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Nobelpreise: Ausgerechnet ausgezeichnet

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Umstrittene Nobelpreise "Brutale Effekte und Bluff"

Warum wird der denn ausgezeichnet? Das sind Kommentare, die man jedes Jahr über mindestens einen der Nobelpreisträger hört - und dieses Mal trifft es Barack Obama. Ein Blick in die Geschichte zeigt: Eigensinn hat Tradition in Stockholm und Oslo, Skandale sind programmiert.
Von Daniel Haas

Das wär doch eine schöne Frage für "Wer wird Millionär?": Frans Eemil Sillanpää: A) Norwegischer Streichkäse. B) Skandinavisches Bergmassiv. C) Finnischer Nobelpreisträger. Die Antwortet lautet c. Der Mann bekam die höchste Literaturauszeichnung der Welt im Jahr 1939.

Man könnte das Spiel auch mit Sully Prudhomme, José Echegaray oder Wladyslaw Reymont spielen: Alles Nobelpreisträger, deren Bücher man heute mit der Lupe suchen muss.

Dass die Schweden die Welt mit abseitigen Entscheidungen brüskieren, hat Tradition. Schon als der Preis 1901 zum ersten Mal vergeben wurde und nicht an Leo Tolstoi ging, war das Gezeter groß. Seitdem wurden herausragende Autoren übergangen (Proust, Rilke, Kafka) und zweitrangige ausgezeichnet (William Golding, Pearl S. Buck).

Als die Schwedische Akademie 2002 in einer Quellenedition erstmals Einblick in die geheimen Beratungen des Nobelkomitees gewährte, war die Verblüffung dann aber doch noch einmal groß. So viel Häme. So viel Exzentrik. Alberto Moravia: ließ die "ideale Tendenz" vermissen, außerdem erotoman. Lion Feuchtwanger: nur "brutale Effekte und Bluff". Karl Kraus: "dunkel und abstoßend". Paul Claudel: zu katholisch. Graham Greene: zu skeptisch.

Kein Ideen-TÜV

Wer also überrascht war über die Ehrung von Herta Müller, kannte die Geschichte des Preises nicht. Und auch nicht seine Ideologie. Es gibt Zeiten, da wollen die Stockholmer den Rang eines Autors einfach nur bestätigen, und solche, in denen das Komitee eine "symbolische Akzentuierung kultureller oder historischer Konstellationen" ("SZ") vornimmt. Dann wird das Komitee zum Förderverein. Das ist im Fall von Frau Müller so, und da es eine exzellente Sprachartistin trifft, muss man sich nicht aufregen.

Aber man kann sich die Historie der Nobelpreise noch mal vornehmen, auch die der naturwissenschaftlichen, und erkennen: Die königliche Akademie ist kein unfehlbarer Ideen-TÜV und schon gar keine metaphysische Instanz für kulturelle Weihen. Sie hat eine Geschichte wie jede andere Institution auch, sie wird von Menschen gestaltet und die wiederum werden von Interessen geleitet. Es ist ein bisschen naiv zu glauben, in Stockholm enthülle der Weltgeist letzte Wahrheiten zum Stand unserer Gesellschaft.

Stattdessen gibt es immer mal wieder unglaubliche Possen: Zum Beispiel die Ehrung des Exil-Chinesen Gao Xingjian mit dem Literaturnobelpreis im Jahr 2000. Vorangetrieben haben soll sie Akademiemitglied Göran Malmqvist, der passenderweise Sinologe war und sich vor der Verleihung auch gleich persönlich die Verlagsrechte an Gaos Büchern sicherte.

Autoren-Harakiri

Oder die Ehrung von Harry Martinson. Der Autor war nicht nur Schwede, sondern gehörte auch der Akademie an, verlieh sich den Preis also quasi selbst - zumindest anteilig. Die Ehre (und die Kritik an seinem Werk) soll derart schwer auf ihm gelastet haben, dass er tatsächlich mit einer Schere im Krankenhaus Harakiri beging.

Wenn sich Naturwissenschaftlicher jetzt schadenfroh die Hände reiben, ist das unangebracht. Erinnern wir kurz an den Physiker Alexej Abrikossow, der 2003 den Nobelpreis für rund 50 Jahre altes Lehrbuchwissen über kuriose Quantenphänomene erhielt. Und der Chemienobelpreis ein Jahr zuvor an Koichi Tanaka galt vielen Kritikern als ebenso fragwürdig: Das von ihm entwickelte Laserverfahren hatte bis zur Preisverleihung keine große Bedeutung. Tanaka war außerdem der einzige, der es jemals benutzte.

Ein bisschen dünn, würde man umgangssprachlich sagen, so dünn wie das Papier vielleicht, auf das Reden gedruckt werden. Barack Obama, unken einige, ist bislang eher als Rhetoriker denn als Praktiker aufgetreten. Und dafür kriegt er jetzt den Friedensnobelpreis?! Natürlich sind bei so einem komplexen Phänomen wie dem Frieden die Kontroversen noch deutlicher programmiert als in der Literatur. Und es gab auch in dieser nobelsten Sparte der Ehrung jede Menge schiefer Entscheidungen.

Putsch und futsch

Obamas Vorgänger Theodore Roosevelt, Preisträger 1906: Hatte zwar im russisch-japanischen Krieg vermittelt, galt im Weißen Haus aber als beinharter Imperialist. Henry Kissinger: war einerseits Mitinitiator des Vietnam-Abkommens, hatte seinen Ruf aber durch die Bombardierung Kambodschas und die Verwicklung in den Chile-Putsch ruiniert.

Jimmy Carter bekam den Preis quasi als paradoxe Mahnung. Die Auszeichnung sei als "Tritt vors Scheinbein für all jene gedacht, die in dieselbe Richtung marschieren wie die USA", hieß es 2002 in Oslo. Carter, ausgestattet mit dem Gleichmut einer Erdnuss, nahm den Preis dennoch an.

Und dann Jassir Arafat, der den Preis 1994 erhielt. Zwei der fünf Juroren traten damals zurück, einer sagte: "Der Träger des Friedenspreises legt heute die Friedenstaube auf die Schlachtbank und schwingt die Axt."

Krasse Worte, heikle Entscheidungen. Und immer wieder Zündstoff für globale Debatten. Ist doch auch passend. Der Stifter des Preises war schließlich Dynamitfabrikant.

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