Verstehen Sie Haas? Eine Offenbarung namens Knut
Knut wird eins. Und natürlich ist er auch die Nummer eins. In unserem Gefühlshaushalt hat er die Kuschelecke in Beschlag genommen, dort wird er herumtollen bis ans Ende aller Tage. Mag er real auch zu einer gefährlichen Bestie heranwachsen, der eigentliche, wahre Knut - seine Idee sozusagen - bleibt das kleine Wollknäuel, das wir beschützen, herzen, lieben wollen.
Knut überschreitet die historischen, politischen, sozialen Gegebenheiten. Man kann ihn nicht einfach zur Symbolfigur für kritische Einlassungen, egal welcher Art, erklären. Er wurde weder von der CIA entführt noch von den Taliban enthauptet, er wurde nicht wiedergewählt, trat nicht zurück und lobte nie die kulturellen Errungenschaften der Hitler-Zeit.
Knut verkörpert eine besondere Art der Ereignislosigkeit. Er erlebt letztlich nichts und stellt damit das Leben dar, wie es sein könnte: ein zweckfreies Spiel, umsorgt von einem Pfleger (jener Figur, die vor allem hierzulande für breite Bevölkerungsschichten immer relevanter wird).
Dieser ideale Knut, medial vervielfältigt und zugänglich gemacht für alle, ist unser Lagerfeuer, er strahlt Ruhe und Zufriedenheit aus. Hmm, das Hosenbein ist aber lecker. Nag, nag. Und jetzt ein Fläschchen Milch. Schlabber, saug. Und dann ein Schläfchen. Dös. War Eskapismus für uns, die gestressten flexiblen Menschen der Nachmoderne, je friedlicher als mit diesem Pelzträger in Handtaschenformat?
Der reale Knut, er wird alt werden und hässlich, ein graues Monstrum mit stechenden Knopfaugen, das - wie im Fall von Knuts Vater Lars - Zoobesuchern in den Kopf beißt. Unsere Liebe zu Knut, müsste sie sich in der Wirklichkeit bewähren, sie wäre eine tödliche, kranke.
Deshalb werden wir uns an den kleinen Knut halten, dessen Wirkung sich immer weiter ins Spirituelle und Religiöse ausweiten wird. Recht besehen: War nicht ein evangelischer Zug von Anfang an angelegt in seiner Geschichte? Schon seine Ankunft hatte eine messianische Note: Filmfest-Chef Dieter Kosslick ließ "Welcome Knut" auf die Festivalstelen der Berlinale sprühen.
Er wurde nicht vom leiblichen Vater, sondern von einem irdischen Ersatz großgezogen - Thomas Dörflein, bärtig, gütig, eine Josefsfigur aus dem Herzen Berlins. Zu seiner Krippe pilgerten die Mächtigen und Reichen, in Gestalt von Sigmar Gabriel etwa oder verkörpert von Paul Okalik, dem Premierminister des kanadischen Nordterritoriums Nunavut. Auch der Präsident von Madagaskar machte ihm die Aufwartung.
Seine Jugend war gefährdet von Hass, Neid und Mordkomplott: Ein "irrer Attentäter" nahm die Herodes-Rolle ein und versprach die Ausrottung dieses Erstgeborenen. Angezweifelt wurde seine Bedeutung, ein regelrechter Prophetenstreit kam auf uns, als der Chicagoer Zoo vermeldete: Wir haben auch einen Eisbären, und der ist süßer als Knut.
Auf seinem Weg streifte er mit milder Pfote die Schicksale der Schwachen und Ausgegrenzten. Unvergessen das Bild der kleinen Tabea, 9, die nach einer schweren Erkrankung mit Knut kuschelte und zum ersten Mal seit Monaten wieder lachte.
Weltweit strahlte seine Botschaft aus, die sich zuletzt ins Ökologisch-Kritische hin zu verdichten schien. Lasst die Finger vom CO2!, schien sein Auftreten zu besagen. Manchmal aber auch - o, enigmatisches Wesen - :Wo ist der Hering?
Besungen wurde sein Leben (sieben Knut-Lieder gibt es; selbst eine Popleiche wie Frank Zander konnte durch seine Kraft wieder auferstehen), seine Erscheinung in Devotionalien gebannt (Plüschbären, Marzipantorten, Bücher, Puzzle, Postkarten). Er ist da für die Gläubigen, die aus aller Welt zu ihm pilgern, noch mit verletzter Hinterpfote zeigte er sich im März dieses Jahres seinen Jüngern.
Wie jeder große Neuerer verband er das Kommende mit dem Alten. War seine Mutter noch eine vom Kommunismus gegängelte Zirkusartistin aus der DDR, ist er der größte Star der Nachwendezeit auf vier Beinen. Ihm zu huldigen heißt auch, den Triumph über ein Unrechtsregime zu feiern.
Und es bedeutet, das Glück spiritueller Erbauung in freier, ja spielerischer Weise zu genießen. Erinnern wir uns: Eine britische Lehrerin war erst vor kurzem im Sudan zu 15 Tagen Haft verurteilt worden. Sie hatte es zugelassen, dass Schüler einen im Unterricht verwendeten Teddybären nach dem Propheten Mohammed benannten.
Die strikte Trennung von Bär und Religion gilt nicht für uns. Knut sei Dank.