Umstrittene Ausstellung "Man kann nicht so tun, als bestünde Afrika nur aus Savanne"

Die umstrittene Ausstellung "African Village" im Augsburger Zoo weckt Erinnerungen an die "Völkerschauen" des 19. Jahrhunderts. SPIEGEL ONLINE sprach mit dem Kölner Historiker Norbert Finzsch über die Verdrängung der deutschen Kolonial-Geschichte und die Naivität der Augsburger Veranstalter.

SPIEGEL ONLINE:

Herr Finzsch, was halten Sie von der Idee des Augsburger Zoos, ein afrikanisches Dorf nachzubauen und darin Zöpfchenflechten und Trommelbauen als afrikanische Kultur darzustellen?

Finzsch: Eine Ähnlichkeit zu Völkerschauen drängt sich auf. In deutschen Zoos wurden ab dem Ende des 19. Jahrhunderts bis in die vierziger Jahre unter anderem Afrikaner entmenschlicht, als exotische Objekte vorgeführt und rassenanthropologischen Untersuchungen unterzogen; wissenschaftlich übrigens von höchst fragwürdigem Nutzen. Auch in den Völkerschauen war die Rede von Exotismus, von Ursprünglichkeit und Naturverbundenheit. Im Umfeld der Augsburger Ausstellung wird zwar ein anderes Vokabular benutzt, doch der kulturelle Kontext ist derselbe. So zu tun, als bestünde ganz Afrika aus Savannen, in denen naturverbundene, freundliche Menschen vor einfachen Hütten ihrem Tagwerk nachgehen, ist absurd. Ich konnte nicht glauben, dass so eine Ausstellung in der bundesrepublikanischen Wirklichkeit von 2005 noch möglich ist.

SPIEGEL ONLINE: Wie haben Sie von der "African Village"-Ausstellung erfahren?

Finzsch: Ich wurde aus dem Umfeld der Initiativen "Kanak Attak" und "Der Braune Mob" über die Augsburger Ausstellung informiert. Hellhörig wurde ich, weil ich mit einem Team von Wissenschaftlern derzeit an der Aufarbeitung von kolonialen Postkarten arbeite. Wir sichten einen Corpus von über 10.000 Exponaten, in dem die Thematik, die auch in Augsburg angedacht ist, immer wieder behandelt wird.

SPIEGEL ONLINE: Lässt sich die afrikanische Kultur überhaupt unter einem singulären Kulturbegriff zusammenzufassen?

Finzsch: Von der afrikanischen Kultur zu sprechen ist so sinnvoll, wie von der europäischen oder der amerikanischen Kultur zu reden. Afrika ist ein riesiger Kontinent mit vielen unterschiedlichen Kulturen und Kulturräumen. Eine Ausstellung wie in Augsburg nivelliert diese Unterschiede. Afrika ist auch ein Kontinent mit großen Problemen, die nichts mit der Savanne zu tun haben: Aids, Armut, negative Auswirkungen der Globalisierung, politische Regime, die nicht demokratisch sind - auch das wird bei "African Village" verdrängt.

SPIEGEL ONLINE: Die Ausstellung wurde von der Münchner Veranstaltungsagentur MaxVita und dem Zoo Augsburg konzipiert. Wie kann es sein, dass so ein Konzept beschlossen wird, ohne das politische und historische Zusammenhänge erkannt werden?

Finzsch: Das hat damit zu tun, dass der deutsche Kolonialismus in den letzten 60 Jahren hierzulande nicht thematisiert wurde. Anlässlich des Völkermords an den Herero im heutigen Namibia hat es 2004 einige wenige Veranstaltungen gegeben. Dort wurde zum ersten Mal darüber gesprochen, dass sich der deutsche Kolonialismus in Brutalität und Intensität in keiner Weise von dem britischen und französischen Kolonialismus unterschieden hat. Das ist von vielen Leuten mit Erstaunen zur Kenntnis genommen worden, viele haben davon nichts gewusst.

