Visionäres Wohnen "Mein Haus könnte morgen zu einer Motorhaube werden"

Die Glashäuser von Werner Sobek sind ästhetisch und ökologisch perfekt. Doch der Stararchitekt setzt noch eins drauf: Er will mobile Blasen bauen. Mit "Monopol" sprach er über die Zukunft des Wohnens und die Stuttgarter Architektenschmiede.

Frage: Herr Sobek, das Hochhaus hat derzeit keinen guten Ruf. Rem Koolhaas hält es für überholt, es sei ein Ausdruck hierarchischer Gesellschaftsstrukturen. Seinen Pekinger CCTV-Tower sieht er als Gegenentwurf. Andere kritisieren, dass hohe Häuser eine schlechte Energiebilanz hätten.

Sobek: So ist das Gerücht.

Frage: Sie denken anders, weil Sie als Ingenieur und Architekt an vielen Hochhausprojekten arbeiten?

Sobek: Die Energiebilanz eines Hochhauses muss nicht zwingend schlecht sein. Ich glaube auch nicht, dass eine rein moralische Betrachtung von Hochhäusern sinnvoll ist. Hochhäuser haben nicht ausschließlich etwas mit der Demonstration von Macht zu tun. Wir müssen doch sehen, dass besonders bei den schnell wachsenden Städten in China und in Indien die Frage drängt: Baut man in einer hohen Dichte und damit in große Höhen hoch - oder baut man niedrig und damit auch ausgedehnt. Das kann man nicht mit unserer zentraleuropäischen Arroganz beantworten, wir haben diese Wachstumsrate in der Bevölkerung nicht.

Frage: Kann man dem Wachstum nur durch Bauen in die Höhe begegnen?

Sobek: Da es in China Städte gibt, die sich innerhalb von zehn Jahren aus dem Nichts zu 20-Millionen-Metropolen entwickelt haben, müssen Sie diese Frage ernsthaft beantworten. Und wenn Sie sagen, das Hochhaus sei aus diesem oder jenem Grund "out", genehmigen Sie damit indirekt das massenhafte Aufkommen von Individualverkehr, was Sie aus ökologischen Gesichtspunkten nicht mehr vertreten können. Das finde ich unmoralisch.

Frage: Und Ihre Vision wäre dann Wohnen und Arbeiten in einem Gebäude?

Sobek: Nahe zusammenbringen, so dass man zu Fuß oder mit öffentlichen Verkehrsmitteln vom einen zum anderen kommt. In Manhattan funktioniert das ja. Dort brauchen sie kein eigenes Auto. Man kann hoch bauen, wenn es klug gemacht ist, und damit in Bezug auf Energieverbrauch und Emissionsaufkommen neue Wege beschreiten. Diese Konzepte liegen aber zugegebenermaßen noch nicht in ausreichendem Umfang vor.

Frage: Mit Ihrem Privathaus "R128" sind Sie ja auch neue Wege gegangen. Ein Haus komplett aus Glas. Haben Sie beim Entwerfen an Vorbilder, an die Glashäuser von Mies van der Rohe und Philip Johnson, gedacht?

Sobek: Man kennt natürlich die Beispiele und steht auf den Schultern seiner akademischen Lehrer. Und man steht auf den Schultern derjenigen, deren Gebäude man besucht hat - Gebäude, vor die ich mich oft stundenlang gesetzt habe in dem Versuch, etwas von ihrem Geist in mich aufzunehmen. Bei "R128" wollte ich meine Überzeugung davon, wie im dritten Jahrtausend gebaut werden muss, in einem einzelnen Gebäude manifestieren. "R128" ist also mein persönliches Manifest.

Frage: Was enthält es?

Sobek: Eine Überlagerung von mehreren Forderungen, die ich an mein Bauschaffen habe. Die Möglichkeit der totalen Transparenz, verbunden mit einem atemberaubenden Wohngefühl, hohen taktilen Qualitäten, hohen thermischen Qualitäten. Dazu kommt, dass das Haus keine Abgase produziert. Es ist emissionsfrei, energieneutral und zu hundert Prozent rezyklierbar.

Frage: Hat man sich und den eigenen Lebensstil diesem Haus nicht zu unterwerfen?

