
Golden Fifties in den USA: Die Legende von Elgin Park
Fotos aus einer anderen Zeit Die Kleinstadt, die es niemals gab
Ein glänzender 57er-Mercury vor dem Carwash, ein brauner 56er-DeSoto im Schnee, ein edles Buick-Cabrio mit Weißwandreifen: Michael Paul Smiths Fotos zeugen von den guten alten Zeiten der US-Autoindustrie, als in den fünfziger Jahren die Wirtschaft florierte und die Straßenkreuzer immer größer, luxuriöser und glamouröser wurden. Seine amerikanischen Kleinstadtszenen geben dieses Lebensgefühl des "Alles ist möglich" wieder.
Doch seinen menschenleeren Aufnahmen haftet etwas Unwirkliches an. Denn die Fotos hat Smith nicht aus verstaubten Archiven geklaubt, sondern in den vergangenen Jahren selbst geschossen. Dabei kam ihm seine große Sammlung an Oldtimer-Modellen zugute. Und sein Basteltalent: Statt echte Oldtimer zu verwenden, die rar sind und teuer, fotografiert er einfach deren Miniaturversionen.
Seine selbstgebauten Sets setzt der US-Amerikaner dabei so detailreich vor echten Landschaften in Szene, dass viele Betrachter dies erst erkennen, wenn sie "Making-of"-Fotos sehen. Da taucht dann der riesig erscheinende bärtige Kopf des 64-jährigen Bastlers mitten im Bild auf und man erkennt, dass die Hausfassaden, Geschäfte und die Autos Spielzeuggröße haben.
Huch, ein Ufo!
Für seine Fotos sucht Smith, der bereits als Maler und Tapezierer, Schauwerbegestalter, Illustrator und Art Director in der Werbung sein Geld verdiente, in der Umgebung seines jetzigen Heimatorts Winchester bei Boston nach geeigneten Hintergründen, am besten mit langen Fluchten. Mal gefällt ihm ein leerer Parkplatz, mal eine Allee.
Smith will dem Städtchen Sewickley, in dem er die ersten 17 Jahre seines Lebens verbrachte, ein Denkmal setzen. Die Aufnahmen sollen den Vorort der Stahlmetropole Pittsburgh aber nicht direkt abbilden. "Mir geht es um die Stimmung, das Lebensgefühl, das damals herrschte", so Smith zur "New York Times". Und in einer Phantasie-Kleinstadt ist natürlich alles möglich. So kommt es, dass auf einem der Fotos ein Ufo-Absturz zu sehen ist - die fünfziger Jahre waren ja schließlich eine Zeit der Alien-Hysterie.
Die Aufnahmen vermischen so Erinnerung mit Phantasie. Deshalb hat Smith der von ihm erschaffenen Kleinstadt auch einen fiktiven Namen gegeben: Elgin Park. Bewusst bleiben auch Menschen außen vor: "Ich möchte, dass sich die Betrachter selbst in die Szene hineinversetzen. Ich stelle eine Stimmung her, die dem Betrachter vertraut vorkommt."
Eine Stunde pro Bild
Hat er einen Ort ausgewählt, rückt Smith mit Tapeziertisch an, schätzt den richtigen Standort ab und stellt sein Set auf. Hausfassaden und Straßenecken baut er aus beschichteter Pappe, Kunststoff oder Lindenholz. Seine Liebe zum Detail ist unschwer zu erkennen. Der Verwitterungsgrad der Fassaden, die zeittypischen Werbetafeln, Schatten und Spiegelungen - alles ist genauestens bedacht.
Peinlich genau achtet er auch auf die richtige Auswahl der Fahrzeuge für eine Szene - schließlich ist er Experte. Seit mehr als 30 Jahren sammelt er die maßstabsgetreuen Nachbildungen von amerikanischen Oldtimern - mehr als 300 der über 100 Dollar teuren Druckgussmodelle nennt er sein Eigen. Ihm sei wichtig, dass die Oldtimer auf der Aufnahme einen "Dialog miteinander führen", so Smith zur "NYT".
Dann rückt er so lange herum, bis alles passt und postiert seine Kamera so, dass sich sein Miniatur-Set nahtlos in den Hintergrund einfügt. "Ich schiebe den Tisch umher, schaue wie die Schatten fallen", so Smith. Ungefähr eine Stunde brauche er für eine Einstellung, zwei oder drei brauchbare Bilder seien dann die Ausbeute.
Wert legt Smith auf die Feststellung, dass keines seiner Bilder digital nachbearbeitet ist. Photoshop nutze er lediglich dazu, fertige Bilder mit Filtern zu bearbeiten, damit sie älter aussehen. Die Bildgestaltung erfolge vollständig mit einer einfachen Digitalkamera.
Als Smith 2008 die ersten Fotos auf der Plattform Flickr postete, nahm noch kaum jemand Notiz davon. Doch zwei Jahre später entdeckte jemand die Genialität der Aufnahmen, und Smiths Fotos wurden viral. Seitdem hat er eine große Fangemeinde, die fast jede neu eingestellte Aufnahme bejubelt.
Anfangs sei er überrascht vom Erfolg gewesen, die Faszination an seiner Arbeit kann er aber natürlich verstehen - schließlich treibt sie auch ihn an. "Unsere Vergangenheit hat für uns eine große Anziehungskraft. Wir versuchen auf viele Arten, sie festzuhalten, um sie uns selbst erklären zu können", sagt Smith. Ein eigenes Auto besitzt der Oldtimer-Enthusiast übrigens nicht. Für den Transport seiner Modelle leiht er sich eines von Freunden.