Videokunst Festival des Flimmern und Rauschens
Ein junger Typ mit strahlend blauen Augen, dezenter Solariumbräune und Dreitagebart blickt herausfordernd in die Kamera. Er trägt eine Schirmmütze mit Camouflagemuster, darüber die fellbesetzte Kapuze eines Anoraks. Der Hamburger Videokünstler Stefan Panhans, Jahrgang 1967, führt uns in seiner fünfeinhalb Minuten langen Arbeit "Sieben bis zehn Millionen" (2005) einen offenbar arg überforderten Konsumenten vor, den das unübersichtliche Sortiment eines Elektronikkaufhauses fast in den Wahnsinn treibt. Er hält einen stakkatohaften Monolog über Billignachbauten, Mogelpackungen und unwillige Verkäufer, die "einen doch nur austricksen wollen".
Der Protagonist dieses ebenso theatralischen wie konsumkritischen Kurzfilms entwickelt verzweifelte Gegenstrategien: Konsum ist für ihn Arbeit. Fünf bis zehn Mal - das hat er sich fest vorgenommen - will er in den Shop gehen, um sich ganz genau zu informieren und sich bloß nicht das falsche Produkt andrehen zu lassen. Seine Waffen gegen den High-Tech-Konsumterror sind Coolness, Konzentration, "Gegenchecken" und sein Bauchgefühl. Doch letztlich bleibt auch er nur ein Spielball in der Hand der Marketingstrategen und Produktentwickler.
Zu sehen ist dieses Video zurzeit in einem Hotelzimmer in Barcelona. Bereits zum fünften Mal findet dort die "Loop" statt, Europas wichtigste Kunstmesse für Videokunst. 44 Galeristen aus aller Welt zeigen dort in den teils geräumigen, teils etwas verbauten Zimmern eines zentral gelegenen Vier-Sterne-Hotels jeweils das Werk eines Videokünstlers. Während draußen die Mittelmeersonne auf den Asphalt knallt, herrscht drinnen gerade während der Eröffnung drangvolle Enge. Besucher tasten sich durchs Dunkel und schieben sich gegenseitig durch überfüllte Korridore, um dann doch irgendwo noch einen Sessel oder ein Plätzchen auf einem Hotelbett zu ergattern. Meistens wird dann konzentriert und aufmerksam geguckt, egal ob die Videos drei oder 30 Minuten lang dauern.
Marketender des digitalen Zeitalters
Loop-Galeristen sind so etwas wie die Marketender des digitalen Zeitalters. Ihre Ware bieten sie tagsüber dort feil, wo sie nachts schlafen. Über ihren Betten, vor den zugezogenen Vorhängen oder auch über dem Hotelschreibtisch haben sie weiße Projektionsflächen aufgehängt. Das Gebläse der Beamer und DVD-Projektoren erfüllt die Räume mit so viel heißer Luft, dass die Klimaanlage nur schwerlich dagegen ankommt. Und weil der Platz nun einmal begrenzt ist, haben viele der Teilnehmer den hoteleigenen Flatscreen-Fernseher kurzerhand ins elegante, schwarze Marmorbad geschleppt. Auch hier vor dem Waschbecken oder gar in der Dusche sind für die Besucher Stühle aufgestellt. Manchmal riecht es auch noch ein wenig nach dem Rasierwasser des Galeristen.
Jedes Jahr im Mai wird Barcelona zur Welthauptstadt der Videokunst und zum Mekka ihrer Künstler, Sammler, Kuratoren und Kritiker. Das Loop-Konzept umfasst drei Säulen: Parallel zur dreitägigen Messe wird auch ein hochkarätig besetztes Begleitprogramm angeboten. Experten vom New Yorker MoMA, dem Pariser Centre Pompidou, der Tate Modern in London oder dem Karlsruher ZKM diskutieren etwa über einheitliche Standards für das Ausstellen von Videokunst.
Ein wenig versuchen sie auch, sich gegenseitig zu beruhigen. Denn die größte Sorge der Museumskuratoren gilt der begrenzten Haltbarkeit elektronischer Datenträger. Wird es in 30 Jahren überhaupt noch DVDs geben? Wie lässt sich der drohende Datenverlust umgehen? Und wie verändern sich die Wiedergabemedien in einer sich stetig beschleunigenden High-Tech-Welt mit immer neuen, einander ablösenden Produkten? Stefan Panhans' Videofilm ist also ganz symptomatisch auch für die Profis der Branche.
