Verstehen Sie Haas? Noch nen Spruch, Kieferbruch!

Wenn man früher Jugendliche an der Zerstörung des Abendlandes hinderte, hieß das Zivilcourage. Heute gilt es als Selbstmordversuch. Eine Bestandsaufnahme zwischen Reinhauen und Abhauen.
Von Daniel Haas

Gestern kam die Meldung: Frankfurt vergibt auch dieses Jahr den "Ludwig-Beck-Preis" für Zivilcourage. Die mit 2500 Euro dotierte Auszeichnung bekommen Bürger, die nicht wegsehen, sondern eingreifen, wenn andere in Gefahr sind, "bedroht, geschlagen oder gedemütigt werden".

Ob die todesmutigen Preisträger noch am Leben sind?, habe ich mich natürlich gefragt. Ist das eventuell eine Ehrung post mortem? Das gibt es ja. Oder wie wohl die Verleihung aussieht: Steht da nur eine leere Bühne in der Stadthalle, weil die Preisträger noch keine feste Nahrung zu sich nehmen, geschweige denn sprechen können?

Und die Kosten für so einen Abend, die müssen doch beträchtlich sein: Neben dem Preisgeld fallen Honorare für Pflegepersonal und den behindertengerechten Umbau des Veranstaltungsortes an.

Wenn dann ein Preisträger, sagen wir, jemand, der in Rödelheim eine Teenagerclique an der Sprengung eines Zeitungskiosks gehindert hat, auf die Bühne humpelt, wird vermutlich ein ungemütliches Raunen durch die Reihen der Polizeihonoratioren gehen. "Wir warnen vor falschem Heldentum", sagte unlängst der Berliner Polizeisprecher Bernhard Schodrowksi. "Niemand ist verpflichtet, sich selbst in Gefahr zu bringen, aber man kann mit einfachen Mitteln eine Menge tun – zum Beispiel mit einem Handy-Anruf bei der Polizei."

Schlechte Wahl

Leider ist in vielen U-Bahn-Stationen ein ziemlich mieser Empfang. Und wenn man doch die Polizei an die Strippe kriegt, muss man aufgrund der Geräuschkulisse in U-Bahn-Schächten regelrecht schreien. "Ja? Hallo? Hier wird gerade jemand von Jugendlichen angegriffen. Wieviele? Acht. Vier von ihnen kommen übrigens gerade auf mich zu!"

Man könnte auch telefonierend wegrennen und, um keinen Verdacht zu erregen, etwas Beschwichtigendes rufen wie: "Huch, ich hab ja glatt vergessen, mein Mäuselchen wegen des Arzttermins anzurufen!" Aber das kann schiefgehen, schließlich haben diese Jugendlichen eine messerscharfe Intuition. Vielleicht haben sie aber auch einfach nur Messer.

Früher war es leichter, Zivilcourage zu zeigen. Mit den Kindern der so genannten Gastarbeitergeneration konnte man ganz anders umgehen. Damals konnte ein Rentner noch im Bus sagen, "Füße runter vom Sitz, Achmed, wir sind hier nicht im Kameltreiber-Camp!" Dann hat der Jugendliche womöglich in akzentfreiem Deutsch gesagt: "Sie sind ja Rassist!", und die Sache war geklärt. Und auch die Glatzköpfe in Springerstiefeln waren einsichtiger. Ein Satz wie "Locke, so nicht!" hatte nicht zwangsweise einen Besuch der Intensivstation zur Folge.

Heute bange ich um das Leben jedes Opas, der in der Tram die Augen rollt, wenn eine Clique 15-Jähriger die Belastbarkeit der Scheiben mit Schlagringen testet. Das Entrüstungspotential älterer Menschen wird ja immer mehr zum Sicherheitsrisiko im öffentlichen Raum. Ich greife dann sofort ein und verwickle den sich in Rage denkenden Mittsiebziger in ein Gespräch über Stauffenberg, die Wehrmacht oder die Segnungen von Essen auf Rädern.

Meinem eigenen Großvater habe ich eingebläut, sich nicht von Fremden ansprechen zu lassen, schon gar nicht, wenn sie unter 20 sind. Eingebläut ist in diesem Zusammenhang eine schreckliche Vokabel. Ich habe zum Glück noch genügend Courage, sie zu benutzen.

Gitterbettchen sind ein Anfang

Die Politik muss jetzt eingreifen. Roland Koch hat einen ersten Versuch gemacht, die Lage zu entschärfen. "Wir müssen zur Kenntnis nehmen, dass es eine sehr aggressive Kriminalität einer sehr kleinen Gruppe von Menschen unter 14 Jahren gibt", sagte der hessische Ministerpräsident vor kurzem. "Das muss uns eine Mahnung sein, schnell zu handeln. Wir haben Instrumente, aber wir brauchen einige zusätzliche."

Was Koch meinte: Die Menschen unter 14 sind noch klein, man kann sie besser einschüchtern und schneller einfangen. Sind diese Kids erstmal von der Straße, können wir aufatmen. Allerdings gibt es für die Drei- bis Neunjährigen noch nicht das passende Gefängnis-Inventar (Gitterbettchen), auch Verhör und Beugehaft müssen neu gestaltet werden. Die bisherigen "Instrumente" werden um ein Set kindgerechter Tools erweitert ("Sponge Bob"-Entzug), auch Folter muss keine moralische Grenze sein. Das Anschauen von 20 Folgen "Super Nanny" (TV Boarding) hat noch jeden Zehnjährigen zur Räson gebracht.

Es wird dauern, bis diese Verfahren bundesweit eingesetzt werden können. Bis dahin müssen wir stark sein und Mut beweisen. Es lohnt sich. 2500 Euro sind zwar nicht die Welt, ein neues Handy kriegt man dafür aber allemal.

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