US-Late-Talker Fallon Maulheld in Missionarsstellung
New York - Ganz zu Beginn der Show, als er zum allerersten Mal vor den blauen Vorhang tritt, reißt Jimmy Fallon einen selbstironischen Witz, in dem eine ordentliche Prise Wahrheit stecken dürfte. "Schlaue Männer", sagt er, und schaukelt nervös hin und her, "würden jetzt gehen".
Rockefeller Center, Studio 6-B des TV-Senders NBC: US-Komiker Fallon zeichnet "Late Night" auf, die berühmte Mitternachts-Talkshow, deren Moderation er am Montag übernommen hat. Die Premiere verläuft angespannt, schließlich tritt Fallon in die Fußstapfen des Rotschopfs Conan O'Brien, der "Late Night" 16 Jahre lang regiert hat und nun für noch höhere Weihen vorgesehen ist.
König O'Brien führte seinen Thronfolger persönlich ein. In einem eher absurd anmutenden Einstiegssketch gab er ihm seinen Segen, auf ganz eigene Art: "Oh", murmelt O'Brien in seiner Ex-Garderobe (sie gehört jetzt ja Fallon), "das ist heute? Cool". Peinliches Schweigen. "So wird das also sein?", fragt Fallon, während sein Vorgänger das Zimmer reinigt. O'Brien nickt: "Genau so wird es sein."
So merkwürdig wie dieser Scherz geriet Fallons gesamtes Debüt: Mal versprühte er genialen Witz, mal griff er peinlich daneben. Selbst die Stargäste Robert De Niro und Justin Timberlake konnten da wenig ausrichten. De Niro etwa klebte in seinem Sessel und grummelte vor sich hin, bis dem jovialen Fallon der Schweiß auf der Stirn stand. Dabei hatte Fallon auch ohne den grantelnden De Niro Grund genug, nervös zu sein. Schließlich ist der 34-Jährige jetzt Mitglied im exklusivsten TV-Club der USA - dem der Late-Night-Talker.
Diese Clique telegener Multimillionäre, angeführt von Jay Leno (NBC) und David Letterman (CBS), herrscht mit einem Rezept aus schrägem Witz und hausbackenem Humor über eines der letzten lukrativen TV-Imperien in den USA. Seit den fünfziger Jahren gehören die Late-Night-Shows zum "American Way of Life" wie der Truthahn zu Thanksgiving. Late-Night-Urvater Johnny Carson, der der legendären "Tonight Show" von 1962 bis 1992 vorstand und 2005 starb, gilt bis heute als der "King of Comedy".
Amerikas Late-Shows sind ein bisschen wie abgesessene, doch bequeme Möbel - und die einzige Konstante in der Welt des multimedialen Bombardements. Kabel-TV, Internet, Facebook, Twitter verwandeln den Medienkonsum in Lichtgeschwindigkeit - nur die Sofas, Schreibtische, Studios und Zoten der Network-Talker (allesamt weiße Männer) bleiben. Das Sendeschema ist unverändert, die Stars waren es lange auch. Alle Talker verfahren strengstens nach dem gleichen Ablaufplan: Monolog, Gags, (Star-)Gäste, good night.
Jugendfreier Klassenclown
So eingefroren sind die Rituale dieser Quasselclique, dass die Networks CBS, NBC und ABC (mit Spätplauderer Jimmy Kimmel nur halbherzig vertreten) äußerst selten Personalwechsel wagen - und wenn, dann nur unter großem Bohei.
Fallon etwa war im Mai 2008 bei einer dramatischen Pressekonferenz auf der Aussichtsplattform des Rockefeller Centers präsentiert worden, in dessen NBC-Studios "Late Night" aufgezeichnet wird. Und über die legendäre Rivalität zwischen dem seit 1995 unschlagbaren Quotensieger Leno und dem fröhlich grantelnden Letterman - in der sich die Rivalität zwischen West- und Ostküste widerspiegelt (Lenos Show kommt aus Burbank, Lettermans aus New York) - wurden sogar schon Bücher geschrieben und Filme gedreht.