Sobek: Ich unterwerfe mich doch nicht einem Haus, das ich mir selber ausgedacht habe! Ich unterwerfe mich nichts und niemandem, außer den Gesetzen der Physik und meiner eigenen Moral.

Frage: Aber man muss ja eine gewisse Philosophie leben, eine gewisse Sicht auf die Welt und sein Leben haben, um darin wohnen zu wollen.

Sobek: Das Konzept meines Lebens ist die Perfektion im Minimalen, ohne dass das Ganze zu Entsagung führt; der Luxus des Minimalen sozusagen. Ebenso wichtig ist für mich das antike Sprichwort "Omnia mea mecum porto": "Ich trage alles, was ich besitze, bei mir." Das bedeutet beispielsweise, dass Sie die Summe Ihrer Erinnerung im Kopf tragen oder in Ihrem Herzen. Das heißt, Sie brauchen nicht mehr die Reflektion dieser Erinnerungen in Form von kleinen Bildern auf dem Kaminsims oder an der Wand.

Frage: Seit acht Jahren wohnen Sie nun in der Transparenz. Haben Sie das Gefühl, dass Sie sich durch dieses Haus verändert haben?

Sobek: Aber wenn Sie in so einem Haus leben, bekommen Sie vom Unbewussten, also auch von der Seite des Herzens her, einen anderen Umgang mit Ihrer Umwelt. Sie leben wesentlich fröhlicher, Sie atmen tiefer durch, und Sie blicken weiter. Sie winken beim Rasieren der Nachbarin zu und sehen die Maus, die dort im Garten in einem Winkel wohnt. Die Momente der Reduktion habe ich nie als einen Moment der Einschränkung empfunden, nie.

Frage: Sie vertreten eine "Architektur des Ephemeren". Was meinen Sie damit?

Sobek: Vergänglichkeit in der Architektur sollte ohne Probleme möglich sein - ohne dass hierdurch die tatsächliche Lebensdauer eines Gebäudes beeinflusst werden darf. Ich bin nicht der Ansicht, dass wir heute wissen, was morgen gut ist, und dass wir deshalb für Jahrzehnte, Jahrhunderte oder gar für die Ewigkeit planen. Ich bin der Meinung, dass ein Gebäude, das heute geplant wird, die Möglichkeit haben muss, mit Anstand von der Erde zu verschwinden - falls es morgen von unseren Nachkommen nicht mehr geliebt wird, zum Beispiel weil es ästhetischen, ökologischen oder anderen Maßstäben nicht mehr genügt. Und mit Anstand verschwinden heißt: ohne Unmengen von Müll oder andere Probleme zu hinterlassen. Ein Einfamilienhaus durchschnittlicher Größe und konventioneller Bauart wiegt zwischen zweihundert und dreihundert Tonnen, "R128" vierzig.

Wie ein Haus zum Porsche werden kann....

Frage: Die sind dann wiederverwertbar?

Sobek: Ja, vollkommen. Das Haus kann in seine Bestandteile zerlegt und sortenrein dem Stoffkreislauf zugeführt werden. Aus "R128" könnte morgen etwa eine Motorhaube für einen Porsche werden. Das können die meisten von ihrem Haus nicht sagen. Ich fordere keineswegs die Wegwerfgesellschaft, das ist mir zutiefst zuwider. Es ist nur die Chance, gehen zu können, ohne dass alle sagen: "Um Himmels willen, das ist doch Wahnsinn, dieses Gebäude jetzt abzureißen. Das ist ökologischer und ökonomischer Unfug!"

Frage: Bei "R129" gehen Sie noch weiter. Das Haus ist nicht nur emissionsfrei, sondern auch mobil.

Sobek: "R129" ist die Suche nach dem Leben in der Seifenblase oder der perfekten Sphäre. Mit dieser Studie wollen wir dieses Leben in der vollkommenen Schönheit, in der totalen Transparenz, weiter ausloten. Blase ist ein Stellvertreterbegriff für etwas, bei dem man mit seiner Umwelt hundertprozentig eins ist, aber durch eine ganz dünne Haut vor den Unbilden dieser Umwelt geschützt ist. Im Grunde genommen wäre es natürlich das Beste, man könnte diese Blase temporär zuschalten, wenn die Natur gerade etwas tut, das einem nicht komfortabel erscheint. Aber sie muss minimal sein; wie eine Seifenblase sollte sie eigentlich gar nicht wahrnehmbar sein. Und sie sollte natürlich diese völlig einfache Qualität des Temporären haben.

