TV-Studios Warum bei Anne Will Beige, Rot und Braun dominieren

Ob Stefan Raab, Johannes B. Kerner oder heute Abend Anne Will bei ihrer Premiere: Florian Wieder ist der Innenarchitekt des deutschen Fernsehens, schreibt Harald Staun in der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung".

Als dann endlich alle Fragen beantwortet waren zu jener Person, die ab heute Abend im Mittelpunkt der politischen Debatte sitzen wird, zu Biographie und Charakter von Anne Will also, zu ihren Kindheitserinnerungen und Lieblingsgästen; und als dann auch noch geklärt war, dass sie das Zwitschern eines Wellensittichs perfekt imitieren kann, ging es doch nur wieder um Äußerlichkeiten: Um die Farben Beige, Rot und Braun, die das neue Studio in Berlin-Adlershof prägen, um die Anordnung der Stühle in der Runde und um die neuen Sitzecken, in denen es sich die Vertreter des Volkes gemütlich machen sollen, bis die Gastgeberin sich irgendwann im Lauf der Sendung zu ihnen gesellt, um ihre Statements abzuholen.

Man kann die Absicht Anne Wills, sich von ihrer Vorgängerin Sabine Christiansen zu unterscheiden, nirgends deutlicher erkennen als am Design des neuen Studios, und wer sich nun wieder mal fragt, ob noch Spuren von Vernunft vorhanden sind in einem Land, das allen Ernstes darüber diskutiert, welchen Einfluss die Farben Rot, Braun und Beige auf die politische Gesprächskultur im Fernsehen haben werden, dem kann man zwar möglicherweise zu seinem intakten Wertesystem gratulieren; man sollte ihm nur gleichzeitig dringend den Kauf eines Farbfernsehers ans Herz legen. Es hat schon seine Gründe, dass selbst der öffentlich-rechtliche Rundfunk mittlerweile dazu bereit ist, viel Geld für die Gestaltung seiner Studios auszugeben, und dass man bei ARD und ZDF nicht mehr weiß, wohin man all die Gebührengelder stecken soll, gehört ausnahmsweise nicht dazu. Sicher: Anne Will hätte auch ganz einfach in Christiansens alte Glaskugel einziehen können; aber ob das der richtige Ort gewesen wäre, um beispielsweise über Reformen zu reden?

Die Frage aber, warum nun Beige herrscht, wo einmal Blau war, und Holz statt Glas, die ist nicht ganz so einfach zu beantworten. Nicht umsonst gibt es mittlerweile Menschen, die sich nahezu wissenschaftlich mit diesen Fragen beschäftigen. Der Münchner Florian Wieder (39) ist einer dieser Menschen, ein sogenannter Set-Designer, und wer sein Portfolio anschaut, kann leicht auf die Idee kommen, dass es beim deutschen Fernsehen eine Art Monopol gibt auf diesen Job: Wieder hat das Studio von "Anne Will" gestaltet wie vorher das von "Sabine Christiansen", die Studios von "Beckmann", "Kerner", "Menschen bei Maischberger" und "TV total", und weil ihm das Genre der Talkshows irgendwann zu langweilig wurde, kümmerte er sich auch um die Bühnenbilder von "Deutschland sucht den Superstar", "Dancing on Ice", "Extreme Activity" und "Let’s Dance".

Bald werden 70 Millionen Amerikaner sein Werk betrachten

Die erfolgreiche britische Talentshow "X Factor" hat er eingerichtet, zurzeit arbeitet er an den Kulissen für die "MTV Europe Music Awards", die am 1. November in der Münchner Olympiahalle vergeben werden sollen. Und vor ein paar Wochen saß Wieder mit einem Freund zu Hause, er hatte schon das ein oder andere Bier getrunken, als das Telefon klingelte. Nigel sei hier, sagte ein Mann am anderen Ende, Nigel aus Hollywood. Ob Florian nicht Lust habe, das Set-Design für "American Band" (die Fortsetzung des "Superstar"-Vorbilds "American Idol" für Popbands) zu übernehmen. Jetzt werden bald siebzig Millionen Zuschauer sein Werk betrachten.