Bei seiner Premiere mühte sich Fallon denn auch, die Talk-Traditionen zu wahren. Sonst eher als Strubbelpeter bekannt, trat er nassgekämmt vor den Vorhang, im schwarzen, schlanken Designanzug und mit schwarzer Seidenkrawatte. Artig spielte er den jugendfreien Klassenclown, mal abgesehen von einem dummen Gag über einen 16-Jährigen, der mit seiner 24-jährigen Lehrerin Sex hatte.
Doch in Wahrheit ist der Kampf um den Late-Night-Thron eine bierernste Sache, den amerikanische Medien wie eine Staatsaffäre behandeln; Fallons Aufstieg zum Moderator von "Late Night" ist da nur der allerjüngste Akt dieses Dramas.
Der Stilwechsel muss kommen
Als O'Brien "Late Night" 1992 übernahm, war er ein Nobody, der als Autor bei der NBC-Sketchshow "Saturday Night Live" Frondienst geleistet hatte. Lange kämpfte er gegen miese Quoten und ätzende Kritiken. Zum zehnten Jubiläum überreichte ihm der Wrestler/Schauspieler Laurence Tureaud alias Mr. T eine goldene Halskette mit einer großen "7". O'Brien wies darauf hin, dass es eine "10" sein müsse. "Weiß ich", sagte Mr. T. "Aber du warst nur sieben Jahre lang lustig."
Bald jedoch war O'Brien so wertvoll, dass NBC ihn unbedingt halten wollte. Als er 2004 andeutete, er wolle etwas anderes machen, hielt ihn der Sender mit dem Versprechen, dass er 2009 Jay Leno bei der "Tonight Show" beerben werde - andernfalls würde ihm NBC 45 Millionen Dollar Strafe zahlen.
Der bis dato unangefochtene NBC-König Jay Leno zeigte sich ob dieser de-facto-Pensionierung wenig erfreut. Alle anderen Sender umwarben ihn prompt mit Millionenofferten. NBC bot ihm schließlich eine neue, frühere Show an; im Hauptabendprogramm um 22 Uhr. Sie soll starten, wenn O'Brien im Juni die "Tonight Show" übernimmt. Am Freitag verabschiedete er sich allerdings erst mal von seiner alten Sendung - mit einem fulminanten Auftritt, der die höchsten Quoten seit 2005 einbrachte.
Jimmy Fallon tritt also ein schweres Erbe an, obwohl er immerhin bis 2004 zu den Stars von "Saturday Night Live" gehörte, er also bei "Late Night" als weitaus bekannterer Name antritt als damals sein Vorgänger O'Brien. Allerdings: Ab Sommer wird Fallon auf NBC nur die dritte Geige spielen - nach Leno und O'Brien, die zeitlich vor seiner Show liegen.
Vielleicht ist das aber auch ein Spielplatz, um sich auszuprobieren. Denn selbst das Publikum der etablierten Late-Shows wird immer jünger, ein Stilwechsel scheint unausweichlich. Bereits jetzt müssen die Network-Talker mit ihren flotteren Kabelrivalen um die besten Talk-Gäste ringen, etwa mit den Satire-Kultsendungen "Daily Show" und "Colbert Report" auf Comedy Central.
Wo es für Fallon und Kollegen langgehen könnte, hat sein direkter Konkurrent Craig Ferguson auf CBS vorgemacht. Der begann seine Show anfangs mit dem obligatorischen Witzemonolog, ist aber längst - und mit Erfolg - auf frei erzählte, teils absurde Geschichten aus seinem eigenen Leben umgestiegen. Am Montagabend etwa starrte er Paris Hilton in den Ausschnitt und gurrte in seinem schottischen Akzent: "Ich liebe Dekolletés."
Auch Fallon ließ bereits erkennen, dass er neue Wege beschreiten will. Er führt einen Blog über seine Sendung und funkte seine Gefühle unmittelbar nach dem ersten Auftritt über den Microblogging-Service Twitter in alle Welt: "Ich war ein bisschen nervös, aber alles in allem happy." Dann schickte er ein verwackeltes Foto übers Internet, das das NBC-Studio samt jubelndem Publikum aus seiner Sicht zeigte.
So etwas hätte Johnny Carson nie gewagt.