Daneben findet in Barcelona auch das zehntägige Loop-Festival statt. Über 800 Videokünstler aus aller Welt zeigen ihre Arbeiten jenseits der ausgetretenen Kunstpfade: in Bars und Apotheken ebenso wie im japanischen Nudelrestaurant, im Fitnessstudio oder im Goethe-Institut. Emilio Álvarez ist so etwas wie der Motor der Großveranstaltung. Der dynamische Messechef mit den langsam ergrauenden schwarzen Locken ist selbst Galerist in Barcelona und einer der drei Erfinder von Loop. Er gibt sich ausgesprochen optimistisch, was die Zukunftsaussichten des Mediums Video betrifft: "Seit 40 Jahren existiert diese Kunstform jetzt schon. Aber erst mit den benutzerfreundlichen technischen Möglichkeiten von heute ist es ihr gelungen, wirklich zu wachsen und von einem breiteren Publikum wahrgenommen zu werden", sagt er und fügt siegesgewiss hinzu: "Wir in Barcelona wollen weltweit zum wichtigsten Treffpunkt für Videokunstinteressierte werden."
Selbsterfahrung bis zur Schmerzgrenze
Wer im abgedunkelten Raum der Hamburger Galerie Art Agents angekommen ist, taucht ein in den philosophisch-ätherischen Kosmos von Eske Schlüters, 37. In experimentellen Bild- und Textfragmenten reihen sich lakonische Gedanken über den Tod und das Verschwinden zu einer Nouvelle-Vague-inspirierten Videoarbeit voller poetischer Andeutungen. Dort ebenfalls im Angebot: ein kurzer Film der Estin Ene Liis Semper, 38: Modelling und Posing mit blutigem Überraschungseffekt.
Handfest politisch und sehr konkret wird es dann in dem kurzen Film "The Simpson Verdict" des in Köln geborenen Japaners Kota Ezawa, 38, bei der Galerie Gandy aus Bratislava. Hier wird die Urteilsverkündung im O.J. Simpson-Prozess in computeranimierte Bilder umgesetzt, eine eindringliche Charakterstudie mit minimalen Mitteln. MoMA und Guggenheim hätten die 26.000 Euro teure Arbeit bereits angekauft, erzählt die Galeristin stolz.
Loop bietet ein breites Spektrum an Video-Erzählkunst und atmosphärisch dichten Bilderwelten: romantische Nebelwelten à la C. D. Friedrich mit atmosphärischem Sound im Stil der naturverbundenen, isländischen Post-Rock-Band Sigur-Rós von der Schweizerin Andrea Loux, 38, beim Berner Galeristen Bernhard Bischoff. Die Amerikanerin Janet Biggs, 46, filmte die nur 13 Jahre alte Weltmeisterin im Synchronschwimmen und zeigt so den Verlust der Kindheit zugunsten athletischer Disziplin. (Galerie Claire Oliver, New York). Die Kölner Galerie Figge von Rosen zeigt den 30-minütigen Videofilm "Oedipus Marshal" des Venezuelaners Javier Téllez, 38, eine auch für Cineasten sehenswerte Mixtur aus Western, Sophokles-Tragödie und No-Theater - die Darsteller sind psychisch Kranke.
Selbsterfahrung bis zur Schmerzgrenze zeigt der 29-jährige Finne Hannu Karjalainen, indem er schwarze und weiße Farbe in elegischer Langsamkeit über sein Gesicht laufen lässt (Galerie Taik, Helsinki), und die Performance-Künstlerin Patty Chang, 35, aus San Francisco lässt sich in einem unendlichen Leidens-Loop von Farbtropfen bekleckern, die eine Windmaschine auf ihre am Anfang noch weiße Bluse spritzt (Galerie Arratia Beer, Berlin).
Konservierungsprobleme, technische Inkompatibilitäten und relativ hohe Preise für Arbeiten, deren reiner Materialwert den einer handelsüblichen DVD nicht übersteigt - warum sollte man dennoch Videokunst sammeln? Der in London lebende französische Sammler und externe Berater der Messe Loop, Jean-Conrad Lemaître, fasst es so zusammen: "Video, das ist Leben. Es ist ein allumfassendes Medium: Bilder, Bewegung, Sound und Unmittelbarkeit - das alles kommt zusammen. Videokunst lässt uns ganz direkt an den glücklichen und traurigen Momenten anderer Menschen teilnehmen, an ihren Konflikten und manchmal auch an ihrer Hoffnungslosigkeit. Sie vermittelt Emotionen und - das beste von allem - Videokunstwerke lassen sich ganz bequem verstauen und transportieren - unsere ganze Sammlung passt in einen einzigen Koffer."