US-Wahlkämpfer Obama "Klar, ich habe inhaliert"

Einfach bei der Wahrheit bleiben: So schlicht kann Wahlkampf sein - der amerikanische Präsidentschaftsbewerber Barak Obama macht es mit Hilfe der Talkshow-Queen Oprah Winfrey vor. "FAS"-Redakteur Nils Minkmar ist begeistert über dieses helle Licht mitten in der politischen Dunkelheit.

Es fühlte sich schon ein wenig seltsam an, sich am Nachmittag des trüben und natürlich zu warmen zweiten Advent von Freunden und Familie zurückzuziehen, um sich am Computer zu einer Webcam durchzuklicken. Es hatte etwas Obsessives, das Starren auf diesen kleinen Ausschnitt um einer fröhlichen, plaudernd einlaufenden Menge in einem sonnenbeschienenen Stadion in den amerikanischen Südstaaten zuzusehen. Auf der Bühne schnüffeln Bombenspürhunde herum, die Band stimmt die Instrumente. Noch zu früh. Man kann sich kurz in die deutsche Gegenwart zurückschalten, bis es wieder ernst wird in South Carolina.

Die Hoffnung drängt, es ist praktizierter Advent. Irgendwann ist Oprah zu sehen. Sie trägt was Gelbes, Signalfarbe, man hätte sie aber ohnehin nicht übersehen. Sie ist die Königin des amerikanischen Fernsehens, aber dies ist kein Fernsehen, das Bild wackelt, der Webcam-Zuschauer ist eben nicht das eigentliche Publikum, nichts wurde für dieses Bild, diesen Blick in Szene gesetzt, man ist bestenfalls Zaungast. Das erhöht den Reiz.

Oprah. Sie kann alles: Macht sie Klatsch, dann ist es schierer, tief befriedigender Klatsch, an dem die größten Berühmtheiten bereitwillig mitwirken; kümmert sie sich um Schicksale, fließen die Tränen, vor allem ihre eigenen. Wenn sie ihre übrigens immer hervorragend ausgewählten Bücher vorstellt, wird sie zum Maßstab aller Büchersendungen, weltweit. Manchmal schenkt sie ihrem Studiopublikum Kühlschränke, einmal auch ein Auto. Und doch bleibt, bei all dieser Hingabe und Verausgabung, immer eine gewisse Distanz, ein Respekt für das Publikum, dem sie zumutet, sich anzustrengen, intellektuell, emotional, die guten Seiten in sich selber zu suchen und zu pflegen.

Oprah braucht keine Effekte

Oprah kann alles, daher bringt sie heute nur das Beste und Schwierigste: Reduktion. Sie möchte in ihrer kurzen Rede etwas zitieren, eine Frage, und muss irgendwie dahinführen. Jeder Redner der Welt hätte jetzt angesetzt "Wie der große Sowieso einst so treffend schrieb ..." Wenige Zuschauer hätten genickt, die allermeisten hätten erst mal abgewartet, wie das Zitat lautet, und sich insgeheim ihrer lückenhaften Belesenheit geschämt.

Oprah fängt ganz anders an, zugleich direkter und umständlicher, also höflicher: "Ihr wisst alle, dass ich Bücher liebe." Belesenheit ist ihr Ding, und nun teilt sie etwas aus ihrer Erfahrung mit uns. Das Zitat wird herübergeschoben wie ein Adventsteller: Hier ist etwas für dich. Es ist dann gar kein weises Wort, sondern eine Frage aus einer Filmszene, und auch die ist nicht mal so wichtig, sondern die damit verbundene Haltung. Oprah macht dann nach, wie Cicely Tyson in dem Film "The Autobiography of Miss Jane Pittman" sich zu Kindern hinunterbeugt und ihnen nur eine Frage stellt: Are you the one?

Sie hat, teilt sie den Menschen im Stadion und uns Internetzaungästen mit, diese Frage für sich beantwortet, und sie empfiehlt ihn uns, diesen Barack Obama. Mehr geht nicht. Sie braucht keine Ängste zu schüren oder Versprechen herunterzuspulen, kein Pathos und keine Effekte. Oprah selbst ist der Spezialeffekt. Nie zuvor hatte sie sich in die Arena der Politik gewagt, auch wenn viele, etwa Jodie Foster, schon längst nach einer Kandidatin Oprah verlangen. Sie spricht mit tiefer, ruhiger Stimme, zum Stadion und zu uns, im Netz – wie zu Besuchern an einem Küchentisch: "Denkt nach. So kann es nicht weitergehen."

