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Uraufführung in Bremen: Elfriede in der Geisterbahn

Foto: Jörg Landsberg

Jelinek-Uraufführung in Bremen Blutkuchen für alle

Das Theater Bremen hat einen guten Draht zu Elfriede Jelinek. Deshalb gibt die Nobelpreisträgerin gelegentlich ihre ungespielten Texte dorthin zur Uraufführung, und wagemutige Regisseure arbeiten sich an ihnen ab. Jetzt hat Mirko Borscht aus "Tod-krank.Doc" eine Splatter-Show gemacht.

Der Tod ist schmutzig, hässlich und gemein. Da sind sie sich alle einig, die Autorin, der Regisseur, die Kostümbildnerin - und ihr Kronzeuge Christoph Schlingensief. Und der weiß, wovon er redet. Seine Stimme ist als Prolog der Uraufführung von "Todkrank.Doc" im Kleinen Haus des Theaters Bremen verzerrt vom Band zu hören. Das ist einerseits etwas unnötig, weil das Folgende dann doch wenig mit Schlingensief zu tun hat, und in seiner Intimität daneben, weil Schlingensief auf dem Tonausschnitt heult.

Andererseits hatte Elfriede Jelinek ihre Textfläche "Tod-krank.Doc" 2009 tatsächlich für das autobiografische "Mea Culpa"-Projekt des damals schon schwer an Lungenkrebs erkrankten Künstlers geschrieben. Der hatte daraus dann aber so gut wie nichts verwendet, und der Text war liegengeblieben. Nun hat die Autorin ihn dem Theater Bremen zur Uraufführung überlassen, wie zuvor schon ihren Text "Aber sicher!", und der Regisseur Mirko Borscht, 42, hat sich davon zu einer düsteren Horror-Picture-Show inspirieren lassen.

Zu Beginn stehen da fünf Zombies im Halbdunkel, der Bühnennebel wabert um ihre Füße herum, im Gegenlicht sind sie nur schemenhaft zu erkennen - es sind fünf Halbtote in barocken, ehemals weißen Gewändern, die verdreckt sind von getrocknetem Blut und anderen unschönen Körpersäften (Kostüme: Elke von Sivers).

Gefallene Engel, teils mit Chemoglatzen, die zwischendurch auch mal kurz husten und kotzen müssen, während sie über ihre Hilf- und Schutzlosigkeit angesichts ihrer todkranken Körper sprechen, den Text trotz Mikros gegen das laute Dröhnen eines verstärkten Herzschlags und bald auch mächtige Geigenklänge aus den Lautsprechern mühsam verteidigen müssen. Manchmal naschen sie dazu vom gallertartigen "Blutkuchen", der ihnen zwischen den Fingern hervorquillt und das strukturgebende Spielwort in Jelineks Wortspiel-Ungetüm ist. Geschont wird hier niemand, nicht die Schauspieler und nicht die Zuschauer, soviel ist schon nach einer Viertelstunde klar.

Katharsis? Oder Exorzismus?

Zwar bekommen die Wesen aus dem Zwischenreich auch mal Gesellschaft von sehr irdischen Gestalten, zwei Arbeitern im Blaumann, die die Kapitel "In der Maschine" und "Im Bus" (über das Unglück in München 1994, bei dem ein Linienbus in ein Riesenloch unter der Straße versank, das beim U-Bahnbau entstanden war) bestreiten, aber die Ästhetik des Abends ist geprägt von Gothic-Zauber, Halbwelt-Schrecken und Splatter-Movies. Es wird Blut verschmiert, mit künstlichen Innereien gespielt, es wird geschlagen und gequält. Dazu laufen auf einem Monitor Schwarz-Weiß-Comics im Graphic-Novel-Stil, das Licht wechselt so häufig wie bei einem Rockkonzert, und ständig wird umgebaut. Die einzelnen Kapitel werden getrennt durch Musikstücke aller Stilrichtungen, von Barock bis zu hartem Post-Punk, denen vor allem eins gemein ist: ihr heiliger Ernst.

Das ist alles viel zu viel, aber Borscht gelingen dabei auch immer wieder beklemmende Bilder. Im Kapitel "Im Keller" etwa sind die Todesengel in transparenten Boxen eingesperrt, die unter der Decke hängen. Der Text kreist hier um den Fall Fritzl, jenen Familienvater aus dem österreichischen Amstetten, der jahrzehntelang seine Tochter gefangen hielt und mit ihr sieben Kinder zeugte.

Jelinek ist da schnell beim Ödipus-Komplex: Weil der Mann die Mutter begehrt hat, "wie ein Sohn seine Mutter nicht begehren soll", macht er nun die Tochter zur Mutter. Von Ödipus' Schwellfuß zum männlichen Schwellkörper ist es bei der Autorin nur ein (hinkender) Gedankenschritt. Und der Regisseur Mirko Borscht hinkt noch einen Schritt weiter: Bei ihm sticht der Vater der Tochter die Augen aus, wie es einst Ödipus bei sich selbst tat, um sich zu bestrafen für die Vergehen an seinen Eltern. Das geht gedanklich nicht ganz auf, wird aber in aller Drastik dargestellt.

Und als man denkt, krasser geht's nicht, setzt Borscht noch einen drauf und löst die Szene in einer Blut-und-Gekröse-Orgie auf, in der die schmutzigen Engel zu ohrenbetäubenden Heavy-Metal-Klängen übereinander herfallen. Dass das Theater im Zeitalter von Computerspiel-Schlachtfesten dabei so anachronistisch wirkt wie maskierte Männer in der Geisterbahn, müsste auch dem Regisseur klar sein. Aber von Ironie keine Spur, wie Borscht überhaupt Jelineks groteske Seite konsequent ignoriert.

Andererseits: Dass die überzogene Heavy-Metal-Nummer fast zum Lachen reizt, ist ja doch ein Hinweis, dass hier Emotionen erzeugt werden, die man sich vom Leib zu halten versucht. Haben wir es hier am Ende mit der guten alten Katharsis zu tun? Borscht würde es vielleicht eher Exorzismus nennen.

Der Orgie folgt denn auch der schönste Moment des Abends: Lisa Guth tritt vorn an die Rampe und spricht die Schlüsselsätze aus dem Kapitel "Im Wald", das eigentlich am Anfang von Jelineks Textfläche steht. Kein Sound, kein Bühnenrummel. Endlich vertraut der Regisseur dem Text und seiner Schauspielerin. Sie erzählt von der Unschuld der Tiere und von ihrer Ohnmacht. Der Mensch dagegen mit seinen Allmachtsphantasien erkennt seine Ohnmacht erst, wenn er todkrank ist.


"Tod-krank.Doc". Wieder am 4., 12. und 18.12. im Kleinen Haus des Theaters Bremen, Tel. 0421/365 33 33, www.theater-bremen.de 

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