Frage: Wie lange arbeiten Sie schon an "R129"?

Sobek: Seit fünf Jahren. Wahrscheinlich noch einmal fünf Jahre, was mich aber nicht traurig macht. Die Arbeit an diesen Fragestellungen bringt einen sehr viel weiter. Ich will das Haus auf jeden Fall noch bauen. Die technischen und die ästhetischen Fragestellungen sind hochkomplex. Das Haus hat beispielsweise keine Möbel, zumindest nicht im traditionellen Sinn. Die Möbel lassen sich aus einem deformablen Boden heraus je nach Bedarf generieren.

Frage: "R129" hat also einen völlig freien Grundriss?

Sobek: Das Gebäude zeichnet sich durch eine Negation von Wänden und Zuschreibungen aus. Sie haben einfach nichts, Sie sitzen in der Mitte Ihres Hauses wie ein Yogi und schauen aus der Seifenblase hinaus.

Frage: Wie schwer ist das ganze Gebäude?

Sobek: Das Haus soll keine Fundamente haben. Damit es bei starkem Wind nicht fortgetragen wird, muss man es mit einem Wasserballast beschweren - den man aber natürlich jederzeit ablassen kann.

Frage: Ist das Spielerei oder eine realistische Vision?

Sobek: "R129" ist eine Auslotung, ein extremes Statement, das ich abgebe, um die Menschen aufzurütteln. Wenn wir jedes Jahr, jeden Tag auf der Welt Tausende Häuser einweihen und neu beziehen, die aber alle der gleichen, vollkommen veralteten Art des Bauens zu verdanken sind, dann muss doch einer mal sagen: "Es gibt noch etwas anderes!" Es muss doch mal einer zwischen den Felsen von Gibraltar durchfahren und sagen: "Westwärts!"

Frage: Sie halten als Nachfolger von Frei Otto und Jörg Schlaich an der Universität Stuttgart gleich zwei der renommiertesten Lehrstühle im Bauschaffen. Stuttgart gilt in Bezug auf Architektur als eine der innovativsten Städte überhaupt. Warum wissen das eigentlich nur Fachleute?

Sobek: Weil es nicht genügend vermarktet wird. Das ist das Problem der Gegend. Aber es wird langsam besser. Die jetzige Generation junger Menschen identifiziert sich wesentlich offener mit ihrem Herkunftsort.

Frage: Was zeichnet diese Stuttgarter Architektur aus?

Sobek: Der Humus, auf dem die Innovation im Großraum Stuttgart wächst, ist aus meiner Sicht in technisch-wissenschaftlicher Hinsicht das beste Umfeld weltweit für die Schaffung von herausragenden Ingenieuren, Architekturideen oder Konstrukten. Das liegt an der brillanten Ausbildung, die wir immer noch haben. Es liegt aber auch am Umfeld, an dem, was technisch und wissenschaftlich einfach durch die Anwesenheit von Porsche, Mercedes, Bosch, Trumpf und all dieser Firmen hier entsteht.

Frage: Leider sieht man der Stadt diese ganze architektonische Avantgarde nicht an.

Sobek: Ja, weil das, was wir können, in der eigenen Stadt nicht beziehungsweise nur im kleinen Umfang umgesetzt wird. Es gibt aber positive Zeichen. Denken Sie zum Beispiel an das Kunstmuseum, das Mercedes-Benz-Museum, eine Reihe von Fußgängerbrücken oder den Fernsehturm.

Frage: Sie engagieren sich sehr für Stuttgart. Die Überdachung der Konrad-Adenauer-Straße etwa wurde dreißig Jahre lang diskutiert - dank Ihres Einsatzes wird sie nun endlich umgesetzt. Warum engagieren Sie sich so für einen Ort, wenn Sie den modernen Menschen doch als Nomaden sehen?

Sobek: Das ist die Rolle eines Bürgers in einer Gesellschaft. Das ist meine Auffassung von Res publica.

Das Interview führte Barbara Gärtner

© Juno Kunstverlag, 2008

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