"Keiner von uns ist Gott"

Nun gibt es Einwände gegen Obama, etwa den, er sei zu jung. Oprah referiert diese Einwände, sie schmettert in klassischer Rhetorenpose: "There are those who say his moment hasn’t come." Und kontert: Keiner von uns ist Gott. Wo wärt ihr alle, wenn ihr in jedem Augenblick darauf gewartet hättet, dass einer kommt und euch aufruft?

Sie rattert kein Zehn-Punkte-Programm herunter und verspricht nicht die Rettung der Welt aus dieser einen Entscheidung. Das beliebte Witzethema, der amerikanische Wahlkampf, sieht plötzlich nicht mehr so aus, wie wir ihn kennen, jeder FDP-Parteitag hat mehr Show und Deko und Pomp. Für Oprah, Michelle und Barack Obama reichen Barhocker und Handmikrofone.

Barack Obamas Wahlkampf um die demokratische Präsidentschaftskandidatur kommt schon jetzt einer Revolution der politischen Kommunikation gleich. Doch es geht nicht um technische Gimmicks oder oberschlaue Einsichten von irgendwelchen Medienberatern. Der Umsturz besteht im Verzicht darauf; es ist eine durch und durch konservative Revolution, eine Rückkehr zu den ärgsten Ladenhütern: kurze Sätze, klare Ansagen.

Das blaue und das rote Amerika

Erst beim Betrachten dieser sonnigen, simplen Versammlung in South Carolina wird die ganze Müdigkeit spürbar, die der jahrelange politische Blödsprech verursacht hat, hier, beim Betrachten ganz ohne Sondersendung, ohne Fanfaren und Dutzende von Kommentatoren. "Ohne Mehrheit im Kongress hätte es keinen Irak-Krieg gegeben", sagt Barack Obama, der von Anfang an dagegen war, und weil er dagegen war, hat er auch nicht die Hand gehoben, als es darum ging, Gelder dafür bereitzustellen. Hillary hat die Gelder bewilligt, nun versucht sie, uns die Sache zu erklären. Solche Erklärungen ermüden nicht weniger als die Lügen des Weißen Hauses.

Will man dahin zurück? In die phrasierte, getestete, demoskopisch unbedenkliche Zitatkultur? Zu den Zeiten, als Bill Clinton zum morgendlichen Treffen mit seinen Beratern sicherheitshalber einen eigenen Geheimdemoskopen, den unsäglichen Dick Morris, mitbrachte, der, mit Telefon und einem Minicomputer im Badezimmer versteckt, darauf wartete, Sätze aus Redeentwürfen dem Test einiger Fokusgruppen zu unterbreiten?

Bei Obama heißt es: "Ich kandidiere nicht für das blaue Amerika, nicht für das rote Amerika, sondern für die Vereinigten Staaten von Amerika." In Iowa kommt er laut Umfragen selbst bei republikanischen Wählern auf den dritten Platz.

"Macht es anders!"

Obama liebt zwar einfache Sätze, in der Sache aber wird bei ihm die Komplexität schonungslos erhöht: Bush und Cheney werden von ihm kurz erwähnt, um sie sogleich wieder zu verabschieden; ihr Mandat endet ohne Chance auf Wiederwahl. Er stimmt mit Oprah überein, zu allererst mal nachzufragen: "Was jetzt? Ich bitte euch, mal nachzudenken." Er selbst bietet an, den Irak-Krieg zu beenden, die Abhängigkeit des Landes vom Öl zu verringern, das Ansehen im Ausland zu verbessern und endlich eine allgemeine Krankenversicherung auf die Beine zu stellen. "Obama ist anders", hat George Clooney festgestellt, "das merkt man, wenn er einen Raum betritt: Alle anwesenden Politiker hören dann auf. Sie hören einfach auf. Sonst hören die doch nie auf."

Obama und die Drogen: Einfach bei der Wahrheit bleiben

Oprah und Obama verstehen etwas vom Geschichtenerzählen, sie sind da sehr anspruchsvoll. Das Publikum ist aber nichts Gutes gewöhnt und quengelt manchmal, zunehmend leiser, nach den üblichen Gestalten: und der entsprechenden, formelhaften Rhetorik: "Heute tritt eine neue Generation an, um dem Ruf der Pflicht Folge zu leisten." So hörte sich der Kleister an, den John Kerry von seinem Berater und Redenschreiber David Frum über die wehrlosen Zuhörer kippen ließ. Frum kann auf ein halbes Dutzend von ihm beratener und sämtlich gescheiterter Präsidentschaftskandidaten zurückblicken. Die konservative Peggy Noonan, die selbst als Reagan-Redenschreiberin angefangen hatte, schrieb damals im "Wall Street Journal" über die Reden der Demokraten: "Macht es anders. Macht es neu!"

