alan Shore (James Spader) , Sally Heep (Lake Bell) und Tara Wilson (Rhona Mitra)

Foto: VOX/FOX

Er ist eine im besten Sinne schillernde Figur, dieser Denny Crane, und das muss auch so sein, denn er steht im Mittelpunkt von "Boston Legal", einem Spin-off der erfolgreichen US-Justizserie "The Practice" (1997–2004). Wie diese stammt auch der Ableger aus der Werkstatt von "Ally McBeal"-Erfinder David E. Kelley; die 2004 gedrehten ersten 17 Folgen sind ab heute in deutscher Erstausstrahlung immer mittwochs um 22.05 Uhr bei Vox zu sehen. Gespielt wird der passionierte Schürzenjäger, der sich gern dabei zuhört, wenn er den eigenen Namen ausspricht, von William Shatner. Der legendäre Captain-Kirk-Darsteller aus "Raumschiff Enterprise" ist großartig als bulliger Boss, über dessen Haupt schon die Geier kreisen. Zu Recht bekam er 2005 einen Emmy und einen Golden Globe für seine Rolle in "Boston Legal".

Shatner ist aber keineswegs auf sich allein gestellt. Mit dem A-Klasse-Schauspieler James Spader ("Sex, Lügen und Video") als abgebrühtem Anwaltskollegen Alan Shore verfügt sein Denny Crane über einen kongenialen Sidekick. Ein wenig Vater-Sohn-Idylle liegt über dem Verhältnis der beiden harten Hunde, die sich abends beim Whisky bittere Wahrheiten um die Ohren hauen. In Sachen Skrupellosigkeit und Zynismus steht Shore seinem Meister jedenfalls nicht nach.

Shores Opponent wiederum ist der smarte Brad Chase (Mark Valley), der als Aufpasser für Denny aus Washington nach Boston versetzt wurde. Der kernige Beau, der so schnell spricht, dass Shore ihn gerne fragt, ob er Zungenklimmzüge mache, hat eine fatale Ähnlichkeit mit Ken, der Barbie-Puppe – was ihm natürlich umgehend mitgeteilt wird. Und damit das Ganze keine Männerwirtschaft wird, bevölkern noch drei Jung-Advokatinnen die Kanzlei: Tara Wilson (Rhona Mitra), Sally Heep (Lake Bell) und Lori Colson (Monica Potter) sind nicht nur allesamt höchst attraktiv, sondern auch schlagfertig – und in Sexdingen von ähnlicher Kompromisslosigkeit und Direktheit wie ihre verzweifelten Hausfrauen-Schwestern aus der Wysteria Lane.

Wichtiger noch als das Ensemble dürfte sein, dass "Boston Legal" über eine dem geschilderten Milieu angemessene Professionalität und Abgezocktheit in der Anwendung aller Kunstgriffe der Serienunterhaltung verfügt. Als studierter Jurist weiß Serienschöpfer Kelley zudem, dass nichts langweiliger wäre als eine Anwaltsserie, in der es wirklich um Paragrafen, komplexes Aktenstudium und juristische Glaubwürdigkeit ginge. Gerade mal einen etwas ernsteren Fall vom Kaliber Sorgerechtstreit mutet er dem Publikum pro Folge zu – ansonsten geht es um Neurosenpflege, pointenreiche Dialoge und erotisches Geplänkel.

Letzteres bietet "Boston Legal" schon allein deshalb überreichlich, weil an gescheiterten und gegenwärtigen Beziehungen innerhalb des Mitarbeiterstamms kein Mangel herrscht. Noch dazu bieten die verhandelten Fälle genügend Raum, um das Themenfeld in allen emotionalen Farben durchzudeklinieren. So rasant sind die einzelnen Szenen geschnitten, dass man im schlimmsten Fall nicht alle Gags und Anspielungen mitbekommt – sich aber unter keinen Umständen langweilt.

Wie bei allen guten US-Serien tragen auch ein gesundes Maß an Selbstironie und das Fehlen von Political Correctness dazu bei, dass sich der Zuschauer – auch im alten Europa – an den Merkwürdigkeiten und Auswüchsen der amerikanischen Gesellschaft erfreuen kann. Im vielleicht amüsantesten Erzählstrang der Auftaktfolge geht es um ein dickes schwarzes Mädchen, das sich um die Hauptrolle in einem Musical beworben hat, aber abgelehnt wurde. Nun will seine hyperehrgeizige Mutter einen Prozess anstrengen, der den Produzenten der Show rassistische Motive nachweist. Zwar singt die Kleine zum Gläserzerspringen und Herzerweichen inbrünstig – die Klage aber ist nicht chancenreich. Als der mit der Angelegenheit betraute Shore dem alten Crane sein Leid klagt, erinnert der ihn an das unabdingbare anwaltliche Erfolgsrezept, auf keinen Fall darüber nachzudenken, was man tut – und rät ihm, in der Verhandlung "ein Kaninchen aus dem Hut zu zaubern".

Dafür, dass ein solches auftaucht, sorgt Crane dann sicherheitshalber selbst – die Empfehlung mit dem Zaubertrick aber wird zum geflügelten Wort auch in den nächsten Folgen dieser überaus spritzigen Verbindung von Juristerei und Wahnsinn.

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