Medien in Ungarn Orbáns Presseeinheit

Beobachter sprechen von einem Mafia-Szenario: In Ungarn ist ein neuer regierungsnaher Mediengigant entstanden - durch Schenkungen von Orbán-nahen Geschäftsleuten.
Viktor Orbán mit Journalisten

Viktor Orbán mit Journalisten

Foto: Laszlo Balogh/ Getty Images

Ungarns regierungsnahe Medien wirken großteils wie Klone. Wer sich beispielsweise dieser Tage durch die Online-Portale der vierzehn größten privaten Kreiszeitungen klickt, um sich die Berichterstattung über die aktuelle Protestwelle gegen die ungarische Regierung anzusehen, findet neben einem identischen Webseitendesign auch identische - und natürlich durchweg negative - Nachrichten über die Demonstranten, veröffentlicht jeweils zu identischen Zeitpunkten. Eine wohl unfreiwillig zynische Antwort auf die Forderung der Protestierenden, die Pressefreiheit im Land wiederherzustellen.

Gleiches Design und gleicher Inhalt reichen der Regierung von Viktor Orbán jedoch offenbar nicht. Deshalb wurden kürzlich fast alle privaten regierungsnahen Medien in ein einziges Unternehmen überführt: Ende November "spendeten" ungarische Unternehmer, die dem Premier Orbán nahestehen, nahezu alle ihre Presseunternehmen einer von Regierungsvertretern geleiteten Körperschaft namens "Mitteleuropäische Presse- und Medien-Stiftung" - eine Schenkung ohne jegliche formale Gegenleistung. Insgesamt handelt es sich um 476 Titel aus Rundfunk, Print und Online, fast das gesamte Spektrum des privaten regierungsnahen Medienmarkts in Ungarn.

"Das geschieht eher in Mafiafilmen als im Geschäftsleben"

Zwei führende ungarische Experten für Medienanalyse, Gábor Polyák und Ágnes Urbán von der Nicht-Regierungsorganisation "Mérték Médiaelemzés Mühely", kommentieren die Fusion so: "Dass verschiedene Unternehmer ihre millionenschweren Firmen alle gleichzeitig einer Stiftung übergeben, existiert nirgendwo auf der Welt. Das geschieht eher in Mafiafilmen als im Geschäftsleben."

Eine derartige Konzentration von Medien muss nach ungarischer Gesetzeslage von der Wettbewerbsbehörde (GVH) geprüft werden. Doch Orbán unterzeichnete Anfang Dezember ein Dekret, laut dem die Stiftung von "nationaler strategischer Bedeutung" ist. Er verhinderte so eine kartellrechtliche Überprüfung. Mehr als pikant: In anderen Fällen war die Wettbewerbsbehörde ein wichtiges Instrument der Orbán-Regierung, wenn es darum ging, unabhängige Medien zu zerschlagen.

Die politische Ausrichtung der neuen Medienstiftung ist kein Geheimnis. Geleitet wird sie von Gábor Liszkay, ein äußerst loyal zu Orbán stehender Medienmanager, der zuvor viele Jahre Geschäftsführer verschiedener Medien war, die Orbáns Partei Fidesz nahestehen. Zuletzt war Liszkay formal Besitzer der Tageszeitung "Magyar Idök" - das Blatt ist das Sprachrohr der Orbán-Regierung schlechthin. Zudem sind mehrere Fidesz-Politiker Mitglieder im Kuratorium der Medienstiftung, unter anderem der Fidesz-Abgeordnete István Bajkai, der die Orbán-Familie lange Zeit anwaltlich vertrat.

Es geht auch um mehr Effizienz

Da die privaten regierungsnahen Medien längst bedingungslos loyal zu Orbán stehen, hätte es eigentlich keiner Zusammenführung in einem einzigen Unternehmen bedurft. Doch Ungarns Premier hat mit der neuen Medienstiftung eine Lehre aus dem Bruch mit seinem Jugendfreund Lajos Simicska gezogen: Simicska war zwei Jahrzehnte lang graue Eminenz der Orbán-Partei und hatte für sie ein Medienimperium aufgebaut - mit ihm als Eigentümer. Anfang 2015 hatten Orbán und Simicska sich öffentlich zerstritten. Daraufhin schwenkten Simicskas Medien über Nacht auf eine Orbán-kritische Linie um. Sein Ziel, der Opposition zum Wahlsieg zu verhelfen, verfehlte Simicska im April dieses Jahres jedoch. Deshalb verkaufte er seine Medien im Frühjahr an Orbán-nahe Unternehmer und zog sich aus der Öffentlichkeit zurück.

Zwar besitzt keiner von Orbáns jetzigen Unternehmer-Günstlingen das intellektuelle Format von Simicska. Da ist beispielsweise Lörinc Mészáros, Ex-Bürgermeister in Orbáns Heimatdorf und ehemaliger Gasheizungsmonteur, heute einer der reichsten Ungarn. Seine unternehmerische Begabung ist mäßig, er hegt keinen politischen Ehrgeiz und hat seinen plötzlichen Aufstieg "dem lieben Gott und Viktor Orbán" zu verdanken, wie er einmal sagte.

Dennoch ist Orbán seit dem Simicska-Desaster deutlich misstrauischer gegenüber seinem engen Umfeld in Politik und Wirtschaft geworden. Zudem gibt es zwischen einigen Geschäftsleuten, die ihre Medien jetzt "spendeten", Rivalitäten. Insofern dürfte Orbán die neue Stiftung aus Vorsicht gegründet haben lassen. Zudem geht es wohl auch um mehr Effizienz. Orbán soll sich Gerüchten zufolge geärgert haben, dass aus den überwiegend defizitären regierungsnahen Medien, die großenteils mit staatlichen Werbegeldern am Leben gehalten werden, zu viel Geld an die Eigentümer abgeflossen sei.

Der bekannte ungarische Investigativjournalist Attila Mong, der das Portal "Átlátszó" mitgründete, spricht davon, dass Orbán in seiner Medienpolitik nun die Maske habe fallen lassen. "Die Geschäftsleute, die ihre Medien verschenkt haben, sind ganz klar nur Strohmänner von Orbáns Gnaden", sagt Mong. "Mit der Schenkung ist nun deutlich geworden, dass Orbán nicht einmal mehr Wert auf den äußeren Anschein legt."

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