Obama hat aufgrund seiner Lebensgeschichte gar keine andere Wahl. Man erfährt es aus seinem wichtigsten Buch, "Ein amerikanischer Traum" aus dem Jahr 1996, das im Februar bei Hanser auch auf Deutsch erscheint. Es ist eine Auseinandersetzung mit seiner komplizierten Familiengeschichte als Kind von Studenten an der Universität Hawaii, der Vater ein begabter kenianischer Jurastudent, die Mutter eine weiße Ethnologiestudentin.

Glanz und Elend des Vaters

Es ist ein zögerndes, durch und durch tentatives Werk, das die Geschichte seiner Familie einwebt in eine umfassendere Reflexion über Rasse, Gesellschaft und Bildung in Amerika. Es ist auch ein ziemlich hartes Selbstporträt: Der junge Barry ist voller Ambition, aber auch eitel; und zwischendrin lässt er sich immer wieder hängen. Es ist kein glatter Text und doch ein moralischer. Wie groß muss die Versuchung gewesen sein, den Vater, der die Familie verließ, als Obama zwei Jahre alt war, zu glorifizieren als einen hochgebildeten Afrikaner, der später in wichtigen Regierungsmissionen unterwegs war und nach einem Autounfall starb. Doch im Laufe des Buches vollziehen wir den ganzen chromatischen Bogen vom hellen zum düsteren Bild nach. Der Vater, so erfährt es Obama später von seiner Halbschwester, wurde ein Trinker, lebte später mit den Kindern, die er mit anderen Frauen gezeugt hatte, in bitterer, selbstverursachter Armut; alle hatten es sehr schwer mit ihm.

Die schönsten Passagen des Buches berühren Obamas Zeit als Community Organizer in Chicago, eine Art von Notfallmediziner für halbtote Stadtviertel. Er taumelt von Kirchengemeinde zu Selbsthilfegruppe, ohne groß zu wissen, was er da eigentlich bewerkstelligen kann und soll. Er beobachtet, es finden sich präzise und ziemlich witzige Porträts von den Bewohnern, die doch alle auf ein Gesamtfazit hinführen, dass nämlich in den deindustrialisierten Vierteln auch die soziale Textur aufgerieben wurde. Jeder hatte etwas zu erzählen, aber es gab kein Forum mehr, diese Erfahrungen zu würdigen. Obama schafft es gewissermaßen mit literarischem Interesse, einen Weg zu entwickeln zwischen dem üblichen Ruhigstellen mit mehr Geld und einem simplen Aufruf zum Ärmelhochkrempeln.

Einfach bei der Wahrheit bleiben

In den letzten Tagen kamen panische Reaktionen aus dem Clinton-Lager, dort wies man auf Obamas Drogenvergangenheit hin, um die Wähler zu verunsichern. Doch Drogen sind das eine, das Publikum kennt sie und kann den Einzelfall beurteilen. Das andere ist, wie darüber geredet wird – und hier kehrt sich der Vorstoß um: Obama hat in seinem autobiographischen Buch nicht etwa "gestanden", Drogen genommen oder damit "experimentiert" zu haben, er schreibt einfach, dass und warum er sie genommen hat, und macht klar, dass es eine schlechte Zeit war. Jeder erinnert sich an Bill Clintons Satz, er habe Joints nicht inhaliert. Obama daraufhin: "Klar hab’ ich inhaliert, das war ja gerade der Punkt."

Einfach bei der Wahrheit bleiben, so ganz kantianisch, daran ist kein politisch Interessierter mehr gewöhnt.

Eine Frage bleibt noch offen: Kann der Einzelgänger, der Einzeldenker Obama, der so einen guten Blick für das Singuläre einer Lebensgeschichte, das Spezifische und Irreduktible des Augenblicks hat, kann er diese Einzelgeschichten zusammenweben zu einer nationalen Erzählung, kann er den zugekleisterten Ohren etwas Substantielles bieten?

Diese Antwort ist seine Rede auf der Gedenkveranstaltung der Bürgerrechtsbewegung in Selma in Alabama im März dieses Jahres. Man gebe seinen Namen und diesen Ortsnamen, also all diese As in die führende Suchmaschine ein, schon ist man dabei, am Anfang.

Dieser Beitrag wurde mit freundlicher Genehmigung aus der "Frankfurter Allgemeinen Sonntagszeitung" übernommen.

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