TV-Serie "Life on Mars" Bäuche, die stolz das Hemd spannen
Fortschritt ist eine schöne Sache, auf Dauer kann er allerdings auch recht ermüdend wirken. Man mag sie doch kaum noch sehen, all die schicken Holographien und geleckten Hightechlabore, mit denen in den Krimis der "CSI"-Generation Verbrechen aufgeklärt werden. Gelegentlich überkommt einem angesichts dieser Aufgeräumtheit und Unfehlbarkeit die Sehnsucht nach Ermittlern, die sich nur auf ihre nicht ganz sauberen Hände und ihre Bäuche verlassen. Bäuche wohlgemerkt, die stolz das Hemd spannen nicht durch Diät-Coke oder an Fitnessmaschinen weggetrimmt worden sind.
Im Mordkommissariat von Manchester findet man gleich einen ganzen Haufen von solchen Cops. Sandwichs kauend, Flüche ausspuckend, Zoten reißend, im Zweifelsfall immer erstmal Schläge in die Nierengegend verteilend gehen sie ihrem Job nach. Und Rauchen gilt hier natürlich noch nicht als schlechte Angewohnheit, sondern ist ein unersetzliches männerbündisches Ritual. Wir schreiben das Jahr 1973.
Wie sich Sitten, Körperideale und Berufsbilder in den drei Jahrzehnten verändert haben, das macht die grandiose britische Serie "Life On Mars" besonders dadurch deutlich, dass in diese verwahrloste Männer-WG, die sich Revier nennt, einen Ermittler der Gegenwart geschleust wurde: Detective Sam Tyler (John Simm) wollte eigentlich im Jahr 2006 die Taten eines Serienkillers aufklären und findet sich plötzlich im Jahr 1973 wieder. Im Auto lief auf dem iPod David Bowies "Life On Mars", dann passierte ein Unfall, und Tyler erwacht in Siebziger-Klamotten. Bowies 73er-Hit läuft nun auf einem Kassettenrekorder, und in der Brieftasche findet der Polizist eine Dienstmarke von damals.
Im Polizei-Revier des Jahres 1973 hat sich der Zeitreisende bald einen Ruf als inspirierter Spinner erarbeitet. Die Vermittlung moderner Ermittlungsmethoden an die Kollegen gestaltet sich allerdings schwierig; Forensik oder Psychologie halten die Polizeiproleten eher für Freizeitbeschäftigungen der Upper-Class. Stolz präsentiert man dem Neuen dafür die Verhörzelle des Reviers eine zugemüllte Abstellkammer. Und als Tyler für die Vernehmung eines Tatverdächtigen um ein Aufnahmegerät bittet, bringt man ihm einen Kinderkassettenrekorder, bei dem sich sofort das Band verheddert.
Es muss nicht immer Hightech-Zinnober sein
Diese Pointen werden von den Autoren (Matthew Graham, Ashley Pharoah und Tony Jordan) so trocken und effizient gesetzt, dass einen das gewagte Erzählkonstrukt der Serie gar nicht stört. Es deutet sich an, dass der Zeitreisende durch den Unfall in ein Koma gefallen sein könnte und die Geschehnisse nur imaginiert. Mehrmals hört er die Stimmen von Ärzten, sie sanft aus dem Jahr 2006 auf ihn einzureden scheinen. Doch andererseits fühlt sich das Ermittler-Elend des Jahres 1973 so unschön real an, dass es kaum ein Produkt der eigenen Vorstellungskraft sein kann. Wer ist schon so krank, sich die ewigen Schläge auszudenken, die der Kollege Gene (Philip Glenister) kumpelig in die schmerzvollen Regionen von Tylers Körper austeilt?
So rauh und brutal die Komik in dem Achtteiler daherkommt, so feinfühlig und präzise werden hier die ökonomischen Umbauten und psychosozialen Verschiebungen nachgezeichnet, zu denen es zwischen den Zeiten gekommen ist. Die Verwandlung Manchesters über die letzten 30 Jahre von einer Arbeiterstadt, deren Textilindustrie langsam vor die Hunde ging, zur gestylten Dienstleistungsmetropole wird ganz unaufdringlich in den komplexen Plot integriert: Einmal muss Tyler zwischen den Webstühlen einer Bekleidungsfabrik ermitteln und stellt fest, dass er genau in jenem Gebäude 2006 sein schickes Loft unterhält.
Wie bei den besten Zeitreiseabenteuern wird in der BBC-Produktion also in den materiellen Spurenresten nach Erklärungen für den Mentalitätswechsel gesucht. Als Tyler erzählt, dass das Textilunternehmen irgendwann mal in teuren Wohnraum umgewandelt wird, erwidert jemand nur ungläubig: "Aber Fabriken sind doch zum arbeiten da, wohnen tut man in Häusern." Dass man in Fabriken nach entsprechenden Umbauten aber auch sehr luxeriös residieren kann, kann sich eben nur vorstellen, wer darin nie malochen musste. Auf diese Weise erzählt "Life On Mars" ganz nebenbei vom Übergang in die moderne Dienstleistungs- und Wissensgesellschaft
Und zu dieser Wissensgesellschaft gehört es eben auch, dass man Mörder treffsicher per DNA-Analysen oder Computersimulation überführt. Es muss ja nicht immer gleich so ein Hightech-Zinnober sein, wie man es bei "CSI" zu sehen bekommt. Eigentlich ist es dann doch ganz beruhigend, dass man sich bei der Überführung von Schwerverbrechern heutzutage nicht mehr auf die Nierenschläge verlassen muss, die von den Cops des Jahres 1973 in "Life On Mars" nach gut Dünken ausgeteilt werden. Und so verbreitet dieser mit viel Style- und Pop-Wissen in Szene gesetzte Retro-Thriller eines ganz bestimmt nicht: Nostalgie