Zehn Mitarbeiter beschäftigt seine Firma "Wieder Design" mittlerweile, und wer die Büros im Münchner Vorort Pullach besucht, im Souterrain des "Rabenwirts", kommt erst einmal über den Kirchplatz, einen Ort, den man wohl als "gewachsen" bezeichnen würde; wäre er eine Filmkulisse, würde man dennoch seine Bilderbuchhaftigkeit als übertrieben bemängeln. Wie es dazu kam, dass er nahezu im Alleingang das Interieur des deutschen Fernsehens gestaltet, das kann Wieder auch nicht so genau erklären; es habe sich eben so ergeben. Bühnenbildner habe er gelernt, dann kam er zur Werbung und irgendwie zur "Bullyparade", dann folgte Auftrag auf Auftrag. Trotz all des Aufwands aber, der in den Sets für die großen Spiel- und Musikshows steckt, für die Wieder unter Einsatz moderner Medientechnik möglichst spektakuläre Kunstwelten schafft: Es sind die unauffälligen Designs der Talksendungen, an denen man die Mechanismen des Fernsehens viel besser ablesen kann.

Wieders Arbeit in diesem Genre setzt zuerst einmal eine absolute Aufgabe eigener ästhetischer Ambitionen voraus. "Das Design der Studios", sagt er, "spiegelt ja nicht meinen eigenen Geschmack wider." Am ehesten ist Wieder selbst eine Art Medium, im transzendentalen Sinne, der die Innenwelten der Moderatoren in Möbelgruppen verwandelt. Das extrem personenbezogene Konzept zeitgenössischer Talkshows erfordert, dass das Studio auch zu den Personen passt, die den Sendungen ihre Namen geben. Vor jedem Entwurf steht deshalb ein Treffen mit dem Moderator oder der Moderatorin, das man sich wie eine Art erweiterte Typberatung vorstellen muss, nur ohne Schminktipps.

Nicht immer laufen solche Treffen zur Zufriedenheit beider Seiten ab. Der ehemalige Fernsehmoderator Roger Willemsen etwa hat keine besonders guten Erinnerungen an die Resultate seiner Sitzungen mit Dekorateuren: "Man reiste immer zu Besprechungen an, erkundete tiefenpsychologisch Charakter, Farbe, Anmutung (das Wort war damals neu) und Hubraum der Sendung, der Interviewsituation, und schließlich bekam man klopapierbeklebte Wände mit Streulicht." Als Rache an den Bühnenbildnern trat er im "Warm up" immer gegen eine Säule, damit man an seinen Trittstriemen die Anzahl der bisherigen Sendungen in diesem Studio ablesen konnte.

Es solle niemand glauben, dass es in ihrer Sendung "kuschelig" zugehen

Dass man dann doch nicht so leicht Rückschlüsse ableiten kann vom Design der Kulissen aufs Bewusstsein der Moderatoren, liegt vor allem daran, dass sich die Manifestation der jeweiligen Mentalität eher in abstrakten Kategorien bewegt. Viel mehr als eine diffuse Modernität von Anne Will oder den Willen zur Seriosität von Reinhold Beckmann können die Studios kaum vermitteln. Es brächte einen ja auch nicht entschieden weiter, wenn man sich Beckmanns Seele wie einen Konferenzraum mit Aussicht auf eine Eisenbrücke vorstellt oder die Innenausstattung von Johannes B. Kerner als Halbrund mit großem Logo im Hintergrund. Die "kühle" Christiansen, die "warme" Will: Schon allein die absurden Assoziationen, die eine metaphorisch überhöhte Farblehre weckt, sorgen dafür, dass sich darin jede Aussagekraft verliert. Was nicht bedeutet, dass diese Zuschreibungen nicht umgekehrt zu wesentlichen Elementen eines nicht weniger designten Images der Personen werden.

In gepflegtem Ambiente wissen sich auch die Gesprächsteilnehmer zu benehmen

Wie treffend auch Wieders möbelgewordenes Porträt seiner Auftraggeber ausfällt: Wenn es einmal fertig ist, können diese sich gegen die Identifikation nicht mehr wehren. Ihr Studio gilt den Zuschauern als Ausdruck des persönlichen Geschmacks – und ob es sich dabei um die Person oder die Marke handelt, ist ihnen eher egal. Solange also Stefan Raab an seinem fahrbaren Schreibtisch sitzt, wird er es schwer haben, sich zu einem seriösen Talkmaster zu entwickeln. Und wie könnte Reinhold Beckmann ohne seinen Konferenztisch seine wichtigsten investigativen Methoden so effektiv einsetzen, das Vor- und Zurücklehnen?

Kein Wunder, dass deshalb die Moderatoren für ihre Kulissen zur Rechenschaft gezogen werden, als handle es sich um die detaillierte Rekonstruktion eines Hirnscans aus dem Magnetresonanztomographen. Es solle niemand glauben, dass es in ihrer Sendung "kuschelig" zugehen werde, betonte Will ungefragt bei der Präsentation ihres Studios. "Sonst hätten wir noch einen Teppich reingelegt." Um den Eindruck zu großer Plüschigkeit zu vermeiden, hat sich Wieder für eine strenge Linienführung und ans Bauhaus-Design angelehnte Möbel entschieden. Und damit es sich die Gäste in den sehr bequem wirkenden Lounge-Stühlen nicht allzu gemütlich machen, hat er so lange an den Sesseln gefeilt, bis sie auch Gäste mit nachlässiger Körperhaltung zum aufrechten Sitzen zwingen.

Es ist das Spiel der feinen Unterschiede, das Wieder betreibt, und nicht nur die Gleichförmigkeit der Protagonisten ist daran schuld. Vor allem im Bereich der Gesprächssendungen sind einfach auch die gestalterischen Spielräume begrenzt: rot oder blau, Stuhl oder Sessel, rund oder eckig, Tisch oder nicht – das wären so die Optionen. "Auch ich habe schon tausendmal herumexperimentiert", sagt Wieder, "aber das wirkt sehr leicht peinlich."

"Natürlich" soll ein Studio wirken

Mittlerweile, so scheint es, hat sich das Fernsehen wieder auf eine Art Broken-Window-Theorie besonnen. Im gepflegten Ambiente einer gehobenen Mittelstandsästhetik wissen sich auch die Gesprächsteilnehmer zu benehmen. Bevor man das als Anhänger einer schärferen Streitkultur bedauert, sollte man sich noch einmal an die RTL-Sendung "Der heiße Stuhl" erinnern, ein eher misslungener Versuch, Politiker mit den Mitteln der Innenarchitektur zum Reden zu bringen. Für avantgardistischere Designer mag eine gewisse Tragik darin liegen, dass Wieders brave Entwürfe wie ein Geschmacksverstärker für einen bewusst mutlosen Stil wirken; andererseits ist er eben in erster Linie der Seismograph der herrschenden Ästhetik, nicht ihr Erneuerer. Man muss schon froh sein, dass er nicht die unter Medienmachern so verbreitete Maxime anwendet und die Zuschauer dort "abholt", wo sie sind: in ihrem Wohnzimmer.

Man darf dabei nicht unterschätzen, was für ein Aufwand dahinter steckt, diese Normalität herzustellen. "Natürlich" soll so ein Studio wirken, "selbstverständlich", meint Wieder, und dass er einen Raum anstrebe, "der auch real existieren könnte", was auch nichts anderes bedeutet, als dass der Urzustand im Fernsehen eben das komplette Gegenteil ist. Jede Talkshow muss durch ihr Design die Fiktionalität ihres Inhalts leugnen, die Authentizität der Gespräche glaubhaft machen, die dort ablaufen.

Im besten Fall verwechseln die Zuschauer das Studio dann tatsächlich mit dem Zuhause des Moderators. Dass zu diesem Zweck überhaupt noch echte Kulissen gebaut werden, ist im Zeitalter perfekter Spezialeffekte ein bemerkenswerter Zwischenschritt. Die Studios, die Wieder am Computer entwirft, kommen schließlich auch nur als virtuelles Bild auf den Monitoren der Zuschauer an. Solange dieser Zwischenschritt notwendig ist, so lange immerhin kann man davon ausgehen, dass in den Talkshows doch noch so etwas wie Spontaneität möglich ist. Am Ende aber schafft es kein Studio der Welt, Politikern Worte zu entlocken, die sie nicht sagen wollen. Auch hinter den Kulissen gibt es schließlich eine Welt. Dort sitzen die Designer der politischen Kommunikation an ihren eigenen Entwürfen und bauen Sätze, welche die Gesprächsteilnehmer ins Fernsehen mitnehmen. Warm oder kalt, je nach Wunsch.

Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" übernommen.

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