
Uraufführung "Mao und ich" TV-Melodram fürs Theater
Ulrike Syha ist die Fluchthelferin des deutschen Theaters: Ihre Stücke handeln von Rast- und Ruhelosen, die weglaufen wollen vor ihren Jobs, vor ihren Partnern, vor sich selbst. Weit kommen sie meistens nicht, aber sie versuchen es immer wieder. Das ist in "Mao und ich" nicht anders, Syhas neuestem Werk, das am Wochenende in Mannheim uraufgeführt wurde.
Der Uni-Dozent Marek und die Journalistin Ruth reisen gemeinsam um die halbe Welt, nach Chongqing in Zentralchina, um an einer Konferenz für internationalen Kulturaustausch teilzunehmen. Sie findet in einem Fünf-Sterne-Hotel statt, in einer sterilen Luxusblase also, in der sie nicht fremden Kulturen begegnen, sondern vor allem sich selbst.
Marek und Ruth, beide um die 40, kennen sich schon aus Studententagen. Sie sind Freunde und vielleicht mehr als das; ein Paar aber ist nie aus ihnen geworden. Ruth ist inzwischen mit einem Import-Export-Manager verheiratet, der nicht nur der Geschäftspartner ihres Vaters ist, sondern auch fast so alt wie dieser. Nebenbei hat sie eine Affäre, in der sie mit einem anderen Leben flirtet. Marek hat wechselnde Dates, in denen er wie in Bewerbungsgesprächen auftritt, stets mit einem gefälschten Lebenslauf. Er leiht sich fremde Biografien aus, die nicht unbedingt spannender als seine eigene Biografie sind, aber anders. Er rettet sich aus der Realität in die Fiktion.
Einem Geheimnis auf der Spur
Marek hat Ruth offiziell nach China mitgenommen, weil er sie als Kindermädchen braucht in der großen, weiten Welt. Und inoffiziell, weil er sich so ein weiteres Mal aus seinem trostlosen Leben in eine Fiktion retten kann: in die Fiktion, mit Ruth zusammen zu sein. Ruth ist offiziell mitgefahren, weil sie weiß, wie unsicher und unselbständig Marek ist. Und inoffiziell, weil sie in China der verheimlichten Vergangenheit ihres Ehemanns auf die Spur kommen will. Das allein wäre genug Stoff für allerlei Verwicklungen, aber dann taucht bei der Konferenz auch noch Mareks verhasster Stiefvater Lars auf, ein berühmter Dokumentarfilmer, der grenzenlos selbstsicher von seinen Abenteuern berichtet - und auf diese Weise wortreich ein weiteres Geheimnis zu verbergen versucht.
Im Programmheft zur Uraufführung sagt Syha, dass sie mit ihren Texten das Theater herausfordern wolle. Nun kann man sich fragen, was im Falle von "Mao und ich" die größere Herausforderung ist für einen Theaterregisseur: der raumgreifende Plot über Kontinente hinweg, die Vor- und Rückblenden sowie die detaillierten Nebenbemerkungen, die weit über Regieanweisungen hinausgehen - kurz: die Form des Textes, die an ein Drehbuch erinnert? Oder die Banalität seines Inhalts? Denn die Geschichte erinnert weniger an einen Kinofilm als an ein Fernsehmelodram für ZDF-Zuschauer am Mittwochabend.
In Mannheim nimmt der Regisseur Ali M. Abdullah die Herausforderung an. Leider ist er überfordert. Sein Blick auf Syhas Realitätflüchtlinge, man muss es so deutlich sagen, ist zum Davonlaufen. Auf die Bühne stellt er eine Mao-Figur aus Pappe, was sich zur unfreiwilligen Pointe entwickelt, denn auch Syhas Figuren werden in seiner Regie zu Pappkameraden. Blutleer und austauschbar.
Auf der Bühne stehen Filmstar-Karikaturen
Das liegt nicht nur, aber auch an den Kostümen: Der Uni-Dozent Marek (Michael Fuchs) trägt ein silbernes Hemd, bis zum Bauchnabel aufgeknöpft, dazu eine Glitzerhose und zurückgegeltes Haar. Ein Vorstadt-Checker, ein John Travolta für Arme. Die Journalistin Ruth (Dascha Trautwein) sieht in ihrem Kleidchen wie eine Provinz-Marilyn aus, der Dokumentarfilmer Lars (Ralf Dittrich) wie ein gealterter Indiana Jones. Es sind Filmstar-Karikaturen. Zwischen den drei Hauptfiguren hüpfen zwei Schauspieler herum, die allerlei Nebenfiguren auf sich vereinen: Jacques Malan, der im blauen Anzug und mit Joker-Grinsen im Gesicht zudem viele der Regieanweisungen über ein Megaphon spricht. Und die halbnackte Sabine Fürst, die langbeinig und großbusig (die Beine sind echt, die Brüste nicht) all die Dates und Affären mimt.
"Mao und ich" sei "kein Stück", schreibt Syha in einer Vorbemerkung zu ihrem Text, "sondern ein Film. Ein Film fürs Theater". Und tatsächlich: Wenn der Text irgendein Potential fürs Theater haben sollte, dann liegt dieses Potential in seinen filmischen Momenten. Aber wie lässt es sich bergen? Eine kluge Regie würde versuchen, auf die Frage eine formale Antwort zu finden und auch eine dramaturgische. Abdullah findet nur Alibi-Antworten, die nicht viel mehr sagen als: Ich habe die Vorbemerkung gelesen.
Er entscheidet sich gemeinsam mit seinem Bühnen- und Kostümbildner Christoph Ernst für die verballhornenden Filmstar-Kostüme - und verrät damit die Figuren. Er hängt eine Fototapete mit den Hollywood-Buchstaben an die Bühnenrückwand. Ja, das macht er wirklich. Und er spielt ein wenig mit einer Handkamera rum, deren Bilder auf einen Fernseher übertragen werden - ein halbherziger Ansatz, der weit entfernt ist davon, ein formales Prinzip zu bilden.
Das Ergebnis ist kein Theaterfilm. Eher ein totaler Filmriss.
Ulrike Syha: "Mao und ich". Weitere Vorstellungen im Nationaltheater Mannheim (www.nationaltheater-mannheim.de) am 10. und 25. Dezember, Karten unter Telefon 0621/1680150.