SPIEGEL ONLINE: Wovon genau?

Finzsch: Zum Beispiel, dass es über die Völkermorde hinaus ein brutales koloniales System gab, in dem Deutsche entscheidende Positionen innehatten, oder dass auch Deutschland im Sklavenhandel involviert war. Preußen etwa hatte eine Kolonie in Westafrika, von der aus Sklaven gehandelt wurden - das alles ist fast vollkommen unbekannt. Wir Historiker, das kann ich selbstkritisch sagen, haben es auch versäumt, über diese Dinge intensiv nachzudenken und dazu zu publizieren. Ein echter Diskurs hat noch nicht stattgefunden. Solange solche grundlegenden Fakten über die Geschichte des Kolonialismus nicht bekannt sind, kann es dafür in der Öffentlichkeit gar kein Bewusstsein geben. Und die Art, wie Afrikaner auch heutzutage in der deutschen Öffentlichkeit dargestellt werden beweist, dass koloniale und rassistische Sichtweisen immer noch lebendig sind.

SPIEGEL ONLINE: Zum 60. Jahrestag der KZ-Befreiungen und des Kriegsendes wurden im Frühjahr diesen Jahres Gedenkfeiern für die Opfer des Nazi-Terrors durchgeführt, auch das Mahnmal für die jüdischen Opfer wurde in Berlin eröffnet. Wissen Sie, ob auch den afrodeutschen Opfern des Nationalsozialismus gedacht wurde?

Finzsch: Mir ist keine offizielle Anerkennung der Verfolgung der Afrodeutschen in der Zeit des Nationalsozialismus bekannt. Im Gegenteil, es ist oft so, dass afrodeutsche Opfer von Zwangssterilisationen vergeblich um eine Einstufung als NS-Verfolgte gekämpft haben. Es ist erst seit wenigen Jahren so, dass schwarze Deutsche beginnen, sich in Netzwerken zusammenzuschließen. Erst jetzt werden die ersten wichtigen Forschungszentren - etwa in Mainz - gegründet, um der Geschichte der schwarzen Deutschen nachzugehen.

SPIEGEL ONLINE: Sie haben Informationen über die Augsburger Ausstellung und den Protest dagegen in einem Internetforum für Wissenschaftskollegen international publik gemacht. Seitdem wird die Direktorin des Augsburger Tierparks, Barbara Jantschke, mit Protestmails von Professoren und Dekanen von Universitäten aus England, Frankreich und besonders den USA überflutet.

Finzsch: Stimmt. Doch es geht dabei nicht um Frau Dr. Jantschke, ich will sie nicht persönlich angreifen. Sie ist mit Sicherheit eine nette Biologin, die viel von Primaten und Großkatzen versteht. Vielmehr geht es um die Diskurse, die in der Bundesrepublik Deutschland nicht stattfinden. Es gibt bereits sehr viel Forschung aus dem amerikanischen Bereich, die dokumentiert, welche Funktionen diese Völkerschauen gehabt haben. Inzwischen liegen auch Berichte von Menschen vor, die gezwungen wurden, an diesen Schauen Teil zu nehmen. Ich kann überhaupt nicht verstehen, dass so etwas hierzulande nicht zur Kenntnis genommen wird. Es ist wichtig, diese Debatte zu führen, um darauf zu verweisen, das hier Traditionen schlummern, die durch solche Ausstellungen in Augsburg geweckt und wiederbelebt werden können. Wichtig ist auch, das deutlich wird, dass es sich hier nicht nur um eine kleine Minderheit von deutschen Schwarzen und ein paar durchgeknallten Universitätsleuten handelt, die sich dagegen wehren, sondern dass eine solche Veranstaltung auch für die Mitte der Gesellschaft nicht akzeptabel ist.

Das Interview führte Ulrike Krahnert


Norbert Finzsch ist Professor an der Universität Köln. Zu seinen Schwerpunkten gehört die Amerikanische Geschichte des 19. und 20. Jahrhunderts sowie die Geschichte der African